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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ans dänischer Zeit

so war es sehr interessant, zu beobachten, vor welchen Häusern der Sarg hin¬
gesetzt wurde, um die Träger zu wechseln. Denn, so sagten alle Dienstmädchen,
in dem Hause, vor dem der Sarg ausruhte, würde die nächste Leiche sein.
Nun war aber die Straße sehr breit, und dann befände" sich an beiden Seite"
Häuser, sodaß es nicht allein sehr schwer war, genau deu Platz zu bestimmen,
wo die verhängnisvolle Last hingesetzt wurde, sonder" es blieb auch immer uoch
die Wahl zwischen zwei sich gegenüberliegenden Häusern. Da war also der
Vermutung und der Phantasie reichlicher Spielraum gegeben, und wir Kinder
benutzten das eifrig, unterstützt von dem Geschwätz der Dienstmägde.

Es herrschte überhaupt ein ungeheurer Aberglaube in den niedern Kreisen
der Bevölkerung, und selbst die Gebildeter" konnten sich dem Einfluß dieser
oder jener wahnwitzigen Behauptung nicht immer entziehen. Und doch sah
die Stadt mit ihren breiten Straßen, ihrer hochgelegenen Kirche, die der
Friedhof umgab, so ungemein prosaisch aus! Da waren keine dunkeln Winkel,
keine Häuser, denen man ihre Geschichte am Giebel Hütte ablesen können.
Dennoch täuschte auch hier das Äußere; denn obgleich es nnr häßliche Back¬
steinbauten waren, so wohnten doch viele gebildete Leute darin. Vor der
sogenannten "preußischen" Zeit gab es in der kleinen Stadt viel mehr studirte
Beamte als jetzt. Da war der Amtmann, der Justiz und Verwaltung in
einer Person vereinigte, ein Beamter mit sehr hohem Range. Dann der Aktuar,
gleichfalls ein älterer Jurist, der Amtsverwalter, der Bürgermeister, manchmal
auch noch der Stadtsekretär, alles Juristen, denen der dänische König allmählich
die Titel Justiz-, Etats- oder Kvnferenzrat verlieh, unter der Voraussetzung
allerdings, daß sie keine politischen Sünden auf dein Gewissen hatten. Dann
bliebe" sie beim Justizrat stehen. Die leidige Politik! Wie viel haben wir
Kinder von ihr hören müssen; ein wie unnötiger Haß wurde in unsern jungen
Herzen großgezogen! Reinste doch die Beschuldigung: "Dn bist ein Düne!"
manchmal hin, uns mit Verachtung von einem Spielgeführten zu wenden,
der nichts "veiter gethan, als uus in aller Harmlosigkeit berichtet hatte, daß
sein Vater den Dauebrvgvrdeu erhalten habe. Es war uns verboten, mit
ander" .Kinder" von Politik zu sprechen; wir thaten es aber doch immer,
wenn wir unter uns waren. Dann erzählte uus unser ältester Bruder von
dem Studeutenonkel, der gegen die Dünen gekämpft und in Jütland deu
Soldatentod gefunden hatte. Wir hatten ihn alle nicht mehr gekannt, aber
sein Gedächtnis lebte in uns fort wie das eines Heiligen. "Er ist für
Schleswig-Holstein gestvrbe"; er hats gut!" sagte mein ältester Bruder ge¬
heimnisvoll, und wir nickten, ehrfurchtsvoll die kleine schwarze Silhouette mit
dem bunten Cerevis betrachtend, die das einzige Bildnis des Heimgegangenen
war. Damals ahnten wir noch nicht, daß auch unser ältester Bruder auf
Frankreichs Erde uicht allein für Schleswig-Holstein, sondern für das große
deutsche Vaterland den Tod der Tapfern finden sollte.


Ans dänischer Zeit

so war es sehr interessant, zu beobachten, vor welchen Häusern der Sarg hin¬
gesetzt wurde, um die Träger zu wechseln. Denn, so sagten alle Dienstmädchen,
in dem Hause, vor dem der Sarg ausruhte, würde die nächste Leiche sein.
Nun war aber die Straße sehr breit, und dann befände» sich an beiden Seite»
Häuser, sodaß es nicht allein sehr schwer war, genau deu Platz zu bestimmen,
wo die verhängnisvolle Last hingesetzt wurde, sonder» es blieb auch immer uoch
die Wahl zwischen zwei sich gegenüberliegenden Häusern. Da war also der
Vermutung und der Phantasie reichlicher Spielraum gegeben, und wir Kinder
benutzten das eifrig, unterstützt von dem Geschwätz der Dienstmägde.

Es herrschte überhaupt ein ungeheurer Aberglaