Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Gilgen Richters sozialdemokratische Zukunftsbilder zeichnet überhaupt diesen Neporterstil; S. 7: der Bedarf an Meistern ist el" Zum richtigen Nepvrterstil gehören auch Provinzialismen und Berv- Aber es würde dem Stil, den wir bisher geschildert haben, eine wesent¬ Gilgen Richters sozialdemokratische Zukunftsbilder zeichnet überhaupt diesen Neporterstil; S. 7: der Bedarf an Meistern ist el» Zum richtigen Nepvrterstil gehören auch Provinzialismen und Berv- Aber es würde dem Stil, den wir bisher geschildert haben, eine wesent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211315"/> <fw type="header" place="top"> Gilgen Richters sozialdemokratische Zukunftsbilder</fw><lb/> <p xml:id="ID_428" prev="#ID_427"> zeichnet überhaupt diesen Neporterstil; S. 7: der Bedarf an Meistern ist el»<lb/> sehr viel geringerer, die Spannung ist eine große; S. 36: das Leiden hat sich<lb/> als ein unheilbares herausgestellt; der im Haus wohnende „Schwiegervater"<lb/> heißt: der Vater meiner Frau, unser Hausgenosse; der Gedanke, „ein Arzt hat<lb/> keine Praxis" wird so umschrieben: er konnte eine dem Maximalarbeitstag ent¬<lb/> sprechende Thätigkeit nicht nachweisen; statt „es droht eine Revolution zur<lb/> Herbeiführung der alten Zustände" heißt es: es bedarf nur eines Anstoßes, um<lb/> die Flamme einer gewaltsamen Erhebung im Sinne der Wiederherstellung<lb/> der frühere« Zustünde hoch emporlodern zulassen (dieses im Sinne von kehrt<lb/> überhaupt oft wieder; es ist Juristendeutsch: im Sinne des 8 so und so viel);<lb/> statt „sich vorstellen" oder „Vorstellungen machen" ist es natürlich schöner zusagen:<lb/> vorstellig werden (S. 7), statt: „meine Versetzung" Versetzung meiner Person,<lb/> statt „viele führt dieser unerträgliche Zwang zum Selbstmord" S. 37:<lb/> die großen und dabei lebenslänglichen Beschränkungen der persönlichen<lb/> Freiheit zusammen mit der sozialen Gleichheit vermindern bei vielen Per¬<lb/> sonen den Reiz des Daseins bis zu einem Grade, welcher sie zuletzt deu<lb/> Selbstmord als den einzigen Ausweg betrachten läßt; statt „obgleich sie<lb/> außerordentlich heiratslustig ist" S. '24: obgleich sie von der neuen Gleich¬<lb/> berechtigung der Frauen wiederholt dahin (!) Gebrauch gemacht haben soll,<lb/> ihrerseits (!) Heiratsanträge zu stelle». In solchen Phrasen ist Richter über¬<lb/> haupt Meister (man vergleiche deu Höhepunkt seiner Freiheitsrede: „Meine<lb/> Herren, Sie haben erst die obersten Stufen zurückgelegt, welche zum Abgrund<lb/> führen (soll heißen: auf dem Wege, der zum Abgrund führt). Noch erhellt<lb/> Sie das Licht des Tages, von welchem Sie sich abwenden" S. 42); aber wir<lb/> hören diese Redeblumen am Ende noch lieber als die Binsenwahrheiten, an<lb/> denen es auch nicht fehlt, z. B. S 24: für alte Leute ist das Nichtsthun<lb/> keine Wohlthat, denu auch eine noch so leichte Arbeit erhält ihr Lebensinter¬<lb/> esse aufrecht, verknüpft sie mit der Gegenwart, bewahrt sie vor raschem kör¬<lb/> perlichem und geistigem Verfall; oder S. 25: Ein regelrechtes Tanzvergnügen<lb/> ist für eine Dame nur denkbar mit einem Herrn; oder S. 34: die vor¬<lb/> geschriebene Ventilation bringt stets einen frischen Luftzug in die Schlafstube.</p><lb/> <p xml:id="ID_429"> Zum richtigen Nepvrterstil gehören auch Provinzialismen und Berv-<lb/> liuismen, und das grüne Büchlein enthält denn auch Ausdrücke wie: mausig,<lb/> mollig, Mutter Grün, nanu. Draufgänger, im Rausch abmachen, ein bischen<lb/> stark enttäuscht, die Jungen haben schlecht abgeschnitten; denn warum? die<lb/> Menschheit ist keine Hammelherde. Wenn Frau Paula Schmidt, die ehr¬<lb/> same Buchbiudersgattin, S. 11 sagt: Es ist mir auch nicht um den Kalbs¬<lb/> braten, sondern um das Familienleben — so meint man, wie auch sonst<lb/> häufig, Frau Wilhelmine Buchholzen reden zu hören.</p><lb/> <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Aber es würde dem Stil, den wir bisher geschildert haben, eine wesent¬<lb/> liche Eigenschaft fehlen, wenn der Reporter nicht auch falsch zitirte. Daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
