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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Altes und neues von Theodor Fontane

näher er dem Ende kommt. Das Buch spitzt sich trotz alles persönlichen
Leides doch zu einer schönen Verherrlichung des Krieges und der darin be¬
wiesenen Heldenhaftigkeit des deutschen Volkes zu. In Oleron traf Fontane
mit deutschen Kriegsgefangnen aus allen deutschen Gauen zusammen. Wie
früher den französischen, so schildert er nun den deutschen Nationalcharakter
in den Typen aus den verschiednen deutschen Stämmen, mit denen ihn der
Zufall in Berührung brachte. Und wie ein altes Heldenlied hört es sich an,
wenn er jeden seiner deutschen Freunde in seinem kurzen soldatischen Tone
die Ursache seiner Kriegsgefangenschaft selbst erzählen läßt; wie meisterlich
Fontane dieses Soldatendeutsch spricht, weiß man ja aus seinen Balladen.
Nun wird man auch die Stimmung begreifen, in der uns sein "Kriegs¬
gesängen" entläßt: Verehrung, Begeisterung, Rührung -- alles liegt darin.

Zwanzig Jahre später hat Fontane seinen Roman Unwiederbringlich
(Berlin, Wilhelm Hertz, 1891) geschrieben. Aber bei aller Verehrung
für den vortrefflichen Mann können wir nicht umhin, zu gestehen, daß wir
uns bei diesem Romane ebenso gelangweilt, als an jenen Stimmungs¬
bildern aus der Kriegsgefangenschaft entzückt haben. Gewiß, der feine Schrift¬
steller, der Meister der Charakteristik von Volk und Menschen, der Meister
des stimmungsvollen Landschaftsbildes ist auch im Roman nicht zu verkennen.
Aber uns scheint diese Dichtung mindestens um zwei Drittel breiter geschrieben
zu sein, als nötig war. Die winzige Handlung hätte gerade Stoff genug
für eine Novelle gegeben; die eingeschvbnen Episoden, die liebevolle Aus¬
führlichkeit in der Schilderung des Dünemark nach 1864 konnten unsre Teil¬
nahme nicht genügend sesseln, und mit Mühe und Not haben wir das Buch
zu Ende gelesen. Es handelt von einem Ehebruch, der so recht eigentlich
kein Ehebruch ist, sondern ein Ehebruch Hütte werden können, wenn der Mann
eine hitzige Natur gewesen wäre. Es schildert uns mit der größten Sauber¬
keit in der Zeichnung ein Ehepaar, das sich nicht recht versteht, eine nervöse
Frau, einen sanguinischen, unselbständigen Mann. Es führt uns in eine
Schicht der Gesellschaft, wo man allerdings in sittlichen Dingen sehr streng
empfindet, wo das gewollte Unrecht schon so viel ist als das gethane, unter
Menschen, die sich schon mit Andeutungen, beiläufigen Äußerungen rasch und
ausreichend verständigen, in die Gesellschaft des Hofes und hohen Adels von
Kopenhagen. Allein man sollte glauben, daß dem Stil dieser Menschen auch
ein knapper Stil der Erzählung von ihnen mehr entsprechen würde, als die
nervös machende Breite der Analyse von Gefühlen und Charakteren. Fontane
ist nicht dieser Meinung gewesen, und die Wirkung seiner Darstellung giebt
ihm -- nach unsrer Erfahrung -- Unrecht. Das ist aufrichtig zu bedauern,
denn es steht außer allem Zweifel, daß Fontane seine Figuren alle klar, tief
und lebensvoll schaut, daß sein Zeitbild der Wahrheit entspricht, daß seine
Gestalten einer künstlerischen Darstellung in der That würdig sind; aber der


Altes und neues von Theodor Fontane

näher er dem Ende kommt. Das Buch spitzt sich trotz alles persönlichen
Leides doch zu einer schönen Verherrlichung des Krieges und der darin be¬
wiesenen Heldenhaftigkeit des deutschen Volkes zu. In Oleron traf Fontane
mit deutschen Kriegsgefangnen aus allen deutschen Gauen zusammen. Wie
früher den französischen, so schildert er nun den deutschen Nationalcharakter
in den Typen aus den verschiednen deutschen Stämmen, mit denen ihn der
Zufall in Berührung brachte. Und wie ein altes Heldenlied hört es sich an,
wenn er jeden seiner deutschen Freunde in seinem kurzen soldatischen Tone
die Ursache seiner Kriegsgefangenschaft selbst erzählen läßt; wie meisterlich
Fontane dieses Soldatendeutsch spricht, weiß man ja aus seinen Balladen.
Nun wird man auch die Stimmung begreifen, in der uns sein „Kriegs¬
gesängen" entläßt: Verehrung, Begeisterung, Rührung — alles liegt darin.

