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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

in einem Examen einen hervorragenden Erfolg, und doch war er Nieder über¬
arbeitet nach überbürdet gewesen.

So verlief unsre Kindheit wie der Sommer unsers nordischen Landes.
An trüben und Regentagen fehlte es nicht; mit der Schule aber hatte das
schlechte Wetter ganz gewiß nichts zu thun, alle Dunkelheit kam aus den
politischen Verhältnissen, und die warme Souue des Elternhauses, die Güte
des Großvaters war doch der Grundton vou allem. Daher mag es wohl
kommen, daß selbst in reifen Jahren der Zauber nicht erloschen ist, der in
meiner Erinnerung über der kleinen Stadt liegt. Weltvergessen ist sie noch
hente, und es wird wohl noch etliche Jahre dauern, ehe das Pfeifen der
Lokomotive in ihrer Nähe gehört wird. Dann aber wird anch viel von ihrer
Absonderlichkeit verschwinden, und ich mochte sie festhalten, wie sie gewesen ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Verleumdungsprivilegium des Angeklagten.

Daß unsre Straf¬
prozeßordnung kein Meisterwerk ist, wissen die Rechtsverständiger; daß ihre Be¬
stimmungen sehr viel mit dazu beitragen, den Schutz, den das Strafgesetzbuch dem
Beschädigtem gewahren soll, hinfällig zu machen, die Rolle, die dem Angeklagten
zufallen sollte, auf den Beschädigtem und die zu dessen Unterstützung aussagenden
Zeugen zu übertragen -- diese Thatsache wird der in letzter Zeit verhandelte so¬
genannte Bochumer Stencrprozeß nunmehr den weitesten Kreisen klar gemacht habe".

Ein vielfach bestrafter Zeitnngsredakteur läßt sich ans den trübsten Quellen
-- von entlassenen Arbeitern und dergleichen Leuten -- Material zum Angriff
gegen unbescholtene Bürger zutragen, verarbeitet dieses Material und veröffentlicht
es mit Beschimpfungen geziert in seinem Blatte, worauf die Beleidigten Straf¬
antrag gegen ihn stellen. In der Hauptverhandlung werden eine ganze Masse
von Zeugen vernommen, die es dem Angeklagten zu nennen beliebt hat. Die
Zeugen werden über eine Reihe von Fragen verhört, die der Angeklagte im Verein
mit seinen Verteidigern zu stelle" für gut befindet, über Fragen, die nicht nur
die intimsten Familien- und Vermögensverhältnisse der vernommenen Personen vor
die Öffentlichkeit zerren, sondern auch ihre Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit in
gänzlich unbegründeter Weise in Zweifel ziehen.

Dieses Verfahren ermöglicht die Strafprozeßordnung. 8 219 dieses Gesetzes
bestimmt, daß, auch wenn der Vorsitzende des Gerichts einen Antrag des Ange¬
klagten auf Ladung einer Person abgelehnt hat, der Angeklagte diese Person doch
zur Verhandlung laden kaun, und daß diese erscheinen muß. 244 bestimmt,
daß sich die Beweisaufuahme auf die sämtlichen geladenen Zeugen erstrecken muß,
und § 23ö, daß der Vorsitzende dem Angeklagten und seinem Verteidiger gestatten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

in einem Examen einen hervorragenden Erfolg, und doch war er Nieder über¬
arbeitet nach überbürdet gewesen.

So verlief unsre Kindheit wie der Sommer unsers nordischen Landes.
An trüben und Regentagen fehlte es nicht; mit der Schule aber hatte das
schlechte Wetter ganz gewiß nichts zu thun, alle Dunkelheit kam aus den
politischen Verhältnissen, und die warme Souue des Elternhauses, die Güte
des Großvaters war doch der Grundton vou allem. Daher mag es wohl
kommen, daß selbst in reifen Jahren der Zauber nicht erloschen ist, der in
meiner Erinnerung über der kleinen Stadt liegt. Weltvergessen ist sie noch
hente, und es wird wohl noch etliche Jahre dauern, ehe das Pfeifen der
Lokomotive in ihrer Nähe gehört wird. Dann aber wird anch viel von ihrer
Absonderlichkeit verschwinden, und ich mochte sie festhalten, wie sie gewesen ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Verleumdungsprivilegium des Angeklagten.

Daß unsre Straf¬
prozeßordnung kein Meisterwerk ist, wissen die Rechtsverständiger; daß ihre Be¬
stimmungen sehr viel mit dazu beitragen, den Schutz, den das Strafgesetzbuch dem
Beschädigtem gewahren soll, hinfällig zu machen, die Rolle, die dem Angeklagten
zufallen sollte, auf den Beschädigtem und die zu dessen Unterstützung aussagenden
Zeugen zu übertragen — diese Thatsache wird der in letzter Zeit verhandelte so¬
genannte Bochumer Stencrprozeß nunmehr den weitesten Kreisen klar gemacht habe».

Ein vielfach bestrafter Zeitnngsredakteur läßt sich ans den trübsten Quellen
— von entlassenen Arbeitern und dergleichen Leuten — Material zum Angriff
gegen unbescholtene Bürger zutragen, verarbeitet dieses Material und veröffentlicht
es mit Beschimpfungen geziert in seinem Blatte, worauf die Beleidigten Straf¬
antrag gegen ihn stellen. In der Hauptverhandlung werden eine ganze Masse
von Zeugen vernommen, die es dem Angeklagten zu nennen beliebt hat. Die
Zeugen werden über eine Reihe von Fragen verhört, die der Angeklagte im Verein
mit seinen Verteidigern zu stelle» für gut befindet, über Fragen, die nicht nur
die intimsten Familien- und Vermögensverhältnisse der vernommenen Personen vor
die Öffentlichkeit zerren, sondern auch ihre Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit in
gänzlich unbegründeter Weise in Zweifel ziehen.

Dieses Verfahren ermöglicht die Strafprozeßordnung. 8 219 dieses Gesetzes
bestimmt, daß, auch wenn der Vorsitzende des Gerichts einen Antrag des Ange¬
klagten auf Ladung einer Person abgelehnt hat, der Angeklagte diese Person doch
zur Verhandlung laden kaun, und daß diese erscheinen muß. 244 bestimmt,
daß sich die Beweisaufuahme auf die sämtlichen geladenen Zeugen erstrecken muß,
und § 23ö, daß der Vorsitzende dem Angeklagten und seinem Verteidiger gestatten


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[0091] Maßgebliches und Unmaßgebliches in einem Examen einen hervorragenden Erfolg, und doch war er Nieder über¬ arbeitet nach überbürdet gewesen. So verlief unsre Kindheit wie der Sommer unsers nordischen Landes. An trüben und Regentagen fehlte es nicht; mit der Schule aber hatte das schlechte Wetter ganz gewiß nichts zu thun, alle Dunkelheit kam aus den politischen Verhältnissen, und die warme Souue des Elternhauses, die Güte des Großvaters war doch der Grundton vou allem. Daher mag es wohl kommen, daß selbst in reifen Jahren der Zauber nicht erloschen ist, der in meiner Erinnerung über der kleinen Stadt liegt. Weltvergessen ist sie noch hente, und es wird wohl noch etliche Jahre dauern, ehe das Pfeifen der Lokomotive in ihrer Nähe gehört wird. Dann aber wird anch viel von ihrer Absonderlichkeit verschwinden, und ich mochte sie festhalten, wie sie gewesen ist. Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Verleumdungsprivilegium des Angeklagten. Daß unsre Straf¬ prozeßordnung kein Meisterwerk ist, wissen die Rechtsverständiger; daß ihre Be¬ stimmungen sehr viel mit dazu beitragen, den Schutz, den das Strafgesetzbuch dem Beschädigtem gewahren soll, hinfällig zu machen, die Rolle, die dem Angeklagten zufallen sollte, auf den Beschädigtem und die zu dessen Unterstützung aussagenden Zeugen zu übertragen — diese Thatsache wird der in letzter Zeit verhandelte so¬ genannte Bochumer Stencrprozeß nunmehr den weitesten Kreisen klar gemacht habe». Ein vielfach bestrafter Zeitnngsredakteur läßt sich ans den trübsten Quellen — von entlassenen Arbeitern und dergleichen Leuten — Material zum Angriff gegen unbescholtene Bürger zutragen, verarbeitet dieses Material und veröffentlicht es mit Beschimpfungen geziert in seinem Blatte, worauf die Beleidigten Straf¬ antrag gegen ihn stellen. In der Hauptverhandlung werden eine ganze Masse von Zeugen vernommen, die es dem Angeklagten zu nennen beliebt hat. Die Zeugen werden über eine Reihe von Fragen verhört, die der Angeklagte im Verein mit seinen Verteidigern zu stelle» für gut befindet, über Fragen, die nicht nur die intimsten Familien- und Vermögensverhältnisse der vernommenen Personen vor die Öffentlichkeit zerren, sondern auch ihre Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit in gänzlich unbegründeter Weise in Zweifel ziehen. Dieses Verfahren ermöglicht die Strafprozeßordnung. 8 219 dieses Gesetzes bestimmt, daß, auch wenn der Vorsitzende des Gerichts einen Antrag des Ange¬ klagten auf Ladung einer Person abgelehnt hat, der Angeklagte diese Person doch zur Verhandlung laden kaun, und daß diese erscheinen muß. 244 bestimmt, daß sich die Beweisaufuahme auf die sämtlichen geladenen Zeugen erstrecken muß, und § 23ö, daß der Vorsitzende dem Angeklagten und seinem Verteidiger gestatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/91>, abgerufen am 23.07.2024.