Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

schubleistuug der Unzucht, insofern sie aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig
geschieht, untersagt, nicht am Platze ist" -- einem Mustersatze für jene
Rechtsprechung, die am grünen Tisch jede Fühlung mit dem wirklichen Leben
ablehnt und sich obendrein noch etwas zu gute thut auf die unbestreitbare
Folgerichtigkeit ihrer Sätze. Aber wenn auch kein logischer Widerspruch vor-
handen ist und das Reichsgericht in der Sache nicht anders entscheiden konnte,
so ist es doch ein thatsächlicher Widerspruch, ein Widersinn, der selbst dem
weniger feinen Rechtsgefühl des hier in Betracht kommenden Publikums ge¬
radezu ins Gesicht schlägt. Jeder, der die Praxis der Kuppeleiprozesfe kennt,
wird mir darin beistimmen, daß es eine geradezu unwürdige Rolle ist, zu der
dieser Paragraph 180 deu Staatsanwnlt und das Gericht verurteilt. Eine
Kupplerin kann ihr Gewerbe unter den Augen des Gesetzes betreiben -- und
wenn sie das thut, gehört sie noch zu deu bessern und ungefährlicherer Ver¬
treterinnen ihres Standes sie begiebt sich fein still in den Stadtteil, wohin die
Behörden die Prostitution verpflanzen möchten, sie meldet gewissenhaft jede
Dirne an, die bei ihr Quartier nimmt, und trägt dadurch zu ihrem Teil
redlich und ersprießlich zur Durchführung einer wirksamen Aufsicht bei. So
lebt und treibt sie es in Frieden mit der Polizei, die froh ist, für ihre
Zwecke eine so loyale Person zu besitzen, bis es eines schönen Tages dem
Nachbar aus Ärger oder Neid einfällt, zwei Zeilen an den Staatsanwalt
zu richten, und ^- der Strafprozeß beginnt, der nicht anders als mit
einer Verurteilung enden kann. Wenn daun das Weib vor Gericht steht,
und mehr empfunden vielleicht als klar gedacht aus ihren verworrenen
Reden die Fragen herausklingen: Mein Gott! wie ist mir denn, sehe ich denn
nicht täglich Dirnen mit Genehmigung der Polizei ihr Gewerbe treiben, muß
denn, wenn Unzucht betrieben wird, sie nicht irgendwo betrieben werden, habe
ich denn nicht alles aufs gewissenhafteste gethan, was man von mir ver¬
langte, und hängt es denn wirklich nur von der Gnade meiner übel¬
wollenden Nachbarn ab, ob ich mein Gewerbe treiben kann, das freilich nicht
sauber ist, das aber doch geduldet wird, und das andre treiben dürfen?
Wenn so das Weib vor uns steht und ihr Urteil empfangt, wen, frage ich,
ergreift dann wohl tiefer das Gefühl der Beschämung, sie, das unwissende
kupplerische Weib ob ihres schändlichen Gewerbes, oder uns, die hochgebil¬
deten Richter, die wir ihr die Strafen einer innerlich so unwahren Gesetzgebung
zudiktiren müssen! Man spricht so viel von der Aufgabe der Besserung, die
gerade hier dem Staate zufalle; sollte eine derartige Behandlung wohl das
richtige Mittel sein, den Menschen zur innern Umkehr zu bewegen? Doch
genug hiervon: wir haben eine Prostitution, und dank den Gesetzen, die die
menschliche Natur beherrsche!!, wird weidlich vou ihr Gebrauch gemacht.
Mit ihr aber, wider die Absicht des Gesetzes und in so erschreckendem Maße
hat sich das Zuhältertum entwickelt.


schubleistuug der Unzucht, insofern sie aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig
geschieht, untersagt, nicht am Platze ist" — einem Mustersatze für jene
Rechtsprechung, die am grünen Tisch jede Fühlung mit dem wirklichen Leben
ablehnt und sich obendrein noch etwas zu gute thut auf die unbestreitbare
Folgerichtigkeit ihrer Sätze. Aber wenn auch kein logischer Widerspruch vor-
handen ist und das Reichsgericht in der Sache nicht anders entscheiden konnte,
so ist es doch ein thatsächlicher Widerspruch, ein Widersinn, der selbst dem
weniger feinen Rechtsgefühl des hier in Betracht kommenden Publikums ge¬
radezu ins Gesicht schlägt. Jeder, der die Praxis der Kuppeleiprozesfe kennt,
wird mir darin beistimmen, daß es eine geradezu unwürdige Rolle ist, zu der
dieser Paragraph 180 deu Staatsanwnlt und das Gericht verurteilt. Eine
Kupplerin kann ihr Gewerbe unter den Augen des Gesetzes betreiben — und
wenn sie das thut, gehört sie noch zu deu bessern und ungefährlicherer Ver¬
treterinnen ihres Standes sie begiebt sich fein still in den Stadtteil, wohin die
Behörden die Prostitution verpflanzen möchten, sie meldet gewissenhaft jede
Dirne an, die bei ihr Quartier nimmt, und trägt dadurch zu ihrem Teil
redlich und ersprießlich zur Durchführung einer wirksamen Aufsicht bei. So
lebt und treibt sie es in Frieden mit der Polizei, die froh ist, für ihre
Zwecke eine so loyale Person zu besitzen, bis es eines schönen Tages dem
Nachbar aus Ärger oder Neid einfällt, zwei Zeilen an den Staatsanwalt
zu richten, und ^- der Strafprozeß beginnt, der nicht anders als mit
einer Verurteilung enden kann. Wenn daun das Weib vor Gericht steht,
und mehr empfunden vielleicht als klar gedacht aus ihren verworrenen
Reden die Fragen herausklingen: Mein Gott! wie ist mir denn, sehe ich denn
nicht täglich Dirnen mit Genehmigung der Polizei ihr Gewerbe treiben, muß
denn, wenn Unzucht betrieben wird, sie nicht irgendwo betrieben werden, habe
ich denn nicht alles aufs gewissenhafteste gethan, was man von mir ver¬
langte, und hängt es denn wirklich nur von der Gnade meiner übel¬
wollenden Nachbarn ab, ob ich mein Gewerbe treiben kann, das freilich nicht
sauber ist, das aber doch geduldet wird, und das andre treiben dürfen?