Zwanzig Jahre später hat Fontane seinen Roman Unwiederbringlich
(Berlin, Wilhelm Hertz, 1891) geschrieben. Aber bei aller Verehrung
für den vortrefflichen Mann können wir nicht umhin, zu gestehen, daß wir
uns bei diesem Romane ebenso gelangweilt, als an jenen Stimmungs¬
bildern aus der Kriegsgefangenschaft entzückt haben. Gewiß, der feine Schrift¬
steller, der Meister der Charakteristik von Volk und Menschen, der Meister
des stimmungsvollen Landschaftsbildes ist auch im Roman nicht zu verkennen.
Aber uns scheint diese Dichtung mindestens um zwei Drittel breiter geschrieben
zu sein, als nötig war. Die winzige Handlung hätte gerade Stoff genug
für eine Novelle gegeben; die eingeschvbnen Episoden, die liebevolle Aus¬
führlichkeit in der Schilderung des Dünemark nach 1864 konnten unsre Teil¬
nahme nicht genügend sesseln, und mit Mühe und Not haben wir das Buch
zu Ende gelesen. Es handelt von einem Ehebruch, der so recht eigentlich
kein Ehebruch ist, sondern ein Ehebruch Hütte werden können, wenn der Mann
eine hitzige Natur gewesen wäre. Es schildert uns mit der größten Sauber¬
keit in der Zeichnung ein Ehepaar, das sich nicht recht versteht, eine nervöse
Frau, einen sanguinischen, unselbständigen Mann. Es führt uns in eine
Schicht der Gesellschaft, wo man allerdings in sittlichen Dingen sehr streng
empfindet, wo das gewollte Unrecht schon so viel ist als das gethane, unter
Menschen, die sich schon mit Andeutungen, beiläufigen Äußerungen rasch und
ausreichend verständigen, in die Gesellschaft des Hofes und hohen Adels von
Kopenhagen. Allein man sollte glauben, daß dem Stil dieser Menschen auch
ein knapper Stil der Erzählung von ihnen mehr entsprechen würde, als die
nervös machende Breite der Analyse von Gefühlen und Charakteren. Fontane
ist nicht dieser Meinung gewesen, und die Wirkung seiner Darstellung giebt
ihm — nach unsrer Erfahrung — Unrecht. Das ist aufrichtig zu bedauern,
denn es steht außer allem Zweifel, daß Fontane seine Figuren alle klar, tief
und lebensvoll schaut, daß sein Zeitbild der Wahrheit entspricht, daß seine
Gestalten einer künstlerischen Darstellung in der That würdig sind; aber der


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[0188] Altes und neues von Theodor Fontane näher er dem Ende kommt. Das Buch spitzt sich trotz alles persönlichen Leides doch zu einer schönen Verherrlichung des Krieges und der darin be¬ wiesenen Heldenhaftigkeit des deutschen Volkes zu. In Oleron traf Fontane mit deutschen Kriegsgefangnen aus allen deutschen Gauen zusammen. Wie früher den französischen, so schildert er nun den deutschen Nationalcharakter in den Typen aus den verschiednen deutschen Stämmen, mit denen ihn der Zufall in Berührung brachte. Und wie ein altes Heldenlied hört es sich an, wenn er jeden seiner deutschen Freunde in seinem kurzen soldatischen Tone die Ursache seiner Kriegsgefangenschaft selbst erzählen läßt; wie meisterlich Fontane dieses Soldatendeutsch spricht, weiß man ja aus seinen Balladen. Nun wird man auch die Stimmung begreifen, in der uns sein „Kriegs¬ gesängen" entläßt: Verehrung, Begeisterung, Rührung — alles liegt darin. Zwanzig Jahre später hat Fontane seinen Roman Unwiederbringlich (Berlin, Wilhelm Hertz, 1891) geschrieben. Aber bei aller Verehrung für den vortrefflichen Mann können wir nicht umhin, zu gestehen, daß wir uns bei diesem Romane ebenso gelangweilt, als an jenen Stimmungs¬ bildern aus der Kriegsgefangenschaft entzückt haben. Gewiß, der feine Schrift¬ steller, der Meister der Charakteristik von Volk und Menschen, der Meister des stimmungsvollen Landschaftsbildes ist auch im Roman nicht zu verkennen. Aber uns scheint diese Dichtung mindestens um zwei Drittel breiter geschrieben zu sein, als nötig war. Die winzige Handlung hätte gerade Stoff genug für eine Novelle gegeben; die eingeschvbnen Episoden, die liebevolle Aus¬ führlichkeit in der Schilderung des Dünemark nach 1864 konnten unsre Teil¬ nahme nicht genügend sesseln, und mit Mühe und Not haben wir das Buch zu Ende gelesen. Es handelt von einem Ehebruch, der so recht eigentlich kein Ehebruch ist, sondern ein Ehebruch Hütte werden können, wenn der Mann eine hitzige Natur gewesen wäre. Es schildert uns mit der größten Sauber¬ keit in der Zeichnung ein Ehepaar, das sich nicht recht versteht, eine nervöse Frau, einen sanguinischen, unselbständigen Mann. Es führt uns in eine Schicht der Gesellschaft, wo man allerdings in sittlichen Dingen sehr streng empfindet, wo das gewollte Unrecht schon so viel ist als das gethane, unter Menschen, die sich schon mit Andeutungen, beiläufigen Äußerungen rasch und ausreichend verständigen, in die Gesellschaft des Hofes und hohen Adels von Kopenhagen. Allein man sollte glauben, daß dem Stil dieser Menschen auch ein knapper Stil der Erzählung von ihnen mehr entsprechen würde, als die nervös machende Breite der Analyse von Gefühlen und Charakteren. Fontane ist nicht dieser Meinung gewesen, und die Wirkung seiner Darstellung giebt ihm — nach unsrer Erfahrung — Unrecht. Das ist aufrichtig zu bedauern, denn es steht außer allem Zweifel, daß Fontane seine Figuren alle klar, tief und lebensvoll schaut, daß sein Zeitbild der Wahrheit entspricht, daß seine Gestalten einer künstlerischen Darstellung in der That würdig sind; aber der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/188>, abgerufen am 23.07.2024.