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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Gegenstände. So rächte sich der Generalintendant in edelmütiger Weise für
die "Hülsenfrüchte/' die ihm die Studentenschaft nicht lange vorher nach einer
Skandalgeschichte dargebracht hatte.

Eine einflußreiche Persönlichkeit suchten wir noch für unser Unternehmen
zu gewinnen, das war der Prinz Georg. Er hatte dem Nationaltheater seine
besondre Gunst geschenkt und zeigte auch sür Wildenbruch warmes Interesse.
Er versprach uns sein Wohlwollen und erschien auch wiederholt in den Proben.
Diese persönliche Teilnahme des fürstlichen Dichters war für uns natürlich ein
mächtiger Sporn, es wurde tüchtig gelernt und ans der Bühne flott gewirkt.

Aber wie störend unvorhergesehene Kleinigkeiten sein können, erfuhren wir
gleich bei der ersten Probe von Wallensteins Lager. Der Rekrut, ein baum¬
langer Jurist, erschien und trug seine Verse "Trommeln und Pfeifen, kriegrischer
Klang" u. s. w. mit vortrefflicher Deklamation vor. Doch der Regisseur fiel
ihm sogleich ins Wort: Singen müssen Sie, singen!

Singen? fragte der Rekrut verwundert, nach welcher Melodie denn?

Der Regisseur stutzte und sah sich um. Er hat Recht! Nach welcher
Melodie? Nun, die müssen Sie sich selbst machen!

Ja, das ist nicht so einfach -- das kann ich nicht!

Na, dann nehmen Sie eine bekannte.

Der Rekrut, kurz entschlossen, versuchte die Melodie: Es steht ein Wirts¬
haus an der Lahn. Alles lachte.

Das geht nicht! Das geht nicht! schrie der Regisseur -- eine andre!

Er begann: Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein. Bis zu den
Versen: "Schwert an der Seite, frisch in die Weite" klappten die Versfüße
mit einigen Verrenkungen ganz gut, aber von da ab war es beim beste" Willen
nicht mehr möglich. Er versuchte: Von allen den Mädchen so blink und so
blank -- das ging ungefähr bis zu derselben Stelle leidlich, aber hier war das
Anpassungsvermögen auch zu Ende.

Der Regisseur wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging überlegend
auf und ab. Währenddessen brüllte das wild gewordene Lagerkorps die "Lore
am Thore" zu Ende: "Sie ist mein Gedanke bei Tag und bei Nacht und
wohnet im Winkel am Thore."

Ich bitte mir Ruhe aus! schrie der Regisseur dazwischen, hier ist kein
Radalltheater.

Es wurde allmählich still. Ja, schwere Not, ist denn niemand unter Ihnen,
der zu dem Dinge die paar lumpigen Noten machen kann? -- Na, dann muß
das Komitee dafür sorgen!

Auch das noch! Wir komponirter also; es wurde eine jämmerliche Fuge,
aber es waren wenigstens Noten. Noch schlimmer erging es uns mit der Svan-
hild, deren Einübung van Hell selbst übernommen hatte. Wildenbruch war
bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet er mit van Hell zusammen.


Gegenstände. So rächte sich der Generalintendant in edelmütiger Weise für
die „Hülsenfrüchte/' die ihm die Studentenschaft nicht lange vorher nach einer
Skandalgeschichte dargebracht hatte.

Eine einflußreiche Persönlichkeit suchten wir noch für unser Unternehmen
zu gewinnen, das war der Prinz Georg. Er hatte dem Nationaltheater seine
besondre Gunst geschenkt und zeigte auch sür Wildenbruch warmes Interesse.
Er versprach uns sein Wohlwollen und erschien auch wiederholt in den Proben.
Diese persönliche Teilnahme des fürstlichen Dichters war für uns natürlich ein
mächtiger Sporn, es wurde tüchtig gelernt und ans der Bühne flott gewirkt.

Aber wie störend unvorhergesehene Kleinigkeiten sein können, erfuhren wir
gleich bei der ersten Probe von Wallensteins Lager. Der Rekrut, ein baum¬
langer Jurist, erschien und trug seine Verse „Trommeln und Pfeifen, kriegrischer
Klang" u. s. w. mit vortrefflicher Deklamation vor. Doch der Regisseur fiel
ihm sogleich ins Wort: Singen müssen Sie, singen!

Singen? fragte der Rekrut verwundert, nach welcher Melodie denn?

Der Regisseur stutzte und sah sich um. Er hat Recht! Nach welcher
Melodie? Nun, die müssen Sie sich selbst machen!

Ja, das ist nicht so einfach — das kann ich nicht!

Na, dann nehmen Sie eine bekannte.

