Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Politische Aussichten Befestigung des politischen Bündnisses scheint denn auch der entscheidendste Nun ist in diesen Tagen die ungeheuerliche Nachricht eingetroffen, daß Politische Aussichten Befestigung des politischen Bündnisses scheint denn auch der entscheidendste Nun ist in diesen Tagen die ungeheuerliche Nachricht eingetroffen, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211282"/> <fw type="header" place="top"> Politische Aussichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_343" prev="#ID_342"> Befestigung des politischen Bündnisses scheint denn auch der entscheidendste<lb/> Gesichtspunkt für die Verträge gewesen zu sein — ein Zeichen jedenfalls, daß<lb/> der politische Himmel vielleicht doch nicht so sonnenklar ist, wie man uns<lb/> glauben machen will. Die merkwürdigen Widersprüche, die zwischen dem Op¬<lb/> timismus offizieller Kundgebungen und dem Pessimismus der öffentlichen<lb/> Meinung bestehen, sind in den letzten Monaten des zu Grabe gekanteten<lb/> Jahres mehr als einmal drastisch hervorgetreten. Am deutlichsten wohl, als<lb/> die unter halber Zustimmung berufener deutscher Regierungsvertreter sür<lb/> Deutschland bestimmte russische Anleihe vor dein Ansturm der entrüsteten<lb/> Stimme unsrer öffentlichen Meinung einen Rückzug antreten mußte, wie er<lb/> unsers Wissens so schimpflich von einer finanziellen Großmacht noch nie an¬<lb/> getreten worden ist. Heute ist kein Zweifel mehr darüber, daß die öffentliche<lb/> Meinung Deutschlands Recht behalten hat. Die Schlachten der großen Politik<lb/> werden heute auf der Börse ausgesuchten: Petersburg-Paris auf der einen,<lb/> Berlin auf der andern Seite. Während aber die russischen Manöver von<lb/> einem Strategen geleitet werden, wie Wyschuegradski, kämpft in Deutschland,<lb/> dessen Börse an und für sich nicht abgeneigt wäre, Rußland gefällig zu sein,<lb/> zumal da sich ein guter Batzen dabei verdienen läßt, die öffentliche Meinung, die<lb/> es sich nun einmal nicht ausreden läßt, daß Geld in den russischen Händen<lb/> eine Gefahr für den Frieden bedeute. Nur sehr schwer hat man sich in<lb/> Petersburg darein gefunden, auf die Unterstützung des deutschen Marktes ver¬<lb/> zichten zu müssen, und bis zur Stunde wiederholen sich mit bewundernswür¬<lb/> diger Unverfrorenheit die Versuche, ihn zurück zu gewinnen. Das hat aber<lb/> seinen guten Grund: der von der spanischen und portugiesischen Finanzkrankheit<lb/> noch matte französische Rentier ist so energisch mit dem Pflaster russischer<lb/> Wertpapiere kurirt worden, daß er sich zur Fortsetzung dieser Kurmethode nur<lb/> dann bereit zeigen dürfte, wenn er fände, daß andre desgleichen thun. Die<lb/> ablehnende Haltung Berlins hat daher sehr ernüchternd gewirkt, und es be¬<lb/> dürfte aller Finanzkünste Wyschnegradskis, um wenigstens den Schein eines<lb/> Erfolgs zu erringen. Von der siebenmal überzeichneten Anleihe hat Frank¬<lb/> reich in Wirklichkeit nur drei Fünftel des Nominalbetrages aufzunehmen ver¬<lb/> mocht, und heute gesteht der russische Finanzminister offen zu, daß er die<lb/> übrigen zwei Fünftel durch seiue Agenten habe zurückkaufen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Nun ist in diesen Tagen die ungeheuerliche Nachricht eingetroffen, daß<lb/> Rußland in Frankreich eine neue Anleihe im Betrage von 1000 Millionen<lb/> Francs „negoziirt." 1000 Millionen! Man nimmt mit gutem Grunde an, daß<lb/> es nur eine Voraussetzung giebt, unter der Frankreich diese ungeheure Summe<lb/> beschaffen würde: wenn Rußland offen und vertrauensvoll erklären ließe, daß<lb/> dieses Geld zu Kriegs- lind Rüstungszwecken verwandt werden solle. Für<lb/> die notleidenden russischen Bauern giebt Frankreich das Geld nicht her! Es<lb/> verlautet jetzt, daß .A>0 Millionen in Form von Prioritäten der Kursk-Kiewer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
