Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Litteratur so daß mir nichts übrig blieb als es von Anfang bis zu Ende zu lesen. Man Zum großen Leidwesen des Polizeiministers, der ihm die Kur verordnet hatte, Litteratur so daß mir nichts übrig blieb als es von Anfang bis zu Ende zu lesen. Man Zum großen Leidwesen des Polizeiministers, der ihm die Kur verordnet hatte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211276"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_327" prev="#ID_326"> so daß mir nichts übrig blieb als es von Anfang bis zu Ende zu lesen. Man<lb/> freut sich eben, wenn man wieder einen tüchtigen und gescheiten Menschen, einen<lb/> edeln Charakter, einen ganzen Mann kennen lernt, dessen Person, Wort und Wirken<lb/> etwas wert sind. Landfermauu, >8»0 zu Soest geboren, gelangte auf dem<lb/> reglemcutswidrigsien Wege in die Hallen des akademischen Heiligtums. Er wurde<lb/> vou seinem Vater privatim vorbereitet, trat als Dreizehnjähriger in die Prima<lb/> ein und ließ sich darin auf sieben Jahre häuslich nieder. Zu den Unterrichts¬<lb/> gegenständen gehörte anch das Italienische, und wenn die Lektüre in den übrigen<lb/> Sprachen so unterhaltend war wie in dieser, wo laut Schulprogramm von !8Ill<lb/> der Boccaccio gelesen wurde, so werdeu ihm die sieben Jahre nicht gar zu lang<lb/> geworden sein. Als Burschenschafter verfiel er dem Herrn von Kamptz und brachte<lb/> seine besten Jahre im Gefängnis zu. Die Art, wie er seine Hast ertrug, und<lb/> wie er darüber urteilte, bezeugt aufs glänzendste die Gediegenheit seines Charakters.<lb/> Im Jahre >85>2 schreibt er in einem Briefe! „Nach einem vierjährigen Universitäts-<lb/> leben ohne grobe Verschuldungen, zuweilen in sehr angestrengtem Studien, aber<lb/> breit, universell, phantastisch, ohne Plan romantisch hingelebt, die Wirklichkeit an¬<lb/> zugreifen ungeschickt wie wenige, uumiißig stolz, und dennoch die Bewunderung<lb/> meiner Umgebung durch die Herrschaft, die ich gerade durch meine Schwächen aus¬<lb/> übte, im Stolz befestigt, graute mir gerade vor Philisterium und Examen. Was<lb/> aus mir geworden wäre, in welches Meer ich versunken, wenn die JkaruSflügel<lb/> abschmolzeu in der brennenden Realität, ich weiß es nicht, finde aber im 52.<lb/> Jahre keine bessere Kur heraus, als die mir gewordene! sechs Jahre im Gefängnis.</p><lb/> <p xml:id="ID_328" next="#ID_329"> Zum großen Leidwesen des Polizeiministers, der ihm die Kur verordnet hatte,<lb/> machte er als angezeichneter Schulmann rasch Karriere und brachte es später<lb/> sogar bis zum Provinzial-Schulrat. Als solcher wirkte er in Koblenz :i2 Jahre.<lb/> >87:i trat er in den Ruhestand und lebte noch bis >882. Obwohl selbst ein<lb/> Rädchen der bureaukratischen Maschine geworden, blieb er doch ein entschiedener<lb/> Feind bnreankratischer Behandlung des Schulwesens. Wie jeder echte Pädagog<lb/> hatte er bei Zeiten erkannt, daß auf die Persönlichkeit des Lehrers so ziemlich<lb/> alles ankomme und daß der Wert aller Reglements höchst zweifelhaft sei. Bein,<lb/> Pestalozzijnbilänm ! 84t> äußerte er! „So manchen marktschreierischen Übertreibungen<lb/> gegenüber, die das letzte Jahr über unsern Gegenstand gebracht hat, muß erinnert<lb/> werden, daß es lange vor Pestalozzi verständige, treue, liebende Schulmeister gab,<lb/> sogar unter Friedrichs II. Unteroffizieren, und daß Verstand, Liebe, Treue uns<lb/> auch vor Pestalozzi in nud außer der Schule Segen gebracht haben; daß aber<lb/> auch nach Pestalozzi, wo Verstand, Liebe oder Treue fehlen, nicht Pestalozzis<lb/> Methode und noch weniger Redensarten, die von ihm erborgt sind, und Brocken<lb/> aus seinem Reichtum den Grundmängel ersetzen." Als guter Schulmeister fand er<lb/> nirgends das schlechte Schülermaterial, über das die schlechten zu klagen Pflege».<lb/> Bei eiuer ihm zu Ehren in Koblenz veranstalteten Feier warf er einen Rückblick<lb/> auf seiue Wirksamkeit und sagte u. a. von Elberfeld, er habe da eine geistig ge¬<lb/> weckte, strebsame, für alles Wahre und Edle empfängliche Jngend gefunden, die der<lb/> Lehrer in allen Dingen mit sich habe fortreißen können, nnr im Gemeinen würde<lb/> sie ihm nicht gefolgt sein. Er erwähne dies im Hinblick auf ein entgegengesetztes<lb/> Urteil, das in derselben Zeit von einem in der Lehrerwelt sehr bekannten Manne<lb/> lDicsterweg) über dieselbe Jngend gefällt worden sei. Landfermauu gehörte zu<lb/> den Lehrern, die keiner ihrer Schüler zu belügen wagt. Beim Weggange von<lb/> Elberfeld, wo er seine Laufbahn begonnen hatte, schrieb er an seine Schwieger¬<lb/> mutter, die Gattin des Heidelberger Buchhändlers Winter: „Einen Beruf habe ich,<lb/> auf die Treue hoffe ich. Der Beruf ist schwer genug, und darum auch schön<lb/> genug, in diesen Zeiten der politischen, sittlichen, religiösen Konfusion „Männer</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Litteratur
so daß mir nichts übrig blieb als es von Anfang bis zu Ende zu lesen. Man
freut sich eben, wenn man wieder einen tüchtigen und gescheiten Menschen, einen
edeln Charakter, einen ganzen Mann kennen lernt, dessen Person, Wort und Wirken
etwas wert sind. Landfermauu, >8»0 zu Soest geboren, gelangte auf dem
reglemcutswidrigsien Wege in die Hallen des akademischen Heiligtums. Er wurde
vou seinem Vater privatim vorbereitet, trat als Dreizehnjähriger in die Prima
ein und ließ sich darin auf sieben Jahre häuslich nieder. Zu den Unterrichts¬
gegenständen gehörte anch das Italienische, und wenn die Lektüre in den übrigen
Sprachen so unterhaltend war wie in dieser, wo laut Schulprogramm von !8Ill
der Boccaccio gelesen wurde, so werdeu ihm die sieben Jahre nicht gar zu lang
geworden sein. Als Burschenschafter verfiel er dem Herrn von Kamptz und brachte
seine besten Jahre im Gefängnis zu. Die Art, wie er seine Hast ertrug, und
wie er darüber urteilte, bezeugt aufs glänzendste die Gediegenheit seines Charakters.
Im Jahre >85>2 schreibt er in einem Briefe! „Nach einem vierjährigen Universitäts-
leben ohne grobe Verschuldungen, zuweilen in sehr angestrengtem Studien, aber
breit, universell, phantastisch, ohne Plan romantisch hingelebt, die Wirklichkeit an¬
zugreifen ungeschickt wie wenige, uumiißig stolz, und dennoch die Bewunderung
meiner Umgebung durch die Herrschaft, die ich gerade durch meine Schwächen aus¬
übte, im Stolz befestigt, graute mir gerade vor Philisterium und Examen. Was
aus mir geworden wäre, in welches Meer ich versunken, wenn die JkaruSflügel
abschmolzeu in der brennenden Realität, ich weiß es nicht, finde aber im 52.
Jahre keine bessere Kur heraus, als die mir gewordene! sechs Jahre im Gefängnis.
Zum großen Leidwesen des Polizeiministers, der ihm die Kur verordnet hatte,
machte er als angezeichneter Schulmann rasch Karriere und brachte es später
sogar bis zum Provinzial-Schulrat. Als solcher wirkte er in Koblenz :i2 Jahre.
>87:i trat er in den Ruhestand und lebte noch bis >882. Obwohl selbst ein
Rädchen der bureaukratischen Maschine geworden, blieb er doch ein entschiedener
Feind bnreankratischer Behandlung des Schulwesens. Wie jeder echte Pädagog
hatte er bei Zeiten erkannt, daß auf die Persönlichkeit des Lehrers so ziemlich
alles ankomme und daß der Wert aller Reglements höchst zweifelhaft sei. Bein,
Pestalozzijnbilänm ! 84t> äußerte er! „So manchen marktschreierischen Übertreibungen
gegenüber, die das letzte Jahr über unsern Gegenstand gebracht hat, muß erinnert
werden, daß es lange vor Pestalozzi verständige, treue, liebende Schulmeister gab,
sogar unter Friedrichs II. Unteroffizieren, und daß Verstand, Liebe, Treue uns
auch vor Pestalozzi in nud außer der Schule Segen gebracht haben; daß aber
auch nach Pestalozzi, wo Verstand, Liebe oder Treue fehlen, nicht Pestalozzis
Methode und noch weniger Redensarten, die von ihm erborgt sind, und Brocken
aus seinem Reichtum den Grundmängel ersetzen." Als guter Schulmeister fand er
nirgends das schlechte Schülermaterial, über das die schlechten zu klagen Pflege».
Bei eiuer ihm zu Ehren in Koblenz veranstalteten Feier warf er einen Rückblick
auf seiue Wirksamkeit und sagte u. a. von Elberfeld, er habe da eine geistig ge¬
weckte, strebsame, für alles Wahre und Edle empfängliche Jngend gefunden, die der
Lehrer in allen Dingen mit sich habe fortreißen können, nnr im Gemeinen würde
sie ihm nicht gefolgt sein. Er erwähne dies im Hinblick auf ein entgegengesetztes
Urteil, das in derselben Zeit von einem in der Lehrerwelt sehr bekannten Manne
lDicsterweg) über dieselbe Jngend gefällt worden sei. Landfermauu gehörte zu
den Lehrern, die keiner ihrer Schüler zu belügen wagt. Beim Weggange von
Elberfeld, wo er seine Laufbahn begonnen hatte, schrieb er an seine Schwieger¬
mutter, die Gattin des Heidelberger Buchhändlers Winter: „Einen Beruf habe ich,
auf die Treue hoffe ich. Der Beruf ist schwer genug, und darum auch schön
genug, in diesen Zeiten der politischen, sittlichen, religiösen Konfusion „Männer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |