Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Schweizer Dichter Triebe entgegenkommt, um ihn für sich zu benutzen, Sie selbst hat keine Zum Schluß sei noch auf eine liebenswürdige neue Erscheinung hinge¬ Schweizer Dichter Triebe entgegenkommt, um ihn für sich zu benutzen, Sie selbst hat keine Zum Schluß sei noch auf eine liebenswürdige neue Erscheinung hinge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211310"/> <fw type="header" place="top"> Schweizer Dichter</fw><lb/> <p xml:id="ID_418" prev="#ID_417"> Triebe entgegenkommt, um ihn für sich zu benutzen, Sie selbst hat keine<lb/> Kraft, dem Bösen zu widerstehen, und sie weiß das; wie eine Schlafwandelnde<lb/> folgt sie ihm und verabscheut sich selbst ob dieser Schwäche. Zeitweilig bricht<lb/> dann ihr Gewissen in laute Selbstanklagen aus und erleichtert sich; bloß um<lb/> sich vor sich selbst zu retten, ist sie dem strengen Alfonso von Ferrara in die<lb/> Ehe gefolgt, in der sie ruhig zu leben gedachte. Den Strozzi aber, der sie<lb/> rasend liebt, dem sie — als sie ihn braucht ^ Hoffnung auf Liebe macht, den<lb/> haßt sie, als er ihr daraufhin seine ganze Leidenschaft enthüllt. Er hätte<lb/> stärker als sie selbst sein sollen, er durfte sich nicht von ihr verführen lassen,<lb/> und sie läßt ihn fallen, d. h. ermorden, als sie ihn nicht mehr braucht. Die<lb/> Figur dieser Lukrezia hat Meder mit großer Menschenkenntnis geschaffen, aber<lb/> es wäre für sie wie für die Gestalten Jppolitvs und Strozzis von Vorteil ge¬<lb/> wesen, wenn sie der Dichter mehr exponirt hätte. Bei alledem sind viele<lb/> poetische Schönheiten im einzelnen zu finden: so die außerordentliche Kunst,<lb/> mit der uns Meyer auf die entsetzliche Blendung Giulivs vorbereitet; die<lb/> tiefe Schönheit der Träume und Fieberphantasien, die geschildert werden; die<lb/> poetisch wirksame Symbolik von andern Einzelheiten, so z. B. wie der Ge¬<lb/> blendete sein blutiges Antlitz in dem Purpur des Kardinals verhüllt, vor dem er<lb/> kniet, ihm also die Teufelei gleichsam in die Seele brennt. Einzelne Vorgänge<lb/> sind mit lapidarer Kürze so eindringlich erzählt, daß man sie unmöglich<lb/> wieder vergessen kau», auch nicht nach einem einzigen Lesen, wie ja überhaupt<lb/> C. F. Meyers Phantasie eben dadurch groß ist, daß ihre Gesichte allein schon<lb/> so beredt sind. Seine Darstellung ist reich an Symbolik, lind ungemein<lb/> wohlthuend ist es, daß uns der Dichter nach all den Greueln, die er uns<lb/> vorgeführt hat, mit einem Gefühl der Versöhnung zu entlassen das Bedürfnis<lb/> gehabt hat. Seiner Kunst ist es auch gelungen, dieses Gefühl zu erzeugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> Zum Schluß sei noch auf eine liebenswürdige neue Erscheinung hinge¬<lb/> wiesen, die aus der Schweiz kommt und die Beachtung der Freunde einer<lb/> guten llnterhaltungslektüre für das Haus und für das Volk verdient: die<lb/> Elsässischen Erzählungen von Wilhelm Sommer. (Zwei Bünde.<lb/> Basel, Benno Schwabe, 189l.) Aus dem biographischen Vorwort des<lb/> anonymen Herausgebers erfahren wir, daß Wilhelm Sommer schon seit<lb/> mehr als drei Jahren tot ist; er ist nicht alt geworden, wenig über vierzig<lb/> Jahre (1845 bis 1888). Die in den zwei starke» Bünden vereinigten zwölf<lb/> Erzählungen hat er in den ersten achtziger Jahren vom Krankenlager aus unter<lb/> dem Titel „Reiseerinnerungen von Meyer" an Zeitschriften verschickt, die sie<lb/> auch gern druckten. Jetzt erscheinen sie zum erstenmale unter seinem wahren<lb/> Namen, und wenn wir auch nicht die Meinung des Herausgebers teilen<lb/> können, daß wir es hier mit einem Dichter ersten Ranges zu thun haben, so<lb/> heißen wir die Bücher doch willkommen und empfehle» sie der deutschen Fa¬<lb/> milie aufs wärmste. Gerade Erzähler wie Wilhelm Sommer, die mit Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