Politische Aussichten
Befestigung des politischen Bündnisses scheint denn auch der entscheidendste
Gesichtspunkt für die Verträge gewesen zu sein — ein Zeichen jedenfalls, daß
der politische Himmel vielleicht doch nicht so sonnenklar ist, wie man uns
glauben machen will. Die merkwürdigen Widersprüche, die zwischen dem Op¬
timismus offizieller Kundgebungen und dem Pessimismus der öffentlichen
Meinung bestehen, sind in den letzten Monaten des zu Grabe gekanteten
Jahres mehr als einmal drastisch hervorgetreten. Am deutlichsten wohl, als
die unter halber Zustimmung berufener deutscher Regierungsvertreter sür
Deutschland bestimmte russische Anleihe vor dein Ansturm der entrüsteten
Stimme unsrer öffentlichen Meinung einen Rückzug antreten mußte, wie er
unsers Wissens so schimpflich von einer finanziellen Großmacht noch nie an¬
getreten worden ist. Heute ist kein Zweifel mehr darüber, daß die öffentliche
Meinung Deutschlands Recht behalten hat. Die Schlachten der großen Politik
werden heute auf der Börse ausgesuchten: Petersburg-Paris auf der einen,
Berlin auf der andern Seite. Während aber die russischen Manöver von
einem Strategen geleitet werden, wie Wyschuegradski, kämpft in Deutschland,
dessen Börse an und für sich nicht abgeneigt wäre, Rußland gefällig zu sein,
zumal da sich ein guter Batzen dabei verdienen läßt, die öffentliche Meinung, die
es sich nun einmal nicht ausreden läßt, daß Geld in den russischen Händen
eine Gefahr für den Frieden bedeute. Nur sehr schwer hat man sich in
Petersburg darein gefunden, auf die Unterstützung des deutschen Marktes ver¬
zichten zu müssen, und bis zur Stunde wiederholen sich mit bewundernswür¬
diger Unverfrorenheit die Versuche, ihn zurück zu gewinnen. Das hat aber
seinen guten Grund: der von der spanischen und portugiesischen Finanzkrankheit
noch matte französische Rentier ist so energisch mit dem Pflaster russischer
Wertpapiere kurirt worden, daß er sich zur Fortsetzung dieser Kurmethode nur
dann bereit zeigen dürfte, wenn er fände, daß andre desgleichen thun. Die
ablehnende Haltung Berlins hat daher sehr ernüchternd gewirkt, und es be¬
dürfte aller Finanzkünste Wyschnegradskis, um wenigstens den Schein eines
Erfolgs zu erringen. Von der siebenmal überzeichneten Anleihe hat Frank¬
reich in Wirklichkeit nur drei Fünftel des Nominalbetrages aufzunehmen ver¬
mocht, und heute gesteht der russische Finanzminister offen zu, daß er die
übrigen zwei Fünftel durch seiue Agenten habe zurückkaufen lassen.
Nun ist in diesen Tagen die ungeheuerliche Nachricht eingetroffen, daß
Rußland in Frankreich eine neue Anleihe im Betrage von 1000 Millionen
Francs „negoziirt." 1000 Millionen! Man nimmt mit gutem Grunde an, daß
es nur eine Voraussetzung giebt, unter der Frankreich diese ungeheure Summe
beschaffen würde: wenn Rußland offen und vertrauensvoll erklären ließe, daß
dieses Geld zu Kriegs- lind Rüstungszwecken verwandt werden solle. Für
die notleidenden russischen Bauern giebt Frankreich das Geld nicht her! Es
verlautet jetzt, daß .A>0 Millionen in Form von Prioritäten der Kursk-Kiewer
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