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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Altes und neues von Theodor Fontäne

oft mit zwei Dutzend Menschen eingepfercht, und um nicht böses Blut zu
machen, durfte er sich gar nicht auf seine Person zurückziehen, mußte mit den
Mitbewohnern sprechen, Meinungen austauschen und also vollständig ihr Leben
mitleben. Später, nachdem er als otlloisr suxörisur bezeichnet worden war,
wurde er nicht mehr mit dem Gesindel zusammen gesperrt, die höhern Be¬
amten verkehrten mit ihm, zogen ihn in ihre Familie, öfter erhielt er auch
Besuch von angesehenen Bewohnern der Städte, wo er verweilte, und er er¬
fuhr aus ihrem Munde die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatze, freilich in
französischer Färbung. So konnte er Beobachtungen über den französischen
Nationalcharakter sammeln, die sehr wertvoll sind. Er ist des Lobes voll
darüber. Er sand überall wahre Humanität, eine schöne Höflichkeit des
Herzens, und er versichert, daß die französischen Beamten im allgemeinen die
höchste Achtung verdienten. Sie find sich ihres Berufs voll bewußt, nämlich
daß sie für das Volk da sind, nicht aber umgekehrt- Ein französischer Be¬
amter erfüllt seine Pflicht nicht brummig und läßt den, der von ihm abhängt,
seine Macht nicht unnötig fühlen. Nirgends so sehr wie in Frankreich wird
ein kluges Wort zur rechten Zeit geschätzt, man hört einen Angegriffnen an;
durch Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit hat sich Fontane öfter selbst ge¬
holfen. Überhaupt macht sein warmes und aufrichtiges Lob des französischen
Nationalcharakters gerade in diesem Zusammenhange und mitten aus der
Stimmung nach dem siegreichen Kriege gegen den "Erbfeind," in der Fontane
seine Erinnerungen niederschrieb, eine erhebende Wirkung. Wahrhaft muster-
giltig für uns alle ist dieses Streben Fontanes und seine vornehme Art, allen
Chauvinismus abzulehnen. (Ganz vortrefflich spricht er auch gelegentlich über
den deutschen Schulmeisterstolz.) Wir brauchen nicht den Franzosen ihre
Thorheiten nachzumachen, und die französische Nation darf nicht mit Pariser
Schreiern von dem Schlage Derouledes verwechselt werden. Es ist nicht zu sagen,
wie dieser Adel des Fontcmischen Buches wirkt. Dabei ist ihm nicht die
geringste Absicht vorzuwerfen, den Franzosen nur Artigkeiten zu sagen. Als
sich Fontane endlich auf Oleron befand, kamen große Züge deutscher Kriegs¬
gefangner an, die nicht im Kampfe, sondern aus den Spitälern geholt wurden.
Die französischen Heerführer wollten eben auch prahlen, und daraus entstand
viel Unglück; denn die halb genesenen deutschen Soldaten wurden durch die
weite Fahrt wieder in die Krankheit zurückgeworfen und starben in Oleron.
Fontane tadelt dies sehr nachdrücklich.

Mit großer Kunst weiß er die Stimmung jener Tage der fortschreitenden
deutscheu Siege zu vergegenwärtigen, fein Buch giebt eine Geschichte der
Kriegszeit von einem Standpunkte, den nur das Leben selbst bieten, kein
Dichterkopf erfinden konnte. Aber seine Kunst bewährt sich eben darin, daß
sie das Leben zu deuten verstand und aus den gegebnen Thatsachen soviel
poetische Wirkung holte. Ganz prächtig steigert Fontane die Erzählung, je


Altes und neues von Theodor Fontäne

oft mit zwei Dutzend Menschen eingepfercht, und um nicht böses Blut zu
machen, durfte er sich gar nicht auf seine Person zurückziehen, mußte mit den
Mitbewohnern sprechen, Meinungen austauschen und also vollständig ihr Leben
mitleben. Später, nachdem er als otlloisr suxörisur bezeichnet worden war,
wurde er nicht mehr mit dem Gesindel zusammen gesperrt, die höhern Be¬
amten verkehrten mit ihm, zogen ihn in ihre Familie, öfter erhielt er auch
Besuch von angesehenen Bewohnern der Städte, wo er verweilte, und er er¬
fuhr aus ihrem Munde die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatze, freilich in
französischer Färbung. So konnte er Beobachtungen über den französischen
Nationalcharakter sammeln, die sehr wertvoll sind. Er ist des Lobes voll
darüber. Er sand überall wahre Humanität, eine schöne Höflichkeit des
Herzens, und er versichert, daß die französischen Beamten im allgemeinen die
höchste Achtung verdienten. Sie find sich ihres Berufs voll bewußt, nämlich
daß sie für das Volk da sind, nicht aber umgekehrt- Ein französischer Be¬
amter erfüllt seine Pflicht nicht brummig und läßt den, der von ihm abhängt,
seine Macht nicht unnötig fühlen. Nirgends so sehr wie in Frankreich wird
ein kluges Wort zur rechten Zeit geschätzt, man hört einen Angegriffnen an;
durch Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit hat sich Fontane öfter selbst ge¬
holfen. Überhaupt macht sein warmes und aufrichtiges Lob des französischen
Nationalcharakters gerade in diesem Zusammenhange und mitten aus der
Stimmung nach dem siegreichen Kriege gegen den „Erbfeind," in der Fontane
seine Erinnerungen niederschrieb, eine erhebende Wirkung. Wahrhaft muster-
giltig für uns alle ist dieses Streben Fontanes und seine vornehme Art, allen
Chauvinismus abzulehnen. (Ganz vortrefflich spricht er auch gelegentlich über
den deutschen Schulmeisterstolz.) Wir brauchen nicht den Franzosen ihre
Thorheiten nachzumachen, und die französische Nation darf nicht mit Pariser
Schreiern von dem Schlage Derouledes verwechselt werden. Es ist nicht zu sagen,
wie dieser Adel des Fontcmischen Buches wirkt. Dabei ist ihm nicht die
geringste Absicht vorzuwerfen, den Franzosen nur Artigkeiten zu sagen. Als
sich Fontane endlich auf Oleron befand, kamen große Züge deutscher Kriegs¬
gefangner an, die nicht im Kampfe, sondern aus den Spitälern geholt wurden.
Die französischen Heerführer wollten eben auch prahlen, und daraus entstand
viel Unglück; denn die halb genesenen deutschen Soldaten wurden durch die
weite Fahrt wieder in die Krankheit zurückgeworfen und starben in Oleron.
Fontane tadelt dies sehr nachdrücklich.

Mit großer Kunst weiß er die Stimmung jener Tage der fortschreitenden
deutscheu Siege zu vergegenwärtigen, fein Buch giebt eine Geschichte der
Kriegszeit von einem Standpunkte, den nur das Leben selbst bieten, kein
Dichterkopf erfinden konnte. Aber seine Kunst bewährt sich eben darin, daß
sie das Leben zu deuten verstand und aus den gegebnen Thatsachen soviel
poetische Wirkung holte. Ganz prächtig steigert Fontane die Erzählung, je


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[0187] Altes und neues von Theodor Fontäne oft mit zwei Dutzend Menschen eingepfercht, und um nicht böses Blut zu machen, durfte er sich gar nicht auf seine Person zurückziehen, mußte mit den Mitbewohnern sprechen, Meinungen austauschen und also vollständig ihr Leben mitleben. Später, nachdem er als otlloisr suxörisur bezeichnet worden war, wurde er nicht mehr mit dem Gesindel zusammen gesperrt, die höhern Be¬ amten verkehrten mit ihm, zogen ihn in ihre Familie, öfter erhielt er auch Besuch von angesehenen Bewohnern der Städte, wo er verweilte, und er er¬ fuhr aus ihrem Munde die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatze, freilich in französischer Färbung. So konnte er Beobachtungen über den französischen Nationalcharakter sammeln, die sehr wertvoll sind. Er ist des Lobes voll darüber. Er sand überall wahre Humanität, eine schöne Höflichkeit des Herzens, und er versichert, daß die französischen Beamten im allgemeinen die höchste Achtung verdienten. Sie find sich ihres Berufs voll bewußt, nämlich daß sie für das Volk da sind, nicht aber umgekehrt- Ein französischer Be¬ amter erfüllt seine Pflicht nicht brummig und läßt den, der von ihm abhängt, seine Macht nicht unnötig fühlen. Nirgends so sehr wie in Frankreich wird ein kluges Wort zur rechten Zeit geschätzt, man hört einen Angegriffnen an; durch Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit hat sich Fontane öfter selbst ge¬ holfen. Überhaupt macht sein warmes und aufrichtiges Lob des französischen Nationalcharakters gerade in diesem Zusammenhange und mitten aus der Stimmung nach dem siegreichen Kriege gegen den „Erbfeind," in der Fontane seine Erinnerungen niederschrieb, eine erhebende Wirkung. Wahrhaft muster- giltig für uns alle ist dieses Streben Fontanes und seine vornehme Art, allen Chauvinismus abzulehnen. (Ganz vortrefflich spricht er auch gelegentlich über den deutschen Schulmeisterstolz.) Wir brauchen nicht den Franzosen ihre Thorheiten nachzumachen, und die französische Nation darf nicht mit Pariser Schreiern von dem Schlage Derouledes verwechselt werden. Es ist nicht zu sagen, wie dieser Adel des Fontcmischen Buches wirkt. Dabei ist ihm nicht die geringste Absicht vorzuwerfen, den Franzosen nur Artigkeiten zu sagen. Als sich Fontane endlich auf Oleron befand, kamen große Züge deutscher Kriegs¬ gefangner an, die nicht im Kampfe, sondern aus den Spitälern geholt wurden. Die französischen Heerführer wollten eben auch prahlen, und daraus entstand viel Unglück; denn die halb genesenen deutschen Soldaten wurden durch die weite Fahrt wieder in die Krankheit zurückgeworfen und starben in Oleron. Fontane tadelt dies sehr nachdrücklich. Mit großer Kunst weiß er die Stimmung jener Tage der fortschreitenden deutscheu Siege zu vergegenwärtigen, fein Buch giebt eine Geschichte der Kriegszeit von einem Standpunkte, den nur das Leben selbst bieten, kein Dichterkopf erfinden konnte. Aber seine Kunst bewährt sich eben darin, daß sie das Leben zu deuten verstand und aus den gegebnen Thatsachen soviel poetische Wirkung holte. Ganz prächtig steigert Fontane die Erzählung, je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/187>, abgerufen am 23.07.2024.