Wenn so das Weib vor uns steht und ihr Urteil empfangt, wen, frage ich,
ergreift dann wohl tiefer das Gefühl der Beschämung, sie, das unwissende
kupplerische Weib ob ihres schändlichen Gewerbes, oder uns, die hochgebil¬
deten Richter, die wir ihr die Strafen einer innerlich so unwahren Gesetzgebung
zudiktiren müssen! Man spricht so viel von der Aufgabe der Besserung, die
gerade hier dem Staate zufalle; sollte eine derartige Behandlung wohl das
richtige Mittel sein, den Menschen zur innern Umkehr zu bewegen? Doch
genug hiervon: wir haben eine Prostitution, und dank den Gesetzen, die die
menschliche Natur beherrsche!!, wird weidlich vou ihr Gebrauch gemacht.
Mit ihr aber, wider die Absicht des Gesetzes und in so erschreckendem Maße
hat sich das Zuhältertum entwickelt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211338"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_503" prev="#ID_502"> schubleistuug der Unzucht, insofern sie aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig<lb/>
geschieht, untersagt, nicht am Platze ist" &#x2014; einem Mustersatze für jene<lb/>
Rechtsprechung, die am grünen Tisch jede Fühlung mit dem wirklichen Leben<lb/>
ablehnt und sich obendrein noch etwas zu gute thut auf die unbestreitbare<lb/>
Folgerichtigkeit ihrer Sätze. Aber wenn auch kein logischer Widerspruch vor-<lb/>
handen ist und das Reichsgericht in der Sache nicht anders entscheiden konnte,<lb/>
so ist es doch ein thatsächlicher Widerspruch, ein Widersinn, der selbst dem<lb/>
weniger feinen Rechtsgefühl des hier in Betracht kommenden Publikums ge¬<lb/>
radezu ins Gesicht schlägt. Jeder, der die Praxis der Kuppeleiprozesfe kennt,<lb/>
wird mir darin beistimmen, daß es eine geradezu unwürdige Rolle ist, zu der<lb/>
dieser Paragraph 180 deu Staatsanwnlt und das Gericht verurteilt. Eine<lb/>
Kupplerin kann ihr Gewerbe unter den Augen des Gesetzes betreiben &#x2014; und<lb/>
wenn sie das thut, gehört sie noch zu deu bessern und ungefährlicherer Ver¬<lb/>
treterinnen ihres Standes sie begiebt sich fein still in den Stadtteil, wohin die<lb/>
Behörden die Prostitution verpflanzen möchten, sie meldet gewissenhaft jede<lb/>
Dirne an, die bei ihr Quartier nimmt, und trägt dadurch zu ihrem Teil<lb/>
redlich und ersprießlich zur Durchführung einer wirksamen Aufsicht bei. So<lb/>
lebt und treibt sie es in Frieden mit der Polizei, die froh ist, für ihre<lb/>
Zwecke eine so loyale Person zu besitzen, bis es eines schönen Tages dem<lb/>
Nachbar aus Ärger oder Neid einfällt, zwei Zeilen an den Staatsanwalt<lb/>
zu richten, und ^- der Strafprozeß beginnt, der nicht anders als mit<lb/>
einer Verurteilung enden kann. Wenn daun das Weib vor Gericht steht,<lb/>
und mehr empfunden vielleicht als klar gedacht aus ihren verworrenen<lb/>
Reden die Fragen herausklingen: Mein Gott! wie ist mir denn, sehe ich denn<lb/>
nicht täglich Dirnen mit Genehmigung der Polizei ihr Gewerbe treiben, muß<lb/>
denn, wenn Unzucht betrieben wird, sie nicht irgendwo betrieben werden, habe<lb/>
ich denn nicht alles aufs gewissenhafteste gethan, was man von mir ver¬<lb/>
langte, und hängt es denn wirklich nur von der Gnade meiner übel¬<lb/>
wollenden Nachbarn ab, ob ich mein Gewerbe treiben kann, das freilich nicht<lb/>
sauber ist, das aber doch geduldet wird, und das andre treiben dürfen?<lb/>
Wenn so das Weib vor uns steht und ihr Urteil empfangt, wen, frage ich,<lb/>
ergreift dann wohl tiefer das Gefühl der Beschämung, sie, das unwissende<lb/>
kupplerische Weib ob ihres schändlichen Gewerbes, oder uns, die hochgebil¬<lb/>
deten Richter, die wir ihr die Strafen einer innerlich so unwahren Gesetzgebung<lb/>
