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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Zuhälterwesen und die Gesetzgebung

Auf den ersten Blick hat diese Erscheinung etwas Rätselhaftes. Das
Verhältnis der Dirne zu ihrem Beschützer beruht nur in Ausnahmefällen auf
persönlicher Zuneigung. Meist ist ihr der Mensch zum mindesten gleichgiltig.
Der "Louis" arbeitet nicht oder so gut wie nicht, dabei lebt er aber herrlich
und in Freuden, ißt und trinkt gut und kleidet sich gern nach seinen Be¬
griffen fein. Dazu braucht er natürlich viel Geld, und das muß ihm die Dirne
mit ihrem Verdienst schaffen. Er überwacht sie sehr genau, weiß stets, ob
sie Geld verdient hat, und ist unerbittlich darin, es ihr abzunehmen. Giebt
sie es nicht gutwillig, dann ist sie seinen Mißhandlungen ausgesetzt und wird
dazu gezwungen. Was in aller Welt, fragt man, kann das Mädchen veran¬
lassen, ein solches Verhältnis einzugehen! Die Antwort ist einfach: sie ist ge¬
zwungen dazu, gezwungen durch die Halbheit unsrer Gesetzgebung, durch den
Rechtszustnnd, in dem sie lebt!

Rechtszustand ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, es ist das Gegen¬
teil davon, der Zustand völliger Rechtlosigkeit. Schon der eben besprochene
Widersinn, der in der ausnahmslosen Strafbarkeit der Kuppelei liegt, schlägt
dahin. Es ist den Dirnen nicht verboten, Unzucht zu treiben, sie wissen aber
und bekommen es zu fühlen, daß jeder sich strafbar macht, der ihnen die
unentbehrlichen Räumlichkeiten dazu gewährt. Je gefährlicher es ist, Zimmer
an sie zu vermieten, je unsicherer das Geschäft ist, um so höher steigen
natürlich die Preise -- sie erreichen oft eine verblüffende Höhe --, desto
schwieriger wird es für sie, Unterkommen zu finden, das sie doch unbedingt
haben müssen, wenn sie nicht öffentlicher Strafe, morale- und jahrelanger
Korrektionshaft verfallen wollen. Muß schon diese Unsicherheit ihrer Lage
in ihnen das natürliche Bedürfnis des Weibes nach einem männlichen Schutz
steigern, so kommt viel wesentlicher noch etwas andres in Betracht.

Der Gesetzgeber bestimmt die sittenpolizeiliche Kontrolle, aber er sagt
nichts über die Art und Weise der Ausführung. Er überläßt das
ganz und gar den Anordnungen der örtlichen Polizeibehörden. Man möchte
sich nun auf den ersten Blick vollkommen damit einverstanden erklären, wenn
diese die Kontrollmädchen den weitgehendsten Beschränkungen unterwerfen.
Bei näherm Zusehen zeigt sich aber das Bild in etwas andern: Lichte. Neben
audern Geboten und Verboten, die hier nicht von Belang sind, kehren wohl
liberall folgende Bestimmungen wieder. Es ist den Mädchen verboten: sich auf
den Straßen herumzutreiben, auf den Hauptstraßen sich überhaupt sehen zu
lassen, uach Eintritt der Dunkelheit ihre Wohnung zu verlassen, sich in den
Wohnungen zum Fenster hinauszulegen oder gar sich in die Hausthür zu
stellen. Auch an den Fenstern dürfen sie sich nicht sehen lassen, diese sind
geschlossen zu halten und müssen verhängt sein, auch dürfen sie nicht auf¬
fallend erleuchtet sein. Sind das nicht, fast möchte man sagen ideale Zustünde,
die uns aus diesen Bestimmungen entgegenleuchten? Was bliebe an öffentlicher


Das Zuhälterwesen und die Gesetzgebung

Auf den ersten Blick hat diese Erscheinung etwas Rätselhaftes. Das
Verhältnis der Dirne zu ihrem Beschützer beruht nur in Ausnahmefällen auf
persönlicher Zuneigung. Meist ist ihr der Mensch zum mindesten gleichgiltig.
Der „Louis" arbeitet nicht oder so gut wie nicht, dabei lebt er aber herrlich
und in Freuden, ißt und trinkt gut und kleidet sich gern nach seinen Be¬
griffen fein. Dazu braucht er natürlich viel Geld, und das muß ihm die Dirne
mit ihrem Verdienst schaffen. Er überwacht sie sehr genau, weiß stets, ob
sie Geld verdient hat, und ist unerbittlich darin, es ihr abzunehmen. Giebt
sie es nicht gutwillig, dann ist sie seinen Mißhandlungen ausgesetzt und wird
dazu gezwungen. Was in aller Welt, fragt man, kann das Mädchen veran¬
lassen, ein solches Verhältnis einzugehen! Die Antwort ist einfach: sie ist ge¬
zwungen dazu, gezwungen durch die Halbheit unsrer Gesetzgebung, durch den
Rechtszustnnd, in dem sie lebt!

Rechtszustand ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, es ist das Gegen¬
teil davon, der Zustand völliger Rechtlosigkeit. Schon der eben besprochene
Widersinn, der in der ausnahmslosen Strafbarkeit der Kuppelei liegt, schlägt
dahin. Es ist den Dirnen nicht verboten, Unzucht zu treiben, sie wissen aber
und bekommen es zu fühlen, daß jeder sich strafbar macht, der ihnen die
unentbehrlichen Räumlichkeiten dazu gewährt. Je gefährlicher es ist, Zimmer
an sie zu vermieten, je unsicherer das Geschäft ist, um so höher steigen
natürlich die Preise — sie erreichen oft eine verblüffende Höhe —, desto
schwieriger wird es für sie, Unterkommen zu finden, das sie doch unbedingt
haben müssen, wenn sie nicht öffentlicher Strafe, morale- und jahrelanger
Korrektionshaft verfallen wollen. Muß schon diese Unsicherheit ihrer Lage
in ihnen das natürliche Bedürfnis des Weibes nach einem männlichen Schutz
steigern, so kommt viel wesentlicher noch etwas andres in Betracht.

Der Gesetzgeber bestimmt die sittenpolizeiliche Kontrolle, aber er sagt
nichts über die Art und Weise der Ausführung. Er überläßt das
ganz und gar den Anordnungen der örtlichen Polizeibehörden. Man möchte
sich nun auf den ersten Blick vollkommen damit einverstanden erklären, wenn
diese die Kontrollmädchen den weitgehendsten Beschränkungen unterwerfen.
Bei näherm Zusehen zeigt sich aber das Bild in etwas andern: Lichte. Neben
audern Geboten und Verboten, die hier nicht von Belang sind, kehren wohl
liberall folgende Bestimmungen wieder. Es ist den Mädchen verboten: sich auf
den Straßen herumzutreiben, auf den Hauptstraßen sich überhaupt sehen zu
lassen, uach Eintritt der Dunkelheit ihre Wohnung zu verlassen, sich in den
Wohnungen zum Fenster hinauszulegen oder gar sich in die Hausthür zu
stellen. Auch an den Fenstern dürfen sie sich nicht sehen lassen, diese sind
geschlossen zu halten und müssen verhängt sein, auch dürfen sie nicht auf¬
fallend erleuchtet sein. Sind das nicht, fast möchte man sagen ideale Zustünde,
die uns aus diesen Bestimmungen entgegenleuchten? Was bliebe an öffentlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/171>, abgerufen am 23.07.2024.