Gilgen Richters sozialdemokratische Zukunftsbilder
zeichnet überhaupt diesen Neporterstil; S. 7: der Bedarf an Meistern ist el»
sehr viel geringerer, die Spannung ist eine große; S. 36: das Leiden hat sich
als ein unheilbares herausgestellt; der im Haus wohnende „Schwiegervater"
heißt: der Vater meiner Frau, unser Hausgenosse; der Gedanke, „ein Arzt hat
keine Praxis" wird so umschrieben: er konnte eine dem Maximalarbeitstag ent¬
sprechende Thätigkeit nicht nachweisen; statt „es droht eine Revolution zur
Herbeiführung der alten Zustände" heißt es: es bedarf nur eines Anstoßes, um
die Flamme einer gewaltsamen Erhebung im Sinne der Wiederherstellung
der frühere« Zustünde hoch emporlodern zulassen (dieses im Sinne von kehrt
überhaupt oft wieder; es ist Juristendeutsch: im Sinne des 8 so und so viel);
statt „sich vorstellen" oder „Vorstellungen machen" ist es natürlich schöner zusagen:
vorstellig werden (S. 7), statt: „meine Versetzung" Versetzung meiner Person,
statt „viele führt dieser unerträgliche Zwang zum Selbstmord" S. 37:
die großen und dabei lebenslänglichen Beschränkungen der persönlichen
Freiheit zusammen mit der sozialen Gleichheit vermindern bei vielen Per¬
sonen den Reiz des Daseins bis zu einem Grade, welcher sie zuletzt deu
Selbstmord als den einzigen Ausweg betrachten läßt; statt „obgleich sie
außerordentlich heiratslustig ist" S. '24: obgleich sie von der neuen Gleich¬
berechtigung der Frauen wiederholt dahin (!) Gebrauch gemacht haben soll,
ihrerseits (!) Heiratsanträge zu stelle». In solchen Phrasen ist Richter über¬
haupt Meister (man vergleiche deu Höhepunkt seiner Freiheitsrede: „Meine
Herren, Sie haben erst die obersten Stufen zurückgelegt, welche zum Abgrund
führen (soll heißen: auf dem Wege, der zum Abgrund führt). Noch erhellt
Sie das Licht des Tages, von welchem Sie sich abwenden" S. 42); aber wir
hören diese Redeblumen am Ende noch lieber als die Binsenwahrheiten, an
denen es auch nicht fehlt, z. B. S 24: für alte Leute ist das Nichtsthun
keine Wohlthat, denu auch eine noch so leichte Arbeit erhält ihr Lebensinter¬
esse aufrecht, verknüpft sie mit der Gegenwart, bewahrt sie vor raschem kör¬
perlichem und geistigem Verfall; oder S. 25: Ein regelrechtes Tanzvergnügen
ist für eine Dame nur denkbar mit einem Herrn; oder S. 34: die vor¬
geschriebene Ventilation bringt stets einen frischen Luftzug in die Schlafstube.
Zum richtigen Nepvrterstil gehören auch Provinzialismen und Berv-
liuismen, und das grüne Büchlein enthält denn auch Ausdrücke wie: mausig,
mollig, Mutter Grün, nanu. Draufgänger, im Rausch abmachen, ein bischen
stark enttäuscht, die Jungen haben schlecht abgeschnitten; denn warum? die
Menschheit ist keine Hammelherde. Wenn Frau Paula Schmidt, die ehr¬
same Buchbiudersgattin, S. 11 sagt: Es ist mir auch nicht um den Kalbs¬
braten, sondern um das Familienleben — so meint man, wie auch sonst
häufig, Frau Wilhelmine Buchholzen reden zu hören.
Aber es würde dem Stil, den wir bisher geschildert haben, eine wesent¬
liche Eigenschaft fehlen, wenn der Reporter nicht auch falsch zitirte. Daß
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