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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zum Trunksuchtsgesetzentwurf

user bestehendes bürgerliches Strafrecht schreitet gegen die Trunk¬
sucht unmittelbar nur ein, indem es Trunkenheit im Schiffsdienst
bestraft fez 84 der Seemannsordnung), und mittelbar in dem Falle,
wenn sich jemand dem Trunke dergestalt hingiebt, daß er in einen
Zustand gerät, wo zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derer,
zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde
Hilfe in Anspuch genommen werden muß (Neichsstrafgesetzbuch dz 3K1 Ur. 5,.
Außerdem mag die Strafandrohung wegen Beriibnng groben Unfugs 360
Ur. I I a. a. O.) gelegentlich eine Handhabe zur Bestrafung von Personen
bieten, die in trnnknem Zustande dem Publikum lästig fallen. Mit der ans
diesen Gesetzesvorschriften sich ergebenden Beschränkung und von dem seltnen
Vorkommnis abgesehen, daß sich ein Übelthäter nachweislich sträflichen
Mut getrunken hat, bringt die bürgerliche Strafjustiz -- und nur mit dieser
beschäftigen wir uns hier -- dem Laster der Trunksucht nur Wohlwollen ent¬
gegen, indem sie der großen Schar von Angeklagten, denen der Nachweis ge¬
lingt, daß sie bei Begehung der That betrunken oder doch wenigstens angetrunken
gewesen sind, grundsätzlich eine mildere Bestrafung angedeihen läßt als dem nüch¬
ternen Thäter, und den, der sich durch Trunk zeitweilig ganz um den Verstand ge¬
bracht hat, sodaß er die That in unzurechnungsfähigen Zustande begangen hat,
nach § 51 a. a. O. völlige Straffreiheit genießen läßt. Wenn somit in der
Praxis unsrer Strafgerichte bis auf deu heutigen Tag die Trunksucht nicht
sowohl einen Gegenstand der Verfolgung als vielmehr einen Schild der Ge¬
rechtigkeit bildete, so wird gewiß jeder, der von der ebenso tief als weit greifenden
Schädigung, die dieses Laster dem leiblichen Wohl, der Sitte, dem Wohlstand
und der Rechtsordnung zufügt, nur annähernd eine Vorstellung besitzt, einen
solche" Rechtszustand als beklagenswert und einer Änderung dringend bedürftig
betrachten. Diesem Bedürfnis will der Gesetzentwurf in anerkennenswerter Ab¬
sicht dadurch gerecht werden, daß er unter gewissen Voraussetzungen sowohl
die Bestrafung des Trunksüchtigen selbst als derer, die die Trunksucht fördern
und ihr Vorschub leisten, in Aussicht nimmt.

Man hat dagegen eingewandt, der Entwurf wolle ein Klassengesetz schaffen,
denn durch seiue Strafbestimmungen gegen die Trunksüchtigen werde vorwiegend


Grenzboten I 1892 2


Zum Trunksuchtsgesetzentwurf

user bestehendes bürgerliches Strafrecht schreitet gegen die Trunk¬
sucht unmittelbar nur ein, indem es Trunkenheit im Schiffsdienst
bestraft fez 84 der Seemannsordnung), und mittelbar in dem Falle,
wenn sich jemand dem Trunke dergestalt hingiebt, daß er in einen
Zustand gerät, wo zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derer,
zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde
Hilfe in Anspuch genommen werden muß (Neichsstrafgesetzbuch dz 3K1 Ur. 5,.
Außerdem mag die Strafandrohung wegen Beriibnng groben Unfugs 360
Ur. I I a. a. O.) gelegentlich eine Handhabe zur Bestrafung von Personen
bieten, die in trnnknem Zustande dem Publikum lästig fallen. Mit der ans
diesen Gesetzesvorschriften sich ergebenden Beschränkung und von dem seltnen
Vorkommnis abgesehen, daß sich ein Übelthäter nachweislich sträflichen
Mut getrunken hat, bringt die bürgerliche Strafjustiz — und nur mit dieser
beschäftigen wir uns hier — dem Laster der Trunksucht nur Wohlwollen ent¬
gegen, indem sie der großen Schar von Angeklagten, denen der Nachweis ge¬
lingt, daß sie bei Begehung der That betrunken oder doch wenigstens angetrunken
gewesen sind, grundsätzlich eine mildere Bestrafung angedeihen läßt als dem nüch¬
ternen Thäter, und den, der sich durch Trunk zeitweilig ganz um den Verstand ge¬
bracht hat, sodaß er die That in unzurechnungsfähigen Zustande begangen hat,
nach § 51 a. a. O. völlige Straffreiheit genießen läßt. Wenn somit in der
Praxis unsrer Strafgerichte bis auf deu heutigen Tag die Trunksucht nicht
sowohl einen Gegenstand der Verfolgung als vielmehr einen Schild der Ge¬
rechtigkeit bildete, so wird gewiß jeder, der von der ebenso tief als weit greifenden
Schädigung, die dieses Laster dem leiblichen Wohl, der Sitte, dem Wohlstand
und der Rechtsordnung zufügt, nur annähernd eine Vorstellung besitzt, einen
solche» Rechtszustand als beklagenswert und einer Änderung dringend bedürftig
betrachten. Diesem Bedürfnis will der Gesetzentwurf in anerkennenswerter Ab¬
sicht dadurch gerecht werden, daß er unter gewissen Voraussetzungen sowohl
die Bestrafung des Trunksüchtigen selbst als derer, die die Trunksucht fördern
und ihr Vorschub leisten, in Aussicht nimmt.

Man hat dagegen eingewandt, der Entwurf wolle ein Klassengesetz schaffen,
denn durch seiue Strafbestimmungen gegen die Trunksüchtigen werde vorwiegend


Grenzboten I 1892 2
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[0017] [Abbildung] Zum Trunksuchtsgesetzentwurf user bestehendes bürgerliches Strafrecht schreitet gegen die Trunk¬ sucht unmittelbar nur ein, indem es Trunkenheit im Schiffsdienst bestraft fez 84 der Seemannsordnung), und mittelbar in dem Falle, wenn sich jemand dem Trunke dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand gerät, wo zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derer, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspuch genommen werden muß (Neichsstrafgesetzbuch dz 3K1 Ur. 5,. Außerdem mag die Strafandrohung wegen Beriibnng groben Unfugs 360 Ur. I I a. a. O.) gelegentlich eine Handhabe zur Bestrafung von Personen bieten, die in trnnknem Zustande dem Publikum lästig fallen. Mit der ans diesen Gesetzesvorschriften sich ergebenden Beschränkung und von dem seltnen Vorkommnis abgesehen, daß sich ein Übelthäter nachweislich sträflichen Mut getrunken hat, bringt die bürgerliche Strafjustiz — und nur mit dieser beschäftigen wir uns hier — dem Laster der Trunksucht nur Wohlwollen ent¬ gegen, indem sie der großen Schar von Angeklagten, denen der Nachweis ge¬ lingt, daß sie bei Begehung der That betrunken oder doch wenigstens angetrunken gewesen sind, grundsätzlich eine mildere Bestrafung angedeihen läßt als dem nüch¬ ternen Thäter, und den, der sich durch Trunk zeitweilig ganz um den Verstand ge¬ bracht hat, sodaß er die That in unzurechnungsfähigen Zustande begangen hat, nach § 51 a. a. O. völlige Straffreiheit genießen läßt. Wenn somit in der Praxis unsrer Strafgerichte bis auf deu heutigen Tag die Trunksucht nicht sowohl einen Gegenstand der Verfolgung als vielmehr einen Schild der Ge¬ rechtigkeit bildete, so wird gewiß jeder, der von der ebenso tief als weit greifenden Schädigung, die dieses Laster dem leiblichen Wohl, der Sitte, dem Wohlstand und der Rechtsordnung zufügt, nur annähernd eine Vorstellung besitzt, einen solche» Rechtszustand als beklagenswert und einer Änderung dringend bedürftig betrachten. Diesem Bedürfnis will der Gesetzentwurf in anerkennenswerter Ab¬ sicht dadurch gerecht werden, daß er unter gewissen Voraussetzungen sowohl die Bestrafung des Trunksüchtigen selbst als derer, die die Trunksucht fördern und ihr Vorschub leisten, in Aussicht nimmt. Man hat dagegen eingewandt, der Entwurf wolle ein Klassengesetz schaffen, denn durch seiue Strafbestimmungen gegen die Trunksüchtigen werde vorwiegend Grenzboten I 1892 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/17>, abgerufen am 23.07.2024.