Der Rekrut, kurz entschlossen, versuchte die Melodie: Es steht ein Wirts¬
haus an der Lahn. Alles lachte.

Das geht nicht! Das geht nicht! schrie der Regisseur — eine andre!

Er begann: Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein. Bis zu den
Versen: „Schwert an der Seite, frisch in die Weite" klappten die Versfüße
mit einigen Verrenkungen ganz gut, aber von da ab war es beim beste» Willen
nicht mehr möglich. Er versuchte: Von allen den Mädchen so blink und so
blank — das ging ungefähr bis zu derselben Stelle leidlich, aber hier war das
Anpassungsvermögen auch zu Ende.

Der Regisseur wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging überlegend
auf und ab. Währenddessen brüllte das wild gewordene Lagerkorps die „Lore
am Thore" zu Ende: „Sie ist mein Gedanke bei Tag und bei Nacht und
wohnet im Winkel am Thore."

Ich bitte mir Ruhe aus! schrie der Regisseur dazwischen, hier ist kein
Radalltheater.

Es wurde allmählich still. Ja, schwere Not, ist denn niemand unter Ihnen,
der zu dem Dinge die paar lumpigen Noten machen kann? — Na, dann muß
das Komitee dafür sorgen!

Auch das noch! Wir komponirter also; es wurde eine jämmerliche Fuge,
aber es waren wenigstens Noten. Noch schlimmer erging es uns mit der Svan-
hild, deren Einübung van Hell selbst übernommen hatte. Wildenbruch war
bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet er mit van Hell zusammen.


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[0101] Gegenstände. So rächte sich der Generalintendant in edelmütiger Weise für die „Hülsenfrüchte/' die ihm die Studentenschaft nicht lange vorher nach einer Skandalgeschichte dargebracht hatte. Eine einflußreiche Persönlichkeit suchten wir noch für unser Unternehmen zu gewinnen, das war der Prinz Georg. Er hatte dem Nationaltheater seine besondre Gunst geschenkt und zeigte auch sür Wildenbruch warmes Interesse. Er versprach uns sein Wohlwollen und erschien auch wiederholt in den Proben. Diese persönliche Teilnahme des fürstlichen Dichters war für uns natürlich ein mächtiger Sporn, es wurde tüchtig gelernt und ans der Bühne flott gewirkt. Aber wie störend unvorhergesehene Kleinigkeiten sein können, erfuhren wir gleich bei der ersten Probe von Wallensteins Lager. Der Rekrut, ein baum¬ langer Jurist, erschien und trug seine Verse „Trommeln und Pfeifen, kriegrischer Klang" u. s. w. mit vortrefflicher Deklamation vor. Doch der Regisseur fiel ihm sogleich ins Wort: Singen müssen Sie, singen! Singen? fragte der Rekrut verwundert, nach welcher Melodie denn? Der Regisseur stutzte und sah sich um. Er hat Recht! Nach welcher Melodie? Nun, die müssen Sie sich selbst machen! Ja, das ist nicht so einfach — das kann ich nicht! Na, dann nehmen Sie eine bekannte. Der Rekrut, kurz entschlossen, versuchte die Melodie: Es steht ein Wirts¬ haus an der Lahn. Alles lachte. Das geht nicht! Das geht nicht! schrie der Regisseur — eine andre! Er begann: Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein. Bis zu den Versen: „Schwert an der Seite, frisch in die Weite" klappten die Versfüße mit einigen Verrenkungen ganz gut, aber von da ab war es beim beste» Willen nicht mehr möglich. Er versuchte: Von allen den Mädchen so blink und so blank — das ging ungefähr bis zu derselben Stelle leidlich, aber hier war das Anpassungsvermögen auch zu Ende. Der Regisseur wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging überlegend auf und ab. Währenddessen brüllte das wild gewordene Lagerkorps die „Lore am Thore" zu Ende: „Sie ist mein Gedanke bei Tag und bei Nacht und wohnet im Winkel am Thore." Ich bitte mir Ruhe aus! schrie der Regisseur dazwischen, hier ist kein Radalltheater. Es wurde allmählich still. Ja, schwere Not, ist denn niemand unter Ihnen, der zu dem Dinge die paar lumpigen Noten machen kann? — Na, dann muß das Komitee dafür sorgen! Auch das noch! Wir komponirter also; es wurde eine jämmerliche Fuge, aber es waren wenigstens Noten. Noch schlimmer erging es uns mit der Svan- hild, deren Einübung van Hell selbst übernommen hatte. Wildenbruch war bei jeder Probe auf der Bühne, und bei jeder geriet er mit van Hell zusammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/101>, abgerufen am 23.07.2024.