Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Ordnung und Ruhe noch zu wünschen übrig, wo solche Gebote in Geltung In dieser steten Flucht vor der Polizei tritt nun als willkommener Be¬ Ordnung und Ruhe noch zu wünschen übrig, wo solche Gebote in Geltung In dieser steten Flucht vor der Polizei tritt nun als willkommener Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211340"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_507" prev="#ID_506"> Ordnung und Ruhe noch zu wünschen übrig, wo solche Gebote in Geltung<lb/> sind, wenn nicht das eine: daß sie auch befolgt würden! Das aber ist leider<lb/> unmöglich. Es ist vollständig ausgeschlossen, daß bei unserm System der<lb/> Prostitution die Dirnen diesen Bestimmungen nachlebten, bei unserm System,<lb/> wo sie bald für sich in möblirten Zimmern, bald in häuslicher Gemeinschaft<lb/> mit den Vermietern, hier einzeln, dort in Haufen, hier straßenwärts<lb/> elegant, dort in dem entlegensten Raume einer verlorenen Hofwohnung Hausen.<lb/> Wie will man da solche Beschränkungen durchführen? Man könnte die<lb/> Mädchen zwingen, ja, wenn man neben jede einen Schutzmann stellte, der<lb/> sie mit seiner Fäuste Gewalt in ihren vier Wänden festhielte. So aber sind<lb/> die Übertretungen im weitesten Umfange gar nicht zu verhindern, und wenn<lb/> eine Dirne darin vorangeht, so muß die andre folgen, und wenn ein<lb/> Mädchen gewissenhaft oder furchtsam genug wäre, zurückzubleiben, die Ver¬<lb/> zweiflung des Hungers würde sie doch auf die Straße treiben. Darüber ist<lb/> man sich aber auch bei den Behörden vollkommen klar, man weiß, daß man<lb/> die Befolgung nicht durchführen kann, und man will das auch gar nicht. Der<lb/> Schutzmann, der in seinem Revier streng auf die Durchführung halten wollte,<lb/> würde sicherlich bald als sehr gewissenhafter, aber doch etwas übereifriger<lb/> Beamter von diesem Platz entfernt werden. Es wäre ja in der That auch<lb/> nur lächerlich, erst die Prostitution zuzulassen, weil sie trotz ihrer Abscheulich¬<lb/> keit nicht entbehrt werden kann, und dann sie so zu verstecken, daß sie nie¬<lb/> mand zu finden vermag. Man drückt also ein Auge zu, der Brei wird nicht<lb/> so heiß gegessen, wie er eingebrockt ist, und was man damit thatsächlich er¬<lb/> reicht, ist die unbeschränkte absoluteste Willkürherrschaft der Polizei. Das wäre<lb/> nun noch zu ertragen, wenn damit lediglich in die Hände des Chefs eine<lb/> diskretionäre Gewalt gelegt wäre, sodaß dieser die Zügel bald schärfer an¬<lb/> ziehen, bald wieder nachlassen könnte. Das System bringt es aber leider mit<lb/> sich, daß diese diskretionäre Gewalt viel weniger beim Chef, als gerade bei<lb/> den untersten Aufsichtsbeamten liegt. So ist es in der That die gewiß oft<lb/> durch die Weisungen der Oberbehörden geregelte, oft aber auch nur der<lb/> eigensten Entschließung folgende Willkür der Nachtwächter, der die Dirnen<lb/> auf Gnade oder Ungnade überliefert sind. Gezwungen so, das Gesetz zu über¬<lb/> treten, gewöhnt, es nnter den Augen der Polizei zu thun, leben sie in steter<lb/> Gefahr, ungewiß, wann es einmal den Beamten einfallen wird, zuzugreifen,<lb/> leben sie wie das Wild ans dem Felde, das, heute noch geschont, morgen<lb/> schon von seinem Schicksal ereilt werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> In dieser steten Flucht vor der Polizei tritt nun als willkommener Be¬<lb/> schützer der Louis auf. Nicht, wie es in dem Urteil mancher Gerichte heißt,<lb/> um den Mädchen Männer zuzuführen — denn den Liebeswerbungen eines<lb/> Zuhälters gegenüber dürfte sich die Männerwelt allgemein eher abgeneigt<lb/> zeigen — nicht, um Mädchen auf Männer aufmerksam zu machen — denn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
Ordnung und Ruhe noch zu wünschen übrig, wo solche Gebote in Geltung
sind, wenn nicht das eine: daß sie auch befolgt würden! Das aber ist leider
unmöglich. Es ist vollständig ausgeschlossen, daß bei unserm System der
Prostitution die Dirnen diesen Bestimmungen nachlebten, bei unserm System,
wo sie bald für sich in möblirten Zimmern, bald in häuslicher Gemeinschaft
mit den Vermietern, hier einzeln, dort in Haufen, hier straßenwärts
elegant, dort in dem entlegensten Raume einer verlorenen Hofwohnung Hausen.
