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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Wirtschaftsjahr 8^

oder wichtige Unternehmen unterblieben wäre, wenn der Unternehmer nicht mis
unumschränkter Herr über seine Arbeiter und deren Arbeitsmittel hätte verfügen
können. Aber sollte es auch nötig sein, diesen Zustand dadurch zu verschleiern,
daß mau dem Publikum einredet, das Volk sei um eine Milliarde reicher ge¬
worden, wenn eine Hälfte von ihm der andern mit eiuer Milliarde verschuldet
worden ist? Vielleicht ist der Gedanke, die Erzeugung und Verteilung der
Güter könne jemals planmäßig geordnet werden, wirklich utopistisch, staats¬
feindlich und gottlos. Aber müssen wir, um nüchtern verständige, patriotische
und gottesfürchtige Staatsbürger zu sein, unbedingt in alle Ewigkeit mit jener
blinden Planlosigkeit fvrtwirtschasten, die sich gar nicht vermeiden läßt, wenn
wir unsre Schulden für Vermögen halten und uns einbilden, durch Verschul-
dung reicher zu werden und die Produktion zu befördern, während es doch,
wie die tägliche Erfahrung lehrt, keinen schlimmern Hemmschuh fröhliche"
Schaffens giebt als Verschuldung?

Wenn von den "Kapitalvcrnichtungen," fährt der "Eeonomist" fort, schon
die Menschheit im allgemeinen nichts Schlimmeres davon tragen konnte als
Fleischwuudeu, so wurde die österreichische Monarchie im vergangnen Jahre
so gut wie gar nicht davon berührt. Was sie schützte, was sie sogar inmitten
aller Verheerungen sichtlich erstarken ließ, das war vornehmlich der hohe Ge¬
treidepreis. "Der Bauer hat wieder Geld!" Der Ernteertrag blieb 18!)1 um
sechsundfünfzig Millionen Hektoliter hinter dem von 1890 zurück, aber der
Erlös hat Hundertnudzehn Millionen Gulden mehr gebracht. Sehen wir einen
Augenblick nach, ob dieser vom Economisten gepriesene Vorteil scheinbar oder
wirklich ist. Für die Welt kann es unmöglich ein Vorteil sein, wenn in einem
Jahre, wo Millionen Menschen Hunger leiden, Österreich sechsundfünfzig
Millionen Hektoliter Getreide weniger und dabei zu höherm Preise auf den
Markt schickt. Für die österreichischen Gutsbesitzer ist es unbedingt ein großer
Vorteil, zumal da keine darunter zu sein scheinen, die wie viele von den
kleinern preußischen in diesem Jahre selbst Saatgetreide und sogar Brotkoru
zu kaufen genötigt sind. Für die ärmern Schichten der industriellen
Bevölkerung Österreichs ist die Brotteueruug selbstverständlich ein Übel.
Aber für Österreich im ganzen bleibt der hohe Getreidepreis trotzdem noch
ein Vorteil, weil es kein Getreide einzuführen braucht, vielmehr auch bei einer
schwachen Mittelernte noch einen Teil zur Ausfuhr übrig hat, und weil es
mehr Agrar- als Industriestaat ist, weil bei ihm die städtische Bevölkerung
von der ländlichen "och bedeutend überwogen wird, demnach die Zahl derer,
die vom hohen Getreidepreise Vorteil ziehen, bedeutend größer ist als die der
darunter leidenden. Auch die Klagen der Brenner und Zuckerfabrikanten,
heißt es weiter, hätten sich in lebhafte Befriedigung verwandelt; die erfreuliche
Wendung mache sich überall fühlbar, von den Schlössern der reichsten Kavaliere
bis ins kleinste Bauernhaus, und übe einen wohlthätig belebenden Einfluß


Das Wirtschaftsjahr 8^

oder wichtige Unternehmen unterblieben wäre, wenn der Unternehmer nicht mis
unumschränkter Herr über seine Arbeiter und deren Arbeitsmittel hätte verfügen
können. Aber sollte es auch nötig sein, diesen Zustand dadurch zu verschleiern,
daß mau dem Publikum einredet, das Volk sei um eine Milliarde reicher ge¬
worden, wenn eine Hälfte von ihm der andern mit eiuer Milliarde verschuldet
worden ist? Vielleicht ist der Gedanke, die Erzeugung und Verteilung der
Güter könne jemals planmäßig geordnet werden, wirklich utopistisch, staats¬
feindlich und gottlos. Aber müssen wir, um nüchtern verständige, patriotische
und gottesfürchtige Staatsbürger zu sein, unbedingt in alle Ewigkeit mit jener
blinden Planlosigkeit fvrtwirtschasten, die sich gar nicht vermeiden läßt, wenn
wir unsre Schulden für Vermögen halten und uns einbilden, durch Verschul-
dung reicher zu werden und die Produktion zu befördern, während es doch,
wie die tägliche Erfahrung lehrt, keinen schlimmern Hemmschuh fröhliche»
Schaffens giebt als Verschuldung?

Wenn von den „Kapitalvcrnichtungen," fährt der „Eeonomist" fort, schon
die Menschheit im allgemeinen nichts Schlimmeres davon tragen konnte als
Fleischwuudeu, so wurde die österreichische Monarchie im vergangnen Jahre
so gut wie gar nicht davon berührt. Was sie schützte, was sie sogar inmitten
aller Verheerungen sichtlich erstarken ließ, das war vornehmlich der hohe Ge¬
treidepreis. „Der Bauer hat wieder Geld!" Der Ernteertrag blieb 18!)1 um
sechsundfünfzig Millionen Hektoliter hinter dem von 1890 zurück, aber der
Erlös hat Hundertnudzehn Millionen Gulden mehr gebracht. Sehen wir einen
Augenblick nach, ob dieser vom Economisten gepriesene Vorteil scheinbar oder
wirklich ist. Für die Welt kann es unmöglich ein Vorteil sein, wenn in einem
Jahre, wo Millionen Menschen Hunger leiden, Österreich sechsundfünfzig
Millionen Hektoliter Getreide weniger und dabei zu höherm Preise auf den
Markt schickt. Für die österreichischen Gutsbesitzer ist es unbedingt ein großer
Vorteil, zumal da keine darunter zu sein scheinen, die wie viele von den
kleinern preußischen in diesem Jahre selbst Saatgetreide und sogar Brotkoru
zu kaufen genötigt sind. Für die ärmern Schichten der industriellen
Bevölkerung Österreichs ist die Brotteueruug selbstverständlich ein Übel.
Aber für Österreich im ganzen bleibt der hohe Getreidepreis trotzdem noch
ein Vorteil, weil es kein Getreide einzuführen braucht, vielmehr auch bei einer
schwachen Mittelernte noch einen Teil zur Ausfuhr übrig hat, und weil es
mehr Agrar- als Industriestaat ist, weil bei ihm die städtische Bevölkerung
von der ländlichen »och bedeutend überwogen wird, demnach die Zahl derer,
die vom hohen Getreidepreise Vorteil ziehen, bedeutend größer ist als die der
darunter leidenden. Auch die Klagen der Brenner und Zuckerfabrikanten,
heißt es weiter, hätten sich in lebhafte Befriedigung verwandelt; die erfreuliche
Wendung mache sich überall fühlbar, von den Schlössern der reichsten Kavaliere
bis ins kleinste Bauernhaus, und übe einen wohlthätig belebenden Einfluß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/119>, abgerufen am 23.07.2024.