Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

von der Straße zu treiben und in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dann
kann sie nichts mehr hindern, mit der ganzen Energie vorzugehen, und sie wird
sich dem Verlangen, eine klare und folgerichtige Gesetzgebung zur Durchführung zu
bringen, nicht mehr mit dem Hinweis darauf entziehen können, daß man Un¬
mögliches verlange. Völlig unverständlich ist mir die von sehr beachtenswerter
Seite vertretene Meinung, daß für Bordelle nur Gründe der polizeilichen Be¬
quemlichkeit sprächen.*) Das Gegenteil davon ist wahr. Leicht wird die Ausgabe
der Sittenpolizei dann nicht sein, sie wird es nicht bequemer haben, sie wird
vielmehr ernster und energischer vorgehen müssen, und wenn sie selbstverständlich
auch nicht jede Übertretung wird verhindern können, so wird sie es doch
erreichen, daß zur Ausnahme werden wird, was jetzt Regel ist, daß diese Aus¬
nahmen ohne Unterschied von den Gerichten mit der vollen Strenge der Gesetze
angesehen werden, und daß man dabei nicht mehr von drei Monaten oder gar
drei Tagen Gefängnis hört, wie es jetzt oft genug und nach den Verhältnißen
mit gutem Grunde geschieht.

Schon lange ist die Zulassung öffentlicher Häuser von berufener
Seite dringend empfohlen worden. Haben alle Gründe dafür bisher
keine Entscheidung herbeiführen können, hat man selbst der fortschreitenden
Verseuchung der Nation rat- und thatlos gegenübergestanden,**) so werden
jetzt endlich die Enthüllungen des Heinzischen Prozesses hoffentlich den Aus¬
schlag geben. Belehre darüber, wohin es bei uns gekommen ist, wird die
öffentliche Meinung nicht länger widerstreben, wenn wir mit einem System
brechen, das solche Früchte gezeitigt hat.

Neben der Zulassung öffentlicher Häuser werden wir aber auch einer aus¬
drücklichen Strafbestimmung gegen die Zuhälter nicht entbehren können. Dar¬
über dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, daß es jemals gelingen
werde, jede Gewerbsnnzucht außerhalb der Bordelle zu verhindern. Das
begreifliche Streben der Prostituirten, sich der strengen Aufsicht, die in den
Häusern herrschen wird, zu entziehen, der Leichtsinn und die Genußsucht der
Mädchen, die die Bahn des Lasters erst betreten, werden dem Zuhälterwesen
stets ein Feld offen halten. Die Zuhälter werden daher nicht völlig ver¬
schwinden, und unser Rechtsgefühl fordert strenge Strafe gegen sie. Ein sehr
einfacher und, wie mir scheint, durchaus annehmbarer Vorschlag ist in der
Presse dahin gemacht worden, daß man gegen die Zuhälter die Korrektivns-




*) So, wenigstens nach dein Referenten im Gerichtssaal Bd. 38, S, 140: Die 56, General¬
versammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschast im Jahre 1884. Ich habe das
aus dem besprochenen Bericht d^r Gesellschaft selbst freilich nicht herauslesen können.
**) In dieser Beziehung darf man freilich nicht auf dem Standpunkte jenes Pastoren
stehen, der die Furcht vor der Ansteckung als willkommene Schutzwand gegen die Ausbreitung
des Lasters begrüßt. Welche krasse Werkheiligkeit er damit predigt, hat der Herr wohl selbst
nicht geahnt!

von der Straße zu treiben und in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dann
kann sie nichts mehr hindern, mit der ganzen Energie vorzugehen, und sie wird
sich dem Verlangen, eine klare und folgerichtige Gesetzgebung zur Durchführung zu
bringen, nicht mehr mit dem Hinweis darauf entziehen können, daß man Un¬
mögliches verlange. Völlig unverständlich ist mir die von sehr beachtenswerter
Seite vertretene Meinung, daß für Bordelle nur Gründe der polizeilichen Be¬
quemlichkeit sprächen.*) Das Gegenteil davon ist wahr. Leicht wird die Ausgabe
der Sittenpolizei dann nicht sein, sie wird es nicht bequemer haben, sie wird
vielmehr ernster und energischer vorgehen müssen, und wenn sie selbstverständlich
auch nicht jede Übertretung wird verhindern können, so wird sie es doch
erreichen, daß zur Ausnahme werden wird, was jetzt Regel ist, daß diese Aus¬
nahmen ohne Unterschied von den Gerichten mit der vollen Strenge der Gesetze
angesehen werden, und daß man dabei nicht mehr von drei Monaten oder gar
drei Tagen Gefängnis hört, wie es jetzt oft genug und nach den Verhältnißen
mit gutem Grunde geschieht.