Schweizer Dichter
Triebe entgegenkommt, um ihn für sich zu benutzen, Sie selbst hat keine
Kraft, dem Bösen zu widerstehen, und sie weiß das; wie eine Schlafwandelnde
folgt sie ihm und verabscheut sich selbst ob dieser Schwäche. Zeitweilig bricht
dann ihr Gewissen in laute Selbstanklagen aus und erleichtert sich; bloß um
sich vor sich selbst zu retten, ist sie dem strengen Alfonso von Ferrara in die
Ehe gefolgt, in der sie ruhig zu leben gedachte. Den Strozzi aber, der sie
rasend liebt, dem sie — als sie ihn braucht ^ Hoffnung auf Liebe macht, den
haßt sie, als er ihr daraufhin seine ganze Leidenschaft enthüllt. Er hätte
stärker als sie selbst sein sollen, er durfte sich nicht von ihr verführen lassen,
und sie läßt ihn fallen, d. h. ermorden, als sie ihn nicht mehr braucht. Die
Figur dieser Lukrezia hat Meder mit großer Menschenkenntnis geschaffen, aber
es wäre für sie wie für die Gestalten Jppolitvs und Strozzis von Vorteil ge¬
wesen, wenn sie der Dichter mehr exponirt hätte. Bei alledem sind viele
poetische Schönheiten im einzelnen zu finden: so die außerordentliche Kunst,
mit der uns Meyer auf die entsetzliche Blendung Giulivs vorbereitet; die
tiefe Schönheit der Träume und Fieberphantasien, die geschildert werden; die
poetisch wirksame Symbolik von andern Einzelheiten, so z. B. wie der Ge¬
blendete sein blutiges Antlitz in dem Purpur des Kardinals verhüllt, vor dem er
kniet, ihm also die Teufelei gleichsam in die Seele brennt. Einzelne Vorgänge
sind mit lapidarer Kürze so eindringlich erzählt, daß man sie unmöglich
wieder vergessen kau», auch nicht nach einem einzigen Lesen, wie ja überhaupt
C. F. Meyers Phantasie eben dadurch groß ist, daß ihre Gesichte allein schon
so beredt sind. Seine Darstellung ist reich an Symbolik, lind ungemein
wohlthuend ist es, daß uns der Dichter nach all den Greueln, die er uns
vorgeführt hat, mit einem Gefühl der Versöhnung zu entlassen das Bedürfnis
gehabt hat. Seiner Kunst ist es auch gelungen, dieses Gefühl zu erzeugen.
Zum Schluß sei noch auf eine liebenswürdige neue Erscheinung hinge¬
wiesen, die aus der Schweiz kommt und die Beachtung der Freunde einer
guten llnterhaltungslektüre für das Haus und für das Volk verdient: die
Elsässischen Erzählungen von Wilhelm Sommer. (Zwei Bünde.
Basel, Benno Schwabe, 189l.) Aus dem biographischen Vorwort des
anonymen Herausgebers erfahren wir, daß Wilhelm Sommer schon seit
mehr als drei Jahren tot ist; er ist nicht alt geworden, wenig über vierzig
Jahre (1845 bis 1888). Die in den zwei starke» Bünden vereinigten zwölf
Erzählungen hat er in den ersten achtziger Jahren vom Krankenlager aus unter
dem Titel „Reiseerinnerungen von Meyer" an Zeitschriften verschickt, die sie
auch gern druckten. Jetzt erscheinen sie zum erstenmale unter seinem wahren
Namen, und wenn wir auch nicht die Meinung des Herausgebers teilen
können, daß wir es hier mit einem Dichter ersten Ranges zu thun haben, so
heißen wir die Bücher doch willkommen und empfehle» sie der deutschen Fa¬
milie aufs wärmste. Gerade Erzähler wie Wilhelm Sommer, die mit Be-
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