Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Teilnehmer fast an allen historisch wichtigen Neformativnsverhandlungen, der
kursächsische geistliche Gesandte am Hofe König Heinrichs VIII. von England,
endlich, kann man sagen, der Verfasser der ersten Reformationsgeschichte. Und
diese Reformationsgeschichte ist eine so anschauliche und wirkungsvolle Schil¬
derung jener großen Entwicklungsperiode, wie kaum eine andre, weil sie von
einem ihrer Augenzeugen, ja einen: ihrer Geistes Helden selbst herrührt. Diese
IliMrm lioiomnrlivni", wie ihr Titel lautet, ist eine Art Tage- oder wenigstens
Jahrbuch, von Friedrich Mhcouius eigenhändig unter dem frischen Eindruck
der Ereignisse aufgezeichnet. Sie umfaßt die Jahre von 1517 bis 1542, also
die folgenschwerste Zeit. Ist sie auch während einer Krankheit des Refor¬
mators, die ihn dann hinraffte, zusammengestellt, so spürt man doch nirgends
darin ein krankes oder anch mir angekränkeltes Wesen. Alles wird so lebendig in
demBuchedargestellt, so frisch und anmutig erzählt, als ginge esdnrch grüneWiesen,
vorbei an unerschöpflich sprudelnden Quellen. Die Sprache klingt, als rauschte
der deutsche Wald. Wenn man sich auch manchmal mit dem Kopfe an knor¬
rige Äste stößt oder über herausragende krumme Wurzel" stolpert, man fühlt
doch und weiß es den: Verfasser Dank, daß man im deutscheu Keruwalde
wandelt. Dieses kostbare litterarische Kleinod aus bewegten Tagen ist unent-
behrlich für jeden, der die Geschichte jener Zeit, die kirchliche wie die politische,
ans dem Grunde kennen lernen will. Es findet sich auf der an Manuskripten
reichen Gothaer herzoglichen Bibliothek als wertvollster Teil am Ende eines
handschriftlichen SnmmelbandeS. Voran geht ein "Neues Erbbuch und Kopeh
der Ministratur 1542," für die Schul- und Kirchengeschichte wichtige Aus¬
züge und Übersichten der Schul- und Kirchengerechtsame jener Zeit, eine
ebenso mühevolle wie verdienstliche Nachlese aus den Archivaren der Stadt
und des Landes von Mheonius vorgenommen, als er wegen einer Halskrank¬
heit seine Stimme schonen mußte und doch nicht unthätig bleiben wollte.
Aus "des ^.utori" Mtogriiplio" hat dann ein auf dem hochragenden Gothaer
Friedenstein angestellter Kvnsistvrial- und Kirchenrat, Dr. Ernst Salomon
Chpricm, die Geschichte mit Vorrede und Erlüuternngen Versehen und zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts herausgegeben.

Schon aus diesem denkwürdigen Vnche, noch mehr aber aus den zwischen
Myeonius und sämtlichen hervorragenden Geistesstreitern jeuer Jahre gewech¬
selten ausführlichen Briefen sehen wir, wie er mit diesen Glaubenshelden gemeinsam
gerümpft hat. In seiner Chronik erzählt er uns wahrheitsgetreu -- denn jene
Briefe bestätigen es --, wie er die Reformation in Thüringen, vor allein in Gotha,
einführte oder wenigstens befestigte, wie ihm das höhere und das Volksschul-
wesen seine Begrttndnng verdankte, wie aber auch außerhalb Thüringens an
und in der großen Neformationsarbeit kaum etwas geschah, woran er nicht
mit Rat und That beteiligt gewesen wäre. Wir sehen ihn 1529 in Marburg,
1536 bei dem Versöhnnngsalte der Wittenberger Cvncordie, 1537 als Redner


Teilnehmer fast an allen historisch wichtigen Neformativnsverhandlungen, der
kursächsische geistliche Gesandte am Hofe König Heinrichs VIII. von England,
endlich, kann man sagen, der Verfasser der ersten Reformationsgeschichte. Und
diese Reformationsgeschichte ist eine so anschauliche und wirkungsvolle Schil¬
derung jener großen Entwicklungsperiode, wie kaum eine andre, weil sie von
einem ihrer Augenzeugen, ja einen: ihrer Geistes Helden selbst herrührt. Diese
IliMrm lioiomnrlivni«, wie ihr Titel lautet, ist eine Art Tage- oder wenigstens
Jahrbuch, von Friedrich Mhcouius eigenhändig unter dem frischen Eindruck
der Ereignisse aufgezeichnet. Sie umfaßt die Jahre von 1517 bis 1542, also
die folgenschwerste Zeit. Ist sie auch während einer Krankheit des Refor¬
mators, die ihn dann hinraffte, zusammengestellt, so spürt man doch nirgends
darin ein krankes oder anch mir angekränkeltes Wesen. Alles wird so lebendig in
demBuchedargestellt, so frisch und anmutig erzählt, als ginge esdnrch grüneWiesen,
vorbei an unerschöpflich sprudelnden Quellen. Die Sprache klingt, als rauschte
der deutsche Wald. Wenn man sich auch manchmal mit dem Kopfe an knor¬
rige Äste stößt oder über herausragende krumme Wurzel» stolpert, man fühlt
doch und weiß es den: Verfasser Dank, daß man im deutscheu Keruwalde
wandelt. Dieses kostbare litterarische Kleinod aus bewegten Tagen ist unent-
behrlich für jeden, der die Geschichte jener Zeit, die kirchliche wie die politische,
ans dem Grunde kennen lernen will. Es findet sich auf der an Manuskripten
reichen Gothaer herzoglichen Bibliothek als wertvollster Teil am Ende eines
handschriftlichen SnmmelbandeS. Voran geht ein „Neues Erbbuch und Kopeh
der Ministratur 1542," für die Schul- und Kirchengeschichte wichtige Aus¬
züge und Übersichten der Schul- und Kirchengerechtsame jener Zeit, eine
ebenso mühevolle wie verdienstliche Nachlese aus den Archivaren der Stadt
und des Landes von Mheonius vorgenommen, als er wegen einer Halskrank¬
heit seine Stimme schonen mußte und doch nicht unthätig bleiben wollte.
Aus „des ^.utori» Mtogriiplio" hat dann ein auf dem hochragenden Gothaer
Friedenstein angestellter Kvnsistvrial- und Kirchenrat, Dr. Ernst Salomon
Chpricm, die Geschichte mit Vorrede und Erlüuternngen Versehen und zu
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts herausgegeben.

Schon aus diesem denkwürdigen Vnche, noch mehr aber aus den zwischen
Myeonius und sämtlichen hervorragenden Geistesstreitern jeuer Jahre gewech¬
selten ausführlichen Briefen sehen wir, wie er mit diesen Glaubenshelden gemeinsam
gerümpft hat. In seiner Chronik erzählt er uns wahrheitsgetreu — denn jene
Briefe bestätigen es —, wie er die Reformation in Thüringen, vor allein in Gotha,
einführte oder wenigstens befestigte, wie ihm das höhere und das Volksschul-
wesen seine Begrttndnng verdankte, wie aber auch außerhalb Thüringens an
und in der großen Neformationsarbeit kaum etwas geschah, woran er nicht
mit Rat und That beteiligt gewesen wäre. Wir sehen ihn 1529 in Marburg,
1536 bei dem Versöhnnngsalte der Wittenberger Cvncordie, 1537 als Redner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211292"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_368" prev="#ID_367"> Teilnehmer fast an allen historisch wichtigen Neformativnsverhandlungen, der<lb/>
kursächsische geistliche Gesandte am Hofe König Heinrichs VIII. von England,<lb/>
endlich, kann man sagen, der Verfasser der ersten Reformationsgeschichte. Und<lb/>
diese Reformationsgeschichte ist eine so anschauliche und wirkungsvolle Schil¬<lb/>
derung jener großen Entwicklungsperiode, wie kaum eine andre, weil sie von<lb/>
einem ihrer Augenzeugen, ja einen: ihrer Geistes Helden selbst herrührt. Diese<lb/>
IliMrm lioiomnrlivni«, wie ihr Titel lautet, ist eine Art Tage- oder wenigstens<lb/>
Jahrbuch, von Friedrich Mhcouius eigenhändig unter dem frischen Eindruck<lb/>
der Ereignisse aufgezeichnet. Sie umfaßt die Jahre von 1517 bis 1542, also<lb/>
die folgenschwerste Zeit. Ist sie auch während einer Krankheit des Refor¬<lb/>
mators, die ihn dann hinraffte, zusammengestellt, so spürt man doch nirgends<lb/>
darin ein krankes oder anch mir angekränkeltes Wesen. Alles wird so lebendig in<lb/>
demBuchedargestellt, so frisch und anmutig erzählt, als ginge esdnrch grüneWiesen,<lb/>
vorbei an unerschöpflich sprudelnden Quellen. Die Sprache klingt, als rauschte<lb/>
der deutsche Wald. Wenn man sich auch manchmal mit dem Kopfe an knor¬<lb/>
rige Äste stößt oder über herausragende krumme Wurzel» stolpert, man fühlt<lb/>
doch und weiß es den: Verfasser Dank, daß man im deutscheu Keruwalde<lb/>
wandelt. Dieses kostbare litterarische Kleinod aus bewegten Tagen ist unent-<lb/>
behrlich für jeden, der die Geschichte jener Zeit, die kirchliche wie die politische,<lb/>
ans dem Grunde kennen lernen will. Es findet sich auf der an Manuskripten<lb/>
reichen Gothaer herzoglichen Bibliothek als wertvollster Teil am Ende eines<lb/>
handschriftlichen SnmmelbandeS. Voran geht ein &#x201E;Neues Erbbuch und Kopeh<lb/>
der Ministratur 1542," für die Schul- und Kirchengeschichte wichtige Aus¬<lb/>
züge und Übersichten der Schul- und Kirchengerechtsame jener Zeit, eine<lb/>
ebenso mühevolle wie verdienstliche Nachlese aus den Archivaren der Stadt<lb/>
und des Landes von Mheonius vorgenommen, als er wegen einer Halskrank¬<lb/>
heit seine Stimme schonen mußte und doch nicht unthätig bleiben wollte.<lb/>
Aus &#x201E;des ^.utori» Mtogriiplio" hat dann ein auf dem hochragenden Gothaer<lb/>
Friedenstein angestellter Kvnsistvrial- und Kirchenrat, Dr. Ernst Salomon<lb/>
Chpricm, die Geschichte mit Vorrede und Erlüuternngen Versehen und zu<lb/>
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts herausgegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_369" next="#ID_370"> Schon aus diesem denkwürdigen Vnche, noch mehr aber aus den zwischen<lb/>
Myeonius und sämtlichen hervorragenden Geistesstreitern jeuer Jahre gewech¬<lb/>
selten ausführlichen Briefen sehen wir, wie er mit diesen Glaubenshelden gemeinsam<lb/>
gerümpft hat. In seiner Chronik erzählt er uns wahrheitsgetreu &#x2014; denn jene<lb/>
Briefe bestätigen es &#x2014;, wie er die Reformation in Thüringen, vor allein in Gotha,<lb/>
einführte oder wenigstens befestigte, wie ihm das höhere und das Volksschul-<lb/>