Schon lange ist die Zulassung öffentlicher Häuser von berufener
Seite dringend empfohlen worden. Haben alle Gründe dafür bisher
keine Entscheidung herbeiführen können, hat man selbst der fortschreitenden
Verseuchung der Nation rat- und thatlos gegenübergestanden,**) so werden
jetzt endlich die Enthüllungen des Heinzischen Prozesses hoffentlich den Aus¬
schlag geben. Belehre darüber, wohin es bei uns gekommen ist, wird die
öffentliche Meinung nicht länger widerstreben, wenn wir mit einem System
brechen, das solche Früchte gezeitigt hat.

Neben der Zulassung öffentlicher Häuser werden wir aber auch einer aus¬
drücklichen Strafbestimmung gegen die Zuhälter nicht entbehren können. Dar¬
über dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, daß es jemals gelingen
werde, jede Gewerbsnnzucht außerhalb der Bordelle zu verhindern. Das
begreifliche Streben der Prostituirten, sich der strengen Aufsicht, die in den
Häusern herrschen wird, zu entziehen, der Leichtsinn und die Genußsucht der
Mädchen, die die Bahn des Lasters erst betreten, werden dem Zuhälterwesen
stets ein Feld offen halten. Die Zuhälter werden daher nicht völlig ver¬
schwinden, und unser Rechtsgefühl fordert strenge Strafe gegen sie. Ein sehr
einfacher und, wie mir scheint, durchaus annehmbarer Vorschlag ist in der
Presse dahin gemacht worden, daß man gegen die Zuhälter die Korrektivns-




