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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Altes und neues von Theodor Fontane

zu lassen. Genug davon. War es Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster
Ergebenheit -- ich schlief wieder ein."

Fontane wurde aber doch nicht zum Tode verurteilt. In so furchtbarer
Aufregung steigern sich bekanntlich die Geisteskräfte. In diesem Zustande ge¬
lang es ihm, in französischer Sprache, die er sonst nicht eben beherrschte, ein
Memoire an den General abzufassen, das seinen Eindruck nicht verfehlte. Er
wurde schließlich von dem Verdachte, ein preußischer Spion zu sein, frei¬
gesprochen, aber dennoch in Gefangenschaft behalten, weil er auch nur als
journalistischer Beobachter und Berichterstatter gefährlich erschien. Und damit
begann sein eigentlicher Leidensgang. Er wurde von einem Gefängnis ins
andre geschickt, durch die Franche-Conto und Südfrankreich, bis er endlich
auf der Insel Oleron bei Nochefort (nördlich von Bordeaux) untergebracht
wurde. Dort fand er Gesellschaft an deutschen Soldaten, die in französische
Kriegsgefangenschaft geraten waren. Seine Erlebnisse auf diesen Fahrten von
Kerker zu Kerker und von dem Leben mit Gefangnen, die meist gemeine Ver¬
brecher waren, schildert nun Fontäne mit großer Anschaulichkeit. Die De¬
mütigungen, die er in dieser Zeit erfuhr, sind manchmal nicht viel erträglicher
gewesen, als die Pein in jener Nacht, wo er den Tod erwartete. Einmal
wurde er auch mit Ketten belastet, wie die andern Verbrecher, bis ihm ein
verständiger und humaner Gefangenhausdirektor einen Brief mitgab, worin er
ihn als cMoisr 8uxcirisur bezeichnete und den Kollegen die größte Rücksicht
in seiner Behandlung empfahl. Seitdem erging es ihm besser. Auch die
Beobachtungen, die Fontäne an sich selbst machte, sind höchst interessant; so
z. B. wenn er bemerkt, daß die unwürdige Behandlung als Gefangner sein
subjektives Ehrgefühl nicht beleidigt habe. Denn in der Lage, wo man auf
Gnade und Ungnade einem bewaffneten Gendarm überlassen ist, kann einem
dieser Mensch nichts thun, was unsre Ehre subjektiv verletzt, sondern alles
schlechte, was der Stärkere uns anthut, fällt auf sein Haupt zurück, er kann
durch Roheit und Mißbrauch seiner Gewalt nur seine eigne Ehre schädigen.
Fontäne litt unter anderm auch nicht wenig unter der Langenweile durch den
Zwang, den ihm seine Umgebung auferlegte. Er mußte z. B. oft einem
Beamten Gesellschaft leisten, der ihn gerade damit auszuzeichnen gedachte, ihm
gerade dadurch etwas angenehmes zu erweisen meinte, und die Trivialität
dieser gute" Menschen mußte höflich ertragen werden, Fontane mußte mit
ihnen über die gleichgiltigsten Dinge schwatzen. Nach einer solchen Plauder¬
stunde fühlte er sich wie zerschlagen und sehnte die Einsamkeit herbei (was wir
ihm sehr gut nachfühlen können). Auch der Mangel an Reinlichkeit im Kerker
wirkte sehr verstimmend auf sein moralisches Befinden. Erst durch die Un¬
möglichkeit, sich nach seiner Gewohnheit zu waschen, fühlte er sich mit den
Kerkergenossen auf eine Stufe gestellt. Erschreckend war ihm überhaupt das
Gefühl dieses innern, moralischen Herabsinkens in der Gefcmgnenluft. Er war


Altes und neues von Theodor Fontane

zu lassen. Genug davon. War es Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster
Ergebenheit — ich schlief wieder ein."

