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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

heilige Ausbildung findet aber in den kleinsten Einzelheiten statt, sodaß sich
in der Familie und in dem nächsten Verwandtschaft- und Freundeskreise jene
Einzelheiten des Charakters ausbilden, die das Individuum eben zum Individuum
machen. Ebendeswegen ist aber auch die Familie die natürliche Feindin einer
Allgewalt des Staates und daher auch des sozialdemokratischen Staates. Die
Sozialdemokraten müssen, in der Theorie wenigstens, Feinde der Familie
werden, sobald sie nur folgerichtig und scharf genug deuten. In der Praxis
werden die meisten am Familienleben hängen, und man kann der Sozialdemo-
kratie keinen größern Abbruch thun, als wenn man das Familienleben der
Arbeiter hebt und pflegt. Alle sozialdemokratische Gleichmacherei findet ihre
Grenze an der Familie, und so lange die Familie besteht, wird ein Sieg der
Sozialdemokratie immer nnr ein halber Sieg sein können.

Zur Pflege des Familienlebens gehört aber nicht nur Zeit, sondern auch
ein angenehmes Heim, eine Wohnung, die wenigstens den Anforderungen der
Gesundheit genügt. Überhaupt sind in dem Begriffe der Gesundheit die sämt¬
lichen rein materiellen Bedürfnisse eines Menschen eingeschlossen; alle leiblichen
Bedürfnisse, die über das, was zur Gesundheit erforderlich ist, Hinausgehen,
können ihre sittliche und wirtschaftliche Berechtigung nur darin finden, daß sie
geistige Bedürfnisse entwickeln und fördern helfen. Eine gesunde Wohnung ist
aber nicht bloß ein materielles Bedürfnis für den Menschen, sie ist auch not¬
wendig, um ein glückliches Familienleben zu ermöglichen und zu fördern, sie
ist daher auch ein geistiges Bedürfnis. Auch hier wird der Staat eingreifen
und entweder selbst entsprechende Wohnungen für die untern Stände herstellen
müssen ifür die er sich vou Arbeitern und Arbeitgebern entschädigen lassen kann),
oder er wird genötigt sein, die Arbeitgeber dazu zu zwingen, gesunde Wohnungen
für ihre Arbeiter zu errichten. Das beste allerdings wird immer sein, soweit
es möglich ist, dem Arbeiter gegen allmähliche Abzahlung ein kleines Hüuscheu
mit Garten zuzuwenden; das hat dann nicht nur den Nutzen, dem Familien¬
leben zu dienen, sondern auch den; den Arbeiter zum kleinen Grundbesitzer zu
machen; er hat dann selbst ein, wenn anch noch so kleines, Kapital und wird
schon dadurch, wenn vielleicht auch kein Feind sozialdcmokratischer Bestrebungen,
so doch gemäßigter oder gleichgiltiger dagegen. Daß anch der Lohn des Ar¬
beiters zur Erhaltung einer gesunden Familie genügen muß, versteht sich von
selbst. Endlich wird der Familiensinn des Arbeiters zu heben sein durch seiue
geistige Ausbildung, die ihn auch darau hindern soll, seine einzige Erholung
darin zu finden, daß er mit seinen Kameraden trinkt. Dazu gehört allerdings
anch, daß der weibliche Teil der Arbeiterschaft besser gebildet werde, damit dem
Arbeiter seine Frau nicht nur Wirtschafterin, sondern auch Lebensgenossin sein
könne. Wird auf diese Weise das Familienleben der Arbeiter gefestigt und aus¬
gebaut, so kann man sicher sein, daß wenigstens gewaltsame Veränderungen im
öffentlichen Leben bei der Arbeiterschaft ausgeschlossen sein werden; es gieb


Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

heilige Ausbildung findet aber in den kleinsten Einzelheiten statt, sodaß sich
in der Familie und in dem nächsten Verwandtschaft- und Freundeskreise jene
Einzelheiten des Charakters ausbilden, die das Individuum eben zum Individuum
machen. Ebendeswegen ist aber auch die Familie die natürliche Feindin einer
Allgewalt des Staates und daher auch des sozialdemokratischen Staates. Die
Sozialdemokraten müssen, in der Theorie wenigstens, Feinde der Familie
werden, sobald sie nur folgerichtig und scharf genug deuten. In der Praxis
werden die meisten am Familienleben hängen, und man kann der Sozialdemo-
kratie keinen größern Abbruch thun, als wenn man das Familienleben der
Arbeiter hebt und pflegt. Alle sozialdemokratische Gleichmacherei findet ihre
Grenze an der Familie, und so lange die Familie besteht, wird ein Sieg der
Sozialdemokratie immer nnr ein halber Sieg sein können.