Wie will man da solche Beschränkungen durchführen? Man könnte die
Mädchen zwingen, ja, wenn man neben jede einen Schutzmann stellte, der
sie mit seiner Fäuste Gewalt in ihren vier Wänden festhielte. So aber sind
die Übertretungen im weitesten Umfange gar nicht zu verhindern, und wenn
eine Dirne darin vorangeht, so muß die andre folgen, und wenn ein
Mädchen gewissenhaft oder furchtsam genug wäre, zurückzubleiben, die Ver¬
zweiflung des Hungers würde sie doch auf die Straße treiben. Darüber ist
man sich aber auch bei den Behörden vollkommen klar, man weiß, daß man
die Befolgung nicht durchführen kann, und man will das auch gar nicht. Der
Schutzmann, der in seinem Revier streng auf die Durchführung halten wollte,
würde sicherlich bald als sehr gewissenhafter, aber doch etwas übereifriger
Beamter von diesem Platz entfernt werden. Es wäre ja in der That auch
nur lächerlich, erst die Prostitution zuzulassen, weil sie trotz ihrer Abscheulich¬
keit nicht entbehrt werden kann, und dann sie so zu verstecken, daß sie nie¬
mand zu finden vermag. Man drückt also ein Auge zu, der Brei wird nicht
so heiß gegessen, wie er eingebrockt ist, und was man damit thatsächlich er¬
reicht, ist die unbeschränkte absoluteste Willkürherrschaft der Polizei. Das wäre
nun noch zu ertragen, wenn damit lediglich in die Hände des Chefs eine
diskretionäre Gewalt gelegt wäre, sodaß dieser die Zügel bald schärfer an¬
ziehen, bald wieder nachlassen könnte. Das System bringt es aber leider mit
sich, daß diese diskretionäre Gewalt viel weniger beim Chef, als gerade bei
den untersten Aufsichtsbeamten liegt. So ist es in der That die gewiß oft
durch die Weisungen der Oberbehörden geregelte, oft aber auch nur der
eigensten Entschließung folgende Willkür der Nachtwächter, der die Dirnen
auf Gnade oder Ungnade überliefert sind. Gezwungen so, das Gesetz zu über¬
treten, gewöhnt, es nnter den Augen der Polizei zu thun, leben sie in steter
Gefahr, ungewiß, wann es einmal den Beamten einfallen wird, zuzugreifen,
leben sie wie das Wild ans dem Felde, das, heute noch geschont, morgen
schon von seinem Schicksal ereilt werden kann.
In dieser steten Flucht vor der Polizei tritt nun als willkommener Be¬
schützer der Louis auf. Nicht, wie es in dem Urteil mancher Gerichte heißt,
um den Mädchen Männer zuzuführen — denn den Liebeswerbungen eines
Zuhälters gegenüber dürfte sich die Männerwelt allgemein eher abgeneigt
zeigen — nicht, um Mädchen auf Männer aufmerksam zu machen — denn
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