Fontane wurde aber doch nicht zum Tode verurteilt. In so furchtbarer
Aufregung steigern sich bekanntlich die Geisteskräfte. In diesem Zustande ge¬
lang es ihm, in französischer Sprache, die er sonst nicht eben beherrschte, ein
Memoire an den General abzufassen, das seinen Eindruck nicht verfehlte. Er
wurde schließlich von dem Verdachte, ein preußischer Spion zu sein, frei¬
gesprochen, aber dennoch in Gefangenschaft behalten, weil er auch nur als
journalistischer Beobachter und Berichterstatter gefährlich erschien. Und damit
begann sein eigentlicher Leidensgang. Er wurde von einem Gefängnis ins
andre geschickt, durch die Franche-Conto und Südfrankreich, bis er endlich
auf der Insel Oleron bei Nochefort (nördlich von Bordeaux) untergebracht
wurde. Dort fand er Gesellschaft an deutschen Soldaten, die in französische
Kriegsgefangenschaft geraten waren. Seine Erlebnisse auf diesen Fahrten von
Kerker zu Kerker und von dem Leben mit Gefangnen, die meist gemeine Ver¬
brecher waren, schildert nun Fontäne mit großer Anschaulichkeit. Die De¬
mütigungen, die er in dieser Zeit erfuhr, sind manchmal nicht viel erträglicher
gewesen, als die Pein in jener Nacht, wo er den Tod erwartete. Einmal
wurde er auch mit Ketten belastet, wie die andern Verbrecher, bis ihm ein
verständiger und humaner Gefangenhausdirektor einen Brief mitgab, worin er
ihn als cMoisr 8uxcirisur bezeichnete und den Kollegen die größte Rücksicht
in seiner Behandlung empfahl. Seitdem erging es ihm besser. Auch die
Beobachtungen, die Fontäne an sich selbst machte, sind höchst interessant; so
z. B. wenn er bemerkt, daß die unwürdige Behandlung als Gefangner sein
subjektives Ehrgefühl nicht beleidigt habe. Denn in der Lage, wo man auf
Gnade und Ungnade einem bewaffneten Gendarm überlassen ist, kann einem
dieser Mensch nichts thun, was unsre Ehre subjektiv verletzt, sondern alles
schlechte, was der Stärkere uns anthut, fällt auf sein Haupt zurück, er kann
durch Roheit und Mißbrauch seiner Gewalt nur seine eigne Ehre schädigen.
Fontäne litt unter anderm auch nicht wenig unter der Langenweile durch den
Zwang, den ihm seine Umgebung auferlegte. Er mußte z. B. oft einem
Beamten Gesellschaft leisten, der ihn gerade damit auszuzeichnen gedachte, ihm
gerade dadurch etwas angenehmes zu erweisen meinte, und die Trivialität
dieser gute» Menschen mußte höflich ertragen werden, Fontane mußte mit
ihnen über die gleichgiltigsten Dinge schwatzen. Nach einer solchen Plauder¬
stunde fühlte er sich wie zerschlagen und sehnte die Einsamkeit herbei (was wir
ihm sehr gut nachfühlen können). Auch der Mangel an Reinlichkeit im Kerker
wirkte sehr verstimmend auf sein moralisches Befinden. Erst durch die Un¬
möglichkeit, sich nach seiner Gewohnheit zu waschen, fühlte er sich mit den
Kerkergenossen auf eine Stufe gestellt. Erschreckend war ihm überhaupt das
Gefühl dieses innern, moralischen Herabsinkens in der Gefcmgnenluft. Er war


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[0186] Altes und neues von Theodor Fontane zu lassen. Genug davon. War es Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster Ergebenheit — ich schlief wieder ein." Fontane wurde aber doch nicht zum Tode verurteilt. In so furchtbarer Aufregung steigern sich bekanntlich die Geisteskräfte. In diesem Zustande ge¬ lang es ihm, in französischer Sprache, die er sonst nicht eben beherrschte, ein Memoire an den General abzufassen, das seinen Eindruck nicht verfehlte. Er wurde schließlich von dem Verdachte, ein preußischer Spion zu sein, frei¬ gesprochen, aber dennoch in Gefangenschaft behalten, weil er auch nur als journalistischer Beobachter und Berichterstatter gefährlich erschien. Und damit begann sein eigentlicher Leidensgang. Er wurde von einem Gefängnis ins andre geschickt, durch die Franche-Conto und Südfrankreich, bis er endlich auf der Insel Oleron bei Nochefort (nördlich von Bordeaux) untergebracht wurde. Dort fand er Gesellschaft an deutschen Soldaten, die in französische Kriegsgefangenschaft geraten waren. Seine Erlebnisse auf diesen Fahrten von Kerker zu Kerker und von dem Leben mit Gefangnen, die meist gemeine Ver¬ brecher waren, schildert nun Fontäne mit großer Anschaulichkeit. Die De¬ mütigungen, die er in dieser Zeit erfuhr, sind manchmal nicht viel erträglicher gewesen, als die Pein in jener Nacht, wo er den Tod erwartete. Einmal wurde er auch mit Ketten belastet, wie die andern Verbrecher, bis ihm ein verständiger und humaner Gefangenhausdirektor einen Brief mitgab, worin er ihn als cMoisr 8uxcirisur bezeichnete und den Kollegen die größte Rücksicht in seiner Behandlung empfahl. Seitdem erging es ihm besser. Auch die Beobachtungen, die Fontäne an sich selbst machte, sind höchst interessant; so z. B. wenn er bemerkt, daß die unwürdige Behandlung als Gefangner sein subjektives Ehrgefühl nicht beleidigt habe. Denn in der Lage, wo man auf Gnade und Ungnade einem bewaffneten Gendarm überlassen ist, kann einem dieser Mensch nichts thun, was unsre Ehre subjektiv verletzt, sondern alles schlechte, was der Stärkere uns anthut, fällt auf sein Haupt zurück, er kann durch Roheit und Mißbrauch seiner Gewalt nur seine eigne Ehre schädigen. Fontäne litt unter anderm auch nicht wenig unter der Langenweile durch den Zwang, den ihm seine Umgebung auferlegte. Er mußte z. B. oft einem Beamten Gesellschaft leisten, der ihn gerade damit auszuzeichnen gedachte, ihm gerade dadurch etwas angenehmes zu erweisen meinte, und die Trivialität dieser gute» Menschen mußte höflich ertragen werden, Fontane mußte mit ihnen über die gleichgiltigsten Dinge schwatzen. Nach einer solchen Plauder¬ stunde fühlte er sich wie zerschlagen und sehnte die Einsamkeit herbei (was wir ihm sehr gut nachfühlen können). Auch der Mangel an Reinlichkeit im Kerker wirkte sehr verstimmend auf sein moralisches Befinden. Erst durch die Un¬ möglichkeit, sich nach seiner Gewohnheit zu waschen, fühlte er sich mit den Kerkergenossen auf eine Stufe gestellt. Erschreckend war ihm überhaupt das Gefühl dieses innern, moralischen Herabsinkens in der Gefcmgnenluft. Er war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/186>, abgerufen am 23.07.2024.