zudiktiren müssen! Man spricht so viel von der Aufgabe der Besserung, die<lb/>
gerade hier dem Staate zufalle; sollte eine derartige Behandlung wohl das<lb/>
richtige Mittel sein, den Menschen zur innern Umkehr zu bewegen? Doch<lb/>
genug hiervon: wir haben eine Prostitution, und dank den Gesetzen, die die<lb/>
menschliche Natur beherrsche!!, wird weidlich vou ihr Gebrauch gemacht.<lb/>
Mit ihr aber, wider die Absicht des Gesetzes und in so erschreckendem Maße<lb/>
hat sich das Zuhältertum entwickelt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] schubleistuug der Unzucht, insofern sie aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig geschieht, untersagt, nicht am Platze ist" — einem Mustersatze für jene Rechtsprechung, die am grünen Tisch jede Fühlung mit dem wirklichen Leben ablehnt und sich obendrein noch etwas zu gute thut auf die unbestreitbare Folgerichtigkeit ihrer Sätze. Aber wenn auch kein logischer Widerspruch vor- handen ist und das Reichsgericht in der Sache nicht anders entscheiden konnte, so ist es doch ein thatsächlicher Widerspruch, ein Widersinn, der selbst dem weniger feinen Rechtsgefühl des hier in Betracht kommenden Publikums ge¬ radezu ins Gesicht schlägt. Jeder, der die Praxis der Kuppeleiprozesfe kennt, wird mir darin beistimmen, daß es eine geradezu unwürdige Rolle ist, zu der dieser Paragraph 180 deu Staatsanwnlt und das Gericht verurteilt. Eine Kupplerin kann ihr Gewerbe unter den Augen des Gesetzes betreiben — und wenn sie das thut, gehört sie noch zu deu bessern und ungefährlicherer Ver¬ treterinnen ihres Standes sie begiebt sich fein still in den Stadtteil, wohin die Behörden die Prostitution verpflanzen möchten, sie meldet gewissenhaft jede Dirne an, die bei ihr Quartier nimmt, und trägt dadurch zu ihrem Teil redlich und ersprießlich zur Durchführung einer wirksamen Aufsicht bei. So lebt und treibt sie es in Frieden mit der Polizei, die froh ist, für ihre Zwecke eine so loyale Person zu besitzen, bis es eines schönen Tages dem Nachbar aus Ärger oder Neid einfällt, zwei Zeilen an den Staatsanwalt zu richten, und ^- der Strafprozeß beginnt, der nicht anders als mit einer Verurteilung enden kann. Wenn daun das Weib vor Gericht steht, und mehr empfunden vielleicht als klar gedacht aus ihren verworrenen Reden die Fragen herausklingen: Mein Gott! wie ist mir denn, sehe ich denn nicht täglich Dirnen mit Genehmigung der Polizei ihr Gewerbe treiben, muß denn, wenn Unzucht betrieben wird, sie nicht irgendwo betrieben werden, habe ich denn nicht alles aufs gewissenhafteste gethan, was man von mir ver¬ langte, und hängt es denn wirklich nur von der Gnade meiner übel¬ wollenden Nachbarn ab, ob ich mein Gewerbe treiben kann, das freilich nicht sauber ist, das aber doch geduldet wird, und das andre treiben dürfen? Wenn so das Weib vor uns steht und ihr Urteil empfangt, wen, frage ich, ergreift dann wohl tiefer das Gefühl der Beschämung, sie, das unwissende kupplerische Weib ob ihres schändlichen Gewerbes, oder uns, die hochgebil¬ deten Richter, die wir ihr die Strafen einer innerlich so unwahren Gesetzgebung zudiktiren müssen! Man spricht so viel von der Aufgabe der Besserung, die gerade hier dem Staate zufalle; sollte eine derartige Behandlung wohl das richtige Mittel sein, den Menschen zur innern Umkehr zu bewegen? Doch genug hiervon: wir haben eine Prostitution, und dank den Gesetzen, die die menschliche Natur beherrsche!!, wird weidlich vou ihr Gebrauch gemacht. Mit ihr aber, wider die Absicht des Gesetzes und in so erschreckendem Maße hat sich das Zuhältertum entwickelt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/170>, abgerufen am 23.07.2024.