Zur Pflege des Familienlebens gehört aber nicht nur Zeit, sondern auch
ein angenehmes Heim, eine Wohnung, die wenigstens den Anforderungen der
Gesundheit genügt. Überhaupt sind in dem Begriffe der Gesundheit die sämt¬
lichen rein materiellen Bedürfnisse eines Menschen eingeschlossen; alle leiblichen
Bedürfnisse, die über das, was zur Gesundheit erforderlich ist, Hinausgehen,
können ihre sittliche und wirtschaftliche Berechtigung nur darin finden, daß sie
geistige Bedürfnisse entwickeln und fördern helfen. Eine gesunde Wohnung ist
aber nicht bloß ein materielles Bedürfnis für den Menschen, sie ist auch not¬
wendig, um ein glückliches Familienleben zu ermöglichen und zu fördern, sie
ist daher auch ein geistiges Bedürfnis. Auch hier wird der Staat eingreifen
und entweder selbst entsprechende Wohnungen für die untern Stände herstellen
müssen ifür die er sich vou Arbeitern und Arbeitgebern entschädigen lassen kann),
oder er wird genötigt sein, die Arbeitgeber dazu zu zwingen, gesunde Wohnungen
für ihre Arbeiter zu errichten. Das beste allerdings wird immer sein, soweit
es möglich ist, dem Arbeiter gegen allmähliche Abzahlung ein kleines Hüuscheu
mit Garten zuzuwenden; das hat dann nicht nur den Nutzen, dem Familien¬
leben zu dienen, sondern auch den; den Arbeiter zum kleinen Grundbesitzer zu
machen; er hat dann selbst ein, wenn anch noch so kleines, Kapital und wird
schon dadurch, wenn vielleicht auch kein Feind sozialdcmokratischer Bestrebungen,
so doch gemäßigter oder gleichgiltiger dagegen. Daß anch der Lohn des Ar¬
beiters zur Erhaltung einer gesunden Familie genügen muß, versteht sich von
selbst. Endlich wird der Familiensinn des Arbeiters zu heben sein durch seiue
geistige Ausbildung, die ihn auch darau hindern soll, seine einzige Erholung
darin zu finden, daß er mit seinen Kameraden trinkt. Dazu gehört allerdings
anch, daß der weibliche Teil der Arbeiterschaft besser gebildet werde, damit dem
Arbeiter seine Frau nicht nur Wirtschafterin, sondern auch Lebensgenossin sein
könne. Wird auf diese Weise das Familienleben der Arbeiter gefestigt und aus¬
gebaut, so kann man sicher sein, daß wenigstens gewaltsame Veränderungen im
öffentlichen Leben bei der Arbeiterschaft ausgeschlossen sein werden; es gieb


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[0013] Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt heilige Ausbildung findet aber in den kleinsten Einzelheiten statt, sodaß sich in der Familie und in dem nächsten Verwandtschaft- und Freundeskreise jene Einzelheiten des Charakters ausbilden, die das Individuum eben zum Individuum machen. Ebendeswegen ist aber auch die Familie die natürliche Feindin einer Allgewalt des Staates und daher auch des sozialdemokratischen Staates. Die Sozialdemokraten müssen, in der Theorie wenigstens, Feinde der Familie werden, sobald sie nur folgerichtig und scharf genug deuten. In der Praxis werden die meisten am Familienleben hängen, und man kann der Sozialdemo- kratie keinen größern Abbruch thun, als wenn man das Familienleben der Arbeiter hebt und pflegt. Alle sozialdemokratische Gleichmacherei findet ihre Grenze an der Familie, und so lange die Familie besteht, wird ein Sieg der Sozialdemokratie immer nnr ein halber Sieg sein können. Zur Pflege des Familienlebens gehört aber nicht nur Zeit, sondern auch ein angenehmes Heim, eine Wohnung, die wenigstens den Anforderungen der Gesundheit genügt. Überhaupt sind in dem Begriffe der Gesundheit die sämt¬ lichen rein materiellen Bedürfnisse eines Menschen eingeschlossen; alle leiblichen Bedürfnisse, die über das, was zur Gesundheit erforderlich ist, Hinausgehen, können ihre sittliche und wirtschaftliche Berechtigung nur darin finden, daß sie geistige Bedürfnisse entwickeln und fördern helfen. Eine gesunde Wohnung ist aber nicht bloß ein materielles Bedürfnis für den Menschen, sie ist auch not¬ wendig, um ein glückliches Familienleben zu ermöglichen und zu fördern, sie ist daher auch ein geistiges Bedürfnis. Auch hier wird der Staat eingreifen und entweder selbst entsprechende Wohnungen für die untern Stände herstellen müssen ifür die er sich vou Arbeitern und Arbeitgebern entschädigen lassen kann), oder er wird genötigt sein, die Arbeitgeber dazu zu zwingen, gesunde Wohnungen für ihre Arbeiter zu errichten. Das beste allerdings wird immer sein, soweit es möglich ist, dem Arbeiter gegen allmähliche Abzahlung ein kleines Hüuscheu mit Garten zuzuwenden; das hat dann nicht nur den Nutzen, dem Familien¬ leben zu dienen, sondern auch den; den Arbeiter zum kleinen Grundbesitzer zu machen; er hat dann selbst ein, wenn anch noch so kleines, Kapital und wird schon dadurch, wenn vielleicht auch kein Feind sozialdcmokratischer Bestrebungen, so doch gemäßigter oder gleichgiltiger dagegen. Daß anch der Lohn des Ar¬ beiters zur Erhaltung einer gesunden Familie genügen muß, versteht sich von selbst. Endlich wird der Familiensinn des Arbeiters zu heben sein durch seiue geistige Ausbildung, die ihn auch darau hindern soll, seine einzige Erholung darin zu finden, daß er mit seinen Kameraden trinkt. Dazu gehört allerdings anch, daß der weibliche Teil der Arbeiterschaft besser gebildet werde, damit dem Arbeiter seine Frau nicht nur Wirtschafterin, sondern auch Lebensgenossin sein könne. Wird auf diese Weise das Familienleben der Arbeiter gefestigt und aus¬ gebaut, so kann man sicher sein, daß wenigstens gewaltsame Veränderungen im öffentlichen Leben bei der Arbeiterschaft ausgeschlossen sein werden; es gieb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/13>, abgerufen am 25.08.2024.