*) So, wenigstens nach dein Referenten im Gerichtssaal Bd. 38, S, 140: Die 56, General¬
versammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschast im Jahre 1884. Ich habe das
aus dem besprochenen Bericht d^r Gesellschaft selbst freilich nicht herauslesen können.
**) In dieser Beziehung darf man freilich nicht auf dem Standpunkte jenes Pastoren
stehen, der die Furcht vor der Ansteckung als willkommene Schutzwand gegen die Ausbreitung
des Lasters begrüßt. Welche krasse Werkheiligkeit er damit predigt, hat der Herr wohl selbst
nicht geahnt!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211344"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_515" prev="#ID_514"> von der Straße zu treiben und in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dann<lb/>
kann sie nichts mehr hindern, mit der ganzen Energie vorzugehen, und sie wird<lb/>
sich dem Verlangen, eine klare und folgerichtige Gesetzgebung zur Durchführung zu<lb/>
bringen, nicht mehr mit dem Hinweis darauf entziehen können, daß man Un¬<lb/>
mögliches verlange. Völlig unverständlich ist mir die von sehr beachtenswerter<lb/>
Seite vertretene Meinung, daß für Bordelle nur Gründe der polizeilichen Be¬<lb/>
quemlichkeit sprächen.*) Das Gegenteil davon ist wahr. Leicht wird die Ausgabe<lb/>
der Sittenpolizei dann nicht sein, sie wird es nicht bequemer haben, sie wird<lb/>
vielmehr ernster und energischer vorgehen müssen, und wenn sie selbstverständlich<lb/>
auch nicht jede Übertretung wird verhindern können, so wird sie es doch<lb/>
erreichen, daß zur Ausnahme werden wird, was jetzt Regel ist, daß diese Aus¬<lb/>
nahmen ohne Unterschied von den Gerichten mit der vollen Strenge der Gesetze<lb/>
angesehen werden, und daß man dabei nicht mehr von drei Monaten oder gar<lb/>
drei Tagen Gefängnis hört, wie es jetzt oft genug und nach den Verhältnißen<lb/>
mit gutem Grunde geschieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Schon lange ist die Zulassung öffentlicher Häuser von berufener<lb/>
Seite dringend empfohlen worden. Haben alle Gründe dafür bisher<lb/>
keine Entscheidung herbeiführen können, hat man selbst der fortschreitenden<lb/>
Verseuchung der Nation rat- und thatlos gegenübergestanden,**) so werden<lb/>
jetzt endlich die Enthüllungen des Heinzischen Prozesses hoffentlich den Aus¬<lb/>
schlag geben. Belehre darüber, wohin es bei uns gekommen ist, wird die<lb/>
öffentliche Meinung nicht länger widerstreben, wenn wir mit einem System<lb/>
brechen, das solche Früchte gezeitigt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517" next="#ID_518"> Neben der Zulassung öffentlicher Häuser werden wir aber auch einer aus¬<lb/>
drücklichen Strafbestimmung gegen die Zuhälter nicht entbehren können. Dar¬<lb/>
über dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, daß es jemals gelingen<lb/>
werde, jede Gewerbsnnzucht außerhalb der Bordelle zu verhindern. Das<lb/>
begreifliche Streben der Prostituirten, sich der strengen Aufsicht, die in den<lb/>
Häusern herrschen wird, zu entziehen, der Leichtsinn und die Genußsucht der<lb/>
Mädchen, die die Bahn des Lasters erst betreten, werden dem Zuhälterwesen<lb/>
stets ein Feld offen halten. Die Zuhälter werden daher nicht völlig ver¬<lb/>
schwinden, und unser Rechtsgefühl fordert strenge Strafe gegen sie. Ein sehr<lb/>
einfacher und, wie mir scheint, durchaus annehmbarer Vorschlag ist in der<lb/>
Presse dahin gemacht worden, daß man gegen die Zuhälter die Korrektivns-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) So, wenigstens nach dein Referenten im Gerichtssaal Bd. 38, S, 140: Die 56, General¬<lb/>
versammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschast im Jahre 1884. Ich habe das<lb/>
aus dem besprochenen Bericht d^r Gesellschaft selbst freilich nicht herauslesen können.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> **) In dieser Beziehung darf man freilich nicht auf dem Standpunkte jenes Pastoren<lb/>
stehen, der die Furcht vor der Ansteckung als willkommene Schutzwand gegen die Ausbreitung<lb/>
des Lasters begrüßt. Welche krasse Werkheiligkeit er damit predigt, hat der Herr wohl selbst<lb/>
nicht geahnt!</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] von der Straße zu treiben und in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dann kann sie nichts mehr hindern, mit der ganzen Energie vorzugehen, und sie wird sich dem Verlangen, eine klare und folgerichtige Gesetzgebung zur Durchführung zu bringen, nicht mehr mit dem Hinweis darauf entziehen können, daß man Un¬ mögliches verlange. Völlig unverständlich ist mir die von sehr beachtenswerter Seite vertretene Meinung, daß für Bordelle nur Gründe der polizeilichen Be¬ quemlichkeit sprächen.*) Das Gegenteil davon ist wahr. Leicht wird die Ausgabe der Sittenpolizei dann nicht sein, sie wird es nicht bequemer haben, sie wird vielmehr ernster und energischer vorgehen müssen, und wenn sie selbstverständlich auch nicht jede Übertretung wird verhindern können, so wird sie es doch erreichen, daß zur Ausnahme werden wird, was jetzt Regel ist, daß diese Aus¬ nahmen ohne Unterschied von den Gerichten mit der vollen Strenge der Gesetze angesehen werden, und daß man dabei nicht mehr von drei Monaten oder gar drei Tagen Gefängnis hört, wie es jetzt oft genug und nach den Verhältnißen mit gutem Grunde geschieht. Schon lange ist die Zulassung öffentlicher Häuser von berufener Seite dringend empfohlen worden. Haben alle Gründe dafür bisher keine Entscheidung herbeiführen können, hat man selbst der fortschreitenden Verseuchung der Nation rat- und thatlos gegenübergestanden,**) so werden jetzt endlich die Enthüllungen des Heinzischen Prozesses hoffentlich den Aus¬ schlag geben. Belehre darüber, wohin es bei uns gekommen ist, wird die öffentliche Meinung nicht länger widerstreben, wenn wir mit einem System brechen, das solche Früchte gezeitigt hat. Neben der Zulassung öffentlicher Häuser werden wir aber auch einer aus¬ drücklichen Strafbestimmung gegen die Zuhälter nicht entbehren können. Dar¬ über dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, daß es jemals gelingen werde, jede Gewerbsnnzucht außerhalb der Bordelle zu verhindern. Das begreifliche Streben der Prostituirten, sich der strengen Aufsicht, die in den Häusern herrschen wird, zu entziehen, der Leichtsinn und die Genußsucht der Mädchen, die die Bahn des Lasters erst betreten, werden dem Zuhälterwesen stets ein Feld offen halten. Die Zuhälter werden daher nicht völlig ver¬ schwinden, und unser Rechtsgefühl fordert strenge Strafe gegen sie. Ein sehr einfacher und, wie mir scheint, durchaus annehmbarer Vorschlag ist in der Presse dahin gemacht worden, daß man gegen die Zuhälter die Korrektivns- *) So, wenigstens nach dein Referenten im Gerichtssaal Bd. 38, S, 140: Die 56, General¬ versammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschast im Jahre 1884. Ich habe das aus dem besprochenen Bericht d^r Gesellschaft selbst freilich nicht herauslesen können. **) In dieser Beziehung darf man freilich nicht auf dem Standpunkte jenes Pastoren stehen, der die Furcht vor der Ansteckung als willkommene Schutzwand gegen die Ausbreitung des Lasters begrüßt. Welche krasse Werkheiligkeit er damit predigt, hat der Herr wohl selbst nicht geahnt!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/176>, abgerufen am 23.07.2024.