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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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stände und Schäden. Angesichts einer solchen Aufgabe darf man wohl ausrufein
Was schert mich Persönlichkeit, was schert mich Freiheit, ich trage weit beßres
Verlangen! Würde der Leser etwa geneigt sein, auf die Strafgesetze, die be¬
stimmt sind, dem Staate seine Kampsfähigkeit gegen deu äußern Feind, die
allgemeine Wehrpflicht, zu sicherm und damit aus diese selbst -°u verzichten?
Wir dürfen wohl als Antwort auf ein entschiednes Nein rechnen, und doch,
welche gesetzlichen Vorschriften griffen wohl tiefer ein in die persönliche Freiheit!
Wir bezweifeln auch nicht, daß auf eine ähnliche Frage in Betreff des Schul¬
zwangs und andrer durch gesetzliche Strafandrohungen begründete bürgerliche
Zwangspflichten eine verneinende Antwort nicht auf sich warten lassen würde.

Nun soll auch den Strafvorschristm des Entwurfs nicht alle und jede
Zweckdienlichkeit und Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden. Dies gilt
namentlich von denen, die die Kuppler der Trunksucht, insbesondere Gast- und
Schaukwirte, sofern sie bereits trunkner oder als Trunkenbolde bekannten oder
jugendlichen Personen geistige Getränke verabreichen, mit Strafe bedrohen, so
sehr auch die einschlägigen Bestimmungen durch Klauseln und Einschränkungen
abgeschwächt siud. Dagegen wird man sich von den Strafvorschriften gegen
die Trunksüchtigen selbst eine allzu große Wirkung nicht versprechen dürfen,
vor allem wenn es sich dabei um Personen handelt, die dem Laster bereits
gänzlich zum Opfer gefallen find. Wer sich vergegenwärtigt, wie mächtig die
Sinnenlust im Menschen ist, und wie gerade die Neigung zum Trunk ihn mehr
als alle andern Begierden zum Sklaven macht, der kann kaum erwarten, daß
dieser dämonische Trieb, namentlich in einer dnrch dessen übermäßige Befriedigung
bereits Physisch und moralisch heruntergekommenen Persönlichkeit, sich durch
geringe Geld- oder Freiheitsstrafen werde zügeln lassen. Umso mehr verdienen
die Bestimmungen des Entwurfs über Unterbringung Trunksüchtiger in einer
Trinkerheilanstalt Beifall.

Etwas günstiger als bei den Trunkenbolden liegt die Sache bei Personen,
die noch uicht zu Gewohnheitstrinkern geworden sind. Allzuhoch wird man
aber auch hier den Erfolg nicht anschlagen dürfen. Man vergegenwärtige sich
den typischen Fall, daß junges Volk ans dem Dorf oder in der Stadt, mit
oder ohne bunte Bändchen, sich abends im Wirtshaus zu einander gesellt.
Wenn es dabei bisher uicht ohne Trunkenheit abgegangen ist, so wird daran
die Furcht vor einer unbedeutenden Strafe nicht viel ändern. Die Bethätigung
besondrer Leistungsfähigkeit im Trinken gilt bei dergleichen Gelegenheiten be¬
kanntlich als eine Art von Heldentum, kitzelt deu Ehrgeiz des Trinkers und
stachelt seine Genossen zur Nacheiferung ans. Auch der unwissendste und roheste
Zecher hat ja wenigstens die Empfindung, daß der unmäßige Trunk ein nicht
zu verachtender Gegner sei. Er geht mutig und entschlossen im Sturmschritt
gegen den Feind vor. In dieser Aktion aber wird er sich auch durch einen
nicht allzu reichlichen Zuwachs an Hindernissen und Gefahren kaum aufhalten


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Was schert mich Persönlichkeit, was schert mich Freiheit, ich trage weit beßres
Verlangen! Würde der Leser etwa geneigt sein, auf die Strafgesetze, die be¬
stimmt sind, dem Staate seine Kampsfähigkeit gegen deu äußern Feind, die
allgemeine Wehrpflicht, zu sicherm und damit aus diese selbst -°u verzichten?
Wir dürfen wohl als Antwort auf ein entschiednes Nein rechnen, und doch,
welche gesetzlichen Vorschriften griffen wohl tiefer ein in die persönliche Freiheit!
Wir bezweifeln auch nicht, daß auf eine ähnliche Frage in Betreff des Schul¬
zwangs und andrer durch gesetzliche Strafandrohungen begründete bürgerliche
Zwangspflichten eine verneinende Antwort nicht auf sich warten lassen würde.

Nun soll auch den Strafvorschristm des Entwurfs nicht alle und jede
Zweckdienlichkeit und Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden. Dies gilt
namentlich von denen, die die Kuppler der Trunksucht, insbesondere Gast- und
Schaukwirte, sofern sie bereits trunkner oder als Trunkenbolde bekannten oder
jugendlichen Personen geistige Getränke verabreichen, mit Strafe bedrohen, so
sehr auch die einschlägigen Bestimmungen durch Klauseln und Einschränkungen
abgeschwächt siud. Dagegen wird man sich von den Strafvorschriften gegen
die Trunksüchtigen selbst eine allzu große Wirkung nicht versprechen dürfen,
vor allem wenn es sich dabei um Personen handelt, die dem Laster bereits
gänzlich zum Opfer gefallen find. Wer sich vergegenwärtigt, wie mächtig die
Sinnenlust im Menschen ist, und wie gerade die Neigung zum Trunk ihn mehr
als alle andern Begierden zum Sklaven macht, der kann kaum erwarten, daß
dieser dämonische Trieb, namentlich in einer dnrch dessen übermäßige Befriedigung
bereits Physisch und moralisch heruntergekommenen Persönlichkeit, sich durch
geringe Geld- oder Freiheitsstrafen werde zügeln lassen. Umso mehr verdienen
die Bestimmungen des Entwurfs über Unterbringung Trunksüchtiger in einer
Trinkerheilanstalt Beifall.