wesen seine Begrttndnng verdankte, wie aber auch außerhalb Thüringens an<lb/>
und in der großen Neformationsarbeit kaum etwas geschah, woran er nicht<lb/>
mit Rat und That beteiligt gewesen wäre. Wir sehen ihn 1529 in Marburg,<lb/>
1536 bei dem Versöhnnngsalte der Wittenberger Cvncordie, 1537 als Redner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] Teilnehmer fast an allen historisch wichtigen Neformativnsverhandlungen, der kursächsische geistliche Gesandte am Hofe König Heinrichs VIII. von England, endlich, kann man sagen, der Verfasser der ersten Reformationsgeschichte. Und diese Reformationsgeschichte ist eine so anschauliche und wirkungsvolle Schil¬ derung jener großen Entwicklungsperiode, wie kaum eine andre, weil sie von einem ihrer Augenzeugen, ja einen: ihrer Geistes Helden selbst herrührt. Diese IliMrm lioiomnrlivni«, wie ihr Titel lautet, ist eine Art Tage- oder wenigstens Jahrbuch, von Friedrich Mhcouius eigenhändig unter dem frischen Eindruck der Ereignisse aufgezeichnet. Sie umfaßt die Jahre von 1517 bis 1542, also die folgenschwerste Zeit. Ist sie auch während einer Krankheit des Refor¬ mators, die ihn dann hinraffte, zusammengestellt, so spürt man doch nirgends darin ein krankes oder anch mir angekränkeltes Wesen. Alles wird so lebendig in demBuchedargestellt, so frisch und anmutig erzählt, als ginge esdnrch grüneWiesen, vorbei an unerschöpflich sprudelnden Quellen. Die Sprache klingt, als rauschte der deutsche Wald. Wenn man sich auch manchmal mit dem Kopfe an knor¬ rige Äste stößt oder über herausragende krumme Wurzel» stolpert, man fühlt doch und weiß es den: Verfasser Dank, daß man im deutscheu Keruwalde wandelt. Dieses kostbare litterarische Kleinod aus bewegten Tagen ist unent- behrlich für jeden, der die Geschichte jener Zeit, die kirchliche wie die politische, ans dem Grunde kennen lernen will. Es findet sich auf der an Manuskripten reichen Gothaer herzoglichen Bibliothek als wertvollster Teil am Ende eines handschriftlichen SnmmelbandeS. Voran geht ein „Neues Erbbuch und Kopeh der Ministratur 1542," für die Schul- und Kirchengeschichte wichtige Aus¬ züge und Übersichten der Schul- und Kirchengerechtsame jener Zeit, eine ebenso mühevolle wie verdienstliche Nachlese aus den Archivaren der Stadt und des Landes von Mheonius vorgenommen, als er wegen einer Halskrank¬ heit seine Stimme schonen mußte und doch nicht unthätig bleiben wollte. Aus „des ^.utori» Mtogriiplio" hat dann ein auf dem hochragenden Gothaer Friedenstein angestellter Kvnsistvrial- und Kirchenrat, Dr. Ernst Salomon Chpricm, die Geschichte mit Vorrede und Erlüuternngen Versehen und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts herausgegeben. Schon aus diesem denkwürdigen Vnche, noch mehr aber aus den zwischen Myeonius und sämtlichen hervorragenden Geistesstreitern jeuer Jahre gewech¬ selten ausführlichen Briefen sehen wir, wie er mit diesen Glaubenshelden gemeinsam gerümpft hat. In seiner Chronik erzählt er uns wahrheitsgetreu — denn jene Briefe bestätigen es —, wie er die Reformation in Thüringen, vor allein in Gotha, einführte oder wenigstens befestigte, wie ihm das höhere und das Volksschul- wesen seine Begrttndnng verdankte, wie aber auch außerhalb Thüringens an und in der großen Neformationsarbeit kaum etwas geschah, woran er nicht mit Rat und That beteiligt gewesen wäre. Wir sehen ihn 1529 in Marburg, 1536 bei dem Versöhnnngsalte der Wittenberger Cvncordie, 1537 als Redner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/124>, abgerufen am 23.07.2024.