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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

sattsam nach sozialer Gleichberechtigung mit den jetzt herrschenden Ständen, und
er wird M auch bis zu einem gewissen Grade, sei es aus friedlichem oder auf
revolutionärem Wege, erreichen. Man mißverstehe mich nicht: auch jetzt sehen
sich Adel und Biirgerstand nicht als gleichberechtigt an, obgleich sie es vor
dem Gesetz thatsächlich sind; der Adel hat durch seiue nahe Stellung zur Krone,
dnrch die besonders in den untern Volksschichten für ihn wurzelnde höhere
Achtung als Stand einen Einfluß, wie ihn der Bürgerstand nicht besitzt.
Dennoch kann man behaupten, daß der Bürgerstand heutzutage herrsche, dadurch,
daß die geistige Macht auf seiner Seite steht, und dadurch, daß ihm auch die
Geldmacht zugefallen ist. Das Geld hat freilich eine Geldaristokratie geschaffen
und dadurch den Bürgerstand gespalten, aber im großen und ganzen kann
man sagen, daß die "Bourgeoisie" das herrschende Element im heutigen Staate
sei, und das vor allem dadurch, daß sie die Trägerin der Bildung ist. Durch
seine geistige Bildung hat der Bürgerstand den Adel aus dem Sattel gehoben,
und der Einfluß, der dein Adel geblieben ist, ist nicht mehr ein Privileginm,
sondern der Einfluß, den die Vergangenheit immer ans die Gegenwart übt in Ver¬
bindung mit dem, den die Krone dem Adel verleiht, um eine zuverlässige und
feststehende Unterlage im Volke zu haben. Der vierte Stand dagegen ist nicht
nur in manchen Ländern durch den Census von dem politischen Leben fast aus¬
geschlossen, er ist auch gesellschaftlich von den herrschenden Kreisen ausge¬
schlossen, und der Arbeiter kann mit dem besser" Bürgerstande nicht einmal
so verkehren, wie dieser mit dem stolzesten Adelsgeschlechte. Wenn nun anch
niemals eine völlige gesellschaftliche Gleichberechtigung der verschiednen Stände
eintreten wird, so werdeu doch die untern Stände immer darnach streben, sich
einer solchen Gleichberechtigung soviel als möglich zu nähern, wenigstens dann,
wenn es ihnen materiell gut geht; nnr wer durch seiue materielle Lage in
dumpfe Verzweiflung gestürzt ist, wird es nicht wagen, emporzustreben. Das
materielle Wohl ist daher nur die Grundlage der sozialen Frage, nicht mehr;
das Treibende für den tüchtigen Arbeiter wird stets sein, sich eine unabhängige
Lage und eine gesellschaftlich geachtete Stellung zu schaffen. Beides ist aber
uur möglich dnrch geistige Bildung. Der Ungebildete ist in feinem Wissen
und Können immer abhängig von dein Gebildeten, und der gesellschaftliche
Verkehr kann sich nur da inniger gestalten, wo Gleichheit der Bildung das
gegenseitige Verständnis im Denken und Fühlen ermöglicht; auch wird
jede Stellung durch die größere Bildung ihres Inhabers geachteter, weil diese
ihn unabhängiger in seiner Stellung macht. Will der Arbeiter daher eine
gesellschaftlich höhere Stellung einnehmen, so muß er vor allem die nötige
Bildung erwerben, sowohl was die Kenntnisse, als was das Gemüt anlangt.
Kenntnisse können nnr durch Lernen, also vor allem in der Schule erworben
werden, die Gemütsbildung nnr durch ein inniges, gegenseitig erziehendes
Familienleben. Das öffentliche Leben kaun die Gemütsbedürfnisse der Einzelnen


Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

sattsam nach sozialer Gleichberechtigung mit den jetzt herrschenden Ständen, und
er wird M auch bis zu einem gewissen Grade, sei es aus friedlichem oder auf
revolutionärem Wege, erreichen. Man mißverstehe mich nicht: auch jetzt sehen
sich Adel und Biirgerstand nicht als gleichberechtigt an, obgleich sie es vor
dem Gesetz thatsächlich sind; der Adel hat durch seiue nahe Stellung zur Krone,
dnrch die besonders in den untern Volksschichten für ihn wurzelnde höhere
Achtung als Stand einen Einfluß, wie ihn der Bürgerstand nicht besitzt.
Dennoch kann man behaupten, daß der Bürgerstand heutzutage herrsche, dadurch,
daß die geistige Macht auf seiner Seite steht, und dadurch, daß ihm auch die
Geldmacht zugefallen ist. Das Geld hat freilich eine Geldaristokratie geschaffen
und dadurch den Bürgerstand gespalten, aber im großen und ganzen kann
man sagen, daß die „Bourgeoisie" das herrschende Element im heutigen Staate
sei, und das vor allem dadurch, daß sie die Trägerin der Bildung ist. Durch
seine geistige Bildung hat der Bürgerstand den Adel aus dem Sattel gehoben,
und der Einfluß, der dein Adel geblieben ist, ist nicht mehr ein Privileginm,
sondern der Einfluß, den die Vergangenheit immer ans die Gegenwart übt in Ver¬
bindung mit dem, den die Krone dem Adel verleiht, um eine zuverlässige und
feststehende Unterlage im Volke zu haben. Der vierte Stand dagegen ist nicht
nur in manchen Ländern durch den Census von dem politischen Leben fast aus¬
geschlossen, er ist auch gesellschaftlich von den herrschenden Kreisen ausge¬
schlossen, und der Arbeiter kann mit dem besser» Bürgerstande nicht einmal
so verkehren, wie dieser mit dem stolzesten Adelsgeschlechte. Wenn nun anch
niemals eine völlige gesellschaftliche Gleichberechtigung der verschiednen Stände
eintreten wird, so werdeu doch die untern Stände immer darnach streben, sich
einer solchen Gleichberechtigung soviel als möglich zu nähern, wenigstens dann,
wenn es ihnen materiell gut geht; nnr wer durch seiue materielle Lage in
dumpfe Verzweiflung gestürzt ist, wird es nicht wagen, emporzustreben. Das
materielle Wohl ist daher nur die Grundlage der sozialen Frage, nicht mehr;
das Treibende für den tüchtigen Arbeiter wird stets sein, sich eine unabhängige
Lage und eine gesellschaftlich geachtete Stellung zu schaffen. Beides ist aber
uur möglich dnrch geistige Bildung. Der Ungebildete ist in feinem Wissen
und Können immer abhängig von dein Gebildeten, und der gesellschaftliche
Verkehr kann sich nur da inniger gestalten, wo Gleichheit der Bildung das
gegenseitige Verständnis im Denken und Fühlen ermöglicht; auch wird
jede Stellung durch die größere Bildung ihres Inhabers geachteter, weil diese
ihn unabhängiger in seiner Stellung macht. Will der Arbeiter daher eine
gesellschaftlich höhere Stellung einnehmen, so muß er vor allem die nötige
Bildung erwerben, sowohl was die Kenntnisse, als was das Gemüt anlangt.
Kenntnisse können nnr durch Lernen, also vor allem in der Schule erworben
werden, die Gemütsbildung nnr durch ein inniges, gegenseitig erziehendes
Familienleben. Das öffentliche Leben kaun die Gemütsbedürfnisse der Einzelnen


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[0010] Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt sattsam nach sozialer Gleichberechtigung mit den jetzt herrschenden Ständen, und er wird M auch bis zu einem gewissen Grade, sei es aus friedlichem oder auf revolutionärem Wege, erreichen. Man mißverstehe mich nicht: auch jetzt sehen sich Adel und Biirgerstand nicht als gleichberechtigt an, obgleich sie es vor dem Gesetz thatsächlich sind; der Adel hat durch seiue nahe Stellung zur Krone, dnrch die besonders in den untern Volksschichten für ihn wurzelnde höhere Achtung als Stand einen Einfluß, wie ihn der Bürgerstand nicht besitzt. Dennoch kann man behaupten, daß der Bürgerstand heutzutage herrsche, dadurch, daß die geistige Macht auf seiner Seite steht, und dadurch, daß ihm auch die Geldmacht zugefallen ist. Das Geld hat freilich eine Geldaristokratie geschaffen und dadurch den Bürgerstand gespalten, aber im großen und ganzen kann man sagen, daß die „Bourgeoisie" das herrschende Element im heutigen Staate sei, und das vor allem dadurch, daß sie die Trägerin der Bildung ist. Durch seine geistige Bildung hat der Bürgerstand den Adel aus dem Sattel gehoben, und der Einfluß, der dein Adel geblieben ist, ist nicht mehr ein Privileginm, sondern der Einfluß, den die Vergangenheit immer ans die Gegenwart übt in Ver¬ bindung mit dem, den die Krone dem Adel verleiht, um eine zuverlässige und feststehende Unterlage im Volke zu haben. Der vierte Stand dagegen ist nicht nur in manchen Ländern durch den Census von dem politischen Leben fast aus¬ geschlossen, er ist auch gesellschaftlich von den herrschenden Kreisen ausge¬ schlossen, und der Arbeiter kann mit dem besser» Bürgerstande nicht einmal so verkehren, wie dieser mit dem stolzesten Adelsgeschlechte. Wenn nun anch niemals eine völlige gesellschaftliche Gleichberechtigung der verschiednen Stände eintreten wird, so werdeu doch die untern Stände immer darnach streben, sich einer solchen Gleichberechtigung soviel als möglich zu nähern, wenigstens dann, wenn es ihnen materiell gut geht; nnr wer durch seiue materielle Lage in dumpfe Verzweiflung gestürzt ist, wird es nicht wagen, emporzustreben. Das materielle Wohl ist daher nur die Grundlage der sozialen Frage, nicht mehr; das Treibende für den tüchtigen Arbeiter wird stets sein, sich eine unabhängige Lage und eine gesellschaftlich geachtete Stellung zu schaffen. Beides ist aber uur möglich dnrch geistige Bildung. Der Ungebildete ist in feinem Wissen und Können immer abhängig von dein Gebildeten, und der gesellschaftliche Verkehr kann sich nur da inniger gestalten, wo Gleichheit der Bildung das gegenseitige Verständnis im Denken und Fühlen ermöglicht; auch wird jede Stellung durch die größere Bildung ihres Inhabers geachteter, weil diese ihn unabhängiger in seiner Stellung macht. Will der Arbeiter daher eine gesellschaftlich höhere Stellung einnehmen, so muß er vor allem die nötige Bildung erwerben, sowohl was die Kenntnisse, als was das Gemüt anlangt. Kenntnisse können nnr durch Lernen, also vor allem in der Schule erworben werden, die Gemütsbildung nnr durch ein inniges, gegenseitig erziehendes Familienleben. Das öffentliche Leben kaun die Gemütsbedürfnisse der Einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/10>, abgerufen am 23.07.2024.