Etwas günstiger als bei den Trunkenbolden liegt die Sache bei Personen,
die noch uicht zu Gewohnheitstrinkern geworden sind. Allzuhoch wird man
aber auch hier den Erfolg nicht anschlagen dürfen. Man vergegenwärtige sich
den typischen Fall, daß junges Volk ans dem Dorf oder in der Stadt, mit
oder ohne bunte Bändchen, sich abends im Wirtshaus zu einander gesellt.
Wenn es dabei bisher uicht ohne Trunkenheit abgegangen ist, so wird daran
die Furcht vor einer unbedeutenden Strafe nicht viel ändern. Die Bethätigung
besondrer Leistungsfähigkeit im Trinken gilt bei dergleichen Gelegenheiten be¬
kanntlich als eine Art von Heldentum, kitzelt deu Ehrgeiz des Trinkers und
stachelt seine Genossen zur Nacheiferung ans. Auch der unwissendste und roheste
Zecher hat ja wenigstens die Empfindung, daß der unmäßige Trunk ein nicht
zu verachtender Gegner sei. Er geht mutig und entschlossen im Sturmschritt
gegen den Feind vor. In dieser Aktion aber wird er sich auch durch einen
nicht allzu reichlichen Zuwachs an Hindernissen und Gefahren kaum aufhalten


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[0019] Zum Trnnksnchtsgosl'tzentwnrf stände und Schäden. Angesichts einer solchen Aufgabe darf man wohl ausrufein Was schert mich Persönlichkeit, was schert mich Freiheit, ich trage weit beßres Verlangen! Würde der Leser etwa geneigt sein, auf die Strafgesetze, die be¬ stimmt sind, dem Staate seine Kampsfähigkeit gegen deu äußern Feind, die allgemeine Wehrpflicht, zu sicherm und damit aus diese selbst -°u verzichten? Wir dürfen wohl als Antwort auf ein entschiednes Nein rechnen, und doch, welche gesetzlichen Vorschriften griffen wohl tiefer ein in die persönliche Freiheit! Wir bezweifeln auch nicht, daß auf eine ähnliche Frage in Betreff des Schul¬ zwangs und andrer durch gesetzliche Strafandrohungen begründete bürgerliche Zwangspflichten eine verneinende Antwort nicht auf sich warten lassen würde. Nun soll auch den Strafvorschristm des Entwurfs nicht alle und jede Zweckdienlichkeit und Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden. Dies gilt namentlich von denen, die die Kuppler der Trunksucht, insbesondere Gast- und Schaukwirte, sofern sie bereits trunkner oder als Trunkenbolde bekannten oder jugendlichen Personen geistige Getränke verabreichen, mit Strafe bedrohen, so sehr auch die einschlägigen Bestimmungen durch Klauseln und Einschränkungen abgeschwächt siud. Dagegen wird man sich von den Strafvorschriften gegen die Trunksüchtigen selbst eine allzu große Wirkung nicht versprechen dürfen, vor allem wenn es sich dabei um Personen handelt, die dem Laster bereits gänzlich zum Opfer gefallen find. Wer sich vergegenwärtigt, wie mächtig die Sinnenlust im Menschen ist, und wie gerade die Neigung zum Trunk ihn mehr als alle andern Begierden zum Sklaven macht, der kann kaum erwarten, daß dieser dämonische Trieb, namentlich in einer dnrch dessen übermäßige Befriedigung bereits Physisch und moralisch heruntergekommenen Persönlichkeit, sich durch geringe Geld- oder Freiheitsstrafen werde zügeln lassen. Umso mehr verdienen die Bestimmungen des Entwurfs über Unterbringung Trunksüchtiger in einer Trinkerheilanstalt Beifall. Etwas günstiger als bei den Trunkenbolden liegt die Sache bei Personen, die noch uicht zu Gewohnheitstrinkern geworden sind. Allzuhoch wird man aber auch hier den Erfolg nicht anschlagen dürfen. Man vergegenwärtige sich den typischen Fall, daß junges Volk ans dem Dorf oder in der Stadt, mit oder ohne bunte Bändchen, sich abends im Wirtshaus zu einander gesellt. Wenn es dabei bisher uicht ohne Trunkenheit abgegangen ist, so wird daran die Furcht vor einer unbedeutenden Strafe nicht viel ändern. Die Bethätigung besondrer Leistungsfähigkeit im Trinken gilt bei dergleichen Gelegenheiten be¬ kanntlich als eine Art von Heldentum, kitzelt deu Ehrgeiz des Trinkers und stachelt seine Genossen zur Nacheiferung ans. Auch der unwissendste und roheste Zecher hat ja wenigstens die Empfindung, daß der unmäßige Trunk ein nicht zu verachtender Gegner sei. Er geht mutig und entschlossen im Sturmschritt gegen den Feind vor. In dieser Aktion aber wird er sich auch durch einen nicht allzu reichlichen Zuwachs an Hindernissen und Gefahren kaum aufhalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/19>, abgerufen am 23.07.2024.