Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Friedrich Nyconius Myeonius, der seit 1504 in Annaberg weilte, genoß den Unterricht Friedrich Nyconius Myeonius, der seit 1504 in Annaberg weilte, genoß den Unterricht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211295"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich Nyconius</fw><lb/> <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> Myeonius, der seit 1504 in Annaberg weilte, genoß den Unterricht<lb/> trefflicher Lehrer, unter denen er den Rektor Andreas Weidner, genannt<lb/> Staffelstein, besonders rühmt. Bald sprach er lateinisch ebenso gut wie deutsch.<lb/> Sein weiterer Lebensgang hat viele Ähnlichkeit mit dein Luthers. In die<lb/> geistliche Laufbahn trieb auch ihn ein äußerer Vorgang mit seinen Folgen,<lb/> der als ein kleines Vorspiel zu der bekannten großen Haupt- und Stnatsattivn<lb/> des Wittenberger Reformators mit Johann Tezel angesehen werden kann.<lb/> Schon ein Jahrzehnt vorher nämlich zog Tezel mit seinem Ablaßhandel durch die<lb/> sächsischen Städte Leipzig und Dresden und kam auch in die aufblühende<lb/> Bergstadt Annnberg. Er stieg im Hause eines durch Silberfunde reich ge¬<lb/> wordenen Bürgers ab und bot seinen Ablaß feil. Einer seiner eifrigsten und<lb/> anfänglich gläubigsten Zuhörer war der junge Mheonius, er eignete sich die<lb/> Worte, Redewendungen und selbst den Tonfall des päpstlichen Kommissars<lb/> so an, daß, wer mit geschlossenen Angen zuhörte, Tezel vor sich zu haben<lb/> glaubte. Nun hatte dieser, um den Absatz seiner Zettel zu erhöhen, ankündigen<lb/> lassen, daß bis zu einem bestimmten Termine der Ablaß billiger zu haben sei,<lb/> ja die Armen sollten ihn, nach des Papstes Befehl, „um Gottes willen" er¬<lb/> halte». Mhcvnius begab sich in das Absteigequartier des Kommissars und<lb/> bat als Armer in zierlicher lateinischer Anrede die im Vorzimmer sich auf¬<lb/> haltenden Priester um Erfüllung des Versprechens. Er wurde aber abgewiesen,<lb/> da Tezel, der sich offenbar widersprach und auf die stets nötige „hilfreiche<lb/> Hand" hinwies, die unentgeltliche Verabfolgung des Ablasses verweigerte.<lb/> Hierdurch erhielt des Myeonius gläubiges Vertrauen den ersten empfindlichen<lb/> Stoß. Weitere Zweifel und die Besorgnis um das Heil seiner Seele veran¬<lb/> laßten ihn, wie vor ihm Luther, ins Kloster zu gehe». Das kurz zuvor in<lb/> Annaberg erbaute stattliche Franziskanerkloster bot die beste Gelegenheit. Im<lb/> Juli 15>10 überschritt er, eigentlich ohne Wissen seiner Eltern, indem er also<lb/> Gott mehr gehorchen wollte, als den Menschen, die heilige Schwelle und<lb/> wurde ein ebenso eifriger Mönch, wie er ein tüchtiger Lateinschüler gewesen<lb/> war. Er setzte im Kloster seine Studien fort und forschte nun nicht mehr<lb/> bloß im Aristoteles, sondern auch im Alexander von Hales, Bonaventura,<lb/> Augustinus und in andern heiligen Büchern. Hatte er gleich in der ersten<lb/> Nacht seines Aufenthalts im Kloster eiuen ihm bedeutungsvoll scheinende»<lb/> Traum gehabt, über den er später in dem erwähnten Briefe an Paul Eber<lb/> ausführlich berichtete, und deu er sich anfangs in Hinsicht auf sein klösterliches<lb/> Leben auslegte, fo fühlte er doch bald, daß auch dieses ihm den gehofften<lb/> Frieden nicht gewähren könnte. Den Mönchen, bei denen er schon in Ansehen<lb/> stand, da sie ihn wegen seiner Gelehrsamkeit zum Vorleser erwühlt hatten,<lb/> mochte er seinen Seelenzustand nicht offenbaren. Wie ein Faust, des Stu¬<lb/> direns müde, wählte Mönch Franziskus, wie er sich nannte, andre Beschäf¬<lb/> tigungen, malte Initialen aus und griff z» Spaten und Beil, um körperliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0127]
Friedrich Nyconius
Myeonius, der seit 1504 in Annaberg weilte, genoß den Unterricht
trefflicher Lehrer, unter denen er den Rektor Andreas Weidner, genannt
Staffelstein, besonders rühmt. Bald sprach er lateinisch ebenso gut wie deutsch.
Sein weiterer Lebensgang hat viele Ähnlichkeit mit dein Luthers. In die
geistliche Laufbahn trieb auch ihn ein äußerer Vorgang mit seinen Folgen,
der als ein kleines Vorspiel zu der bekannten großen Haupt- und Stnatsattivn
des Wittenberger Reformators mit Johann Tezel angesehen werden kann.
Schon ein Jahrzehnt vorher nämlich zog Tezel mit seinem Ablaßhandel durch die
sächsischen Städte Leipzig und Dresden und kam auch in die aufblühende
Bergstadt Annnberg. Er stieg im Hause eines durch Silberfunde reich ge¬
wordenen Bürgers ab und bot seinen Ablaß feil. Einer seiner eifrigsten und
anfänglich gläubigsten Zuhörer war der junge Mheonius, er eignete sich die
Worte, Redewendungen und selbst den Tonfall des päpstlichen Kommissars
so an, daß, wer mit geschlossenen Angen zuhörte, Tezel vor sich zu haben
glaubte. Nun hatte dieser, um den Absatz seiner Zettel zu erhöhen, ankündigen
lassen, daß bis zu einem bestimmten Termine der Ablaß billiger zu haben sei,
ja die Armen sollten ihn, nach des Papstes Befehl, „um Gottes willen" er¬
halte». Mhcvnius begab sich in das Absteigequartier des Kommissars und
bat als Armer in zierlicher lateinischer Anrede die im Vorzimmer sich auf¬
haltenden Priester um Erfüllung des Versprechens. Er wurde aber abgewiesen,
da Tezel, der sich offenbar widersprach und auf die stets nötige „hilfreiche
Hand" hinwies, die unentgeltliche Verabfolgung des Ablasses verweigerte.
Hierdurch erhielt des Myeonius gläubiges Vertrauen den ersten empfindlichen
Stoß. Weitere Zweifel und die Besorgnis um das Heil seiner Seele veran¬
laßten ihn, wie vor ihm Luther, ins Kloster zu gehe». Das kurz zuvor in
Annaberg erbaute stattliche Franziskanerkloster bot die beste Gelegenheit. Im
Juli 15>10 überschritt er, eigentlich ohne Wissen seiner Eltern, indem er also
Gott mehr gehorchen wollte, als den Menschen, die heilige Schwelle und
wurde ein ebenso eifriger Mönch, wie er ein tüchtiger Lateinschüler gewesen
war. Er setzte im Kloster seine Studien fort und forschte nun nicht mehr
bloß im Aristoteles, sondern auch im Alexander von Hales, Bonaventura,
Augustinus und in andern heiligen Büchern. Hatte er gleich in der ersten
Nacht seines Aufenthalts im Kloster eiuen ihm bedeutungsvoll scheinende»
Traum gehabt, über den er später in dem erwähnten Briefe an Paul Eber
ausführlich berichtete, und deu er sich anfangs in Hinsicht auf sein klösterliches
Leben auslegte, fo fühlte er doch bald, daß auch dieses ihm den gehofften
Frieden nicht gewähren könnte. Den Mönchen, bei denen er schon in Ansehen
stand, da sie ihn wegen seiner Gelehrsamkeit zum Vorleser erwühlt hatten,
mochte er seinen Seelenzustand nicht offenbaren. Wie ein Faust, des Stu¬
direns müde, wählte Mönch Franziskus, wie er sich nannte, andre Beschäf¬
tigungen, malte Initialen aus und griff z» Spaten und Beil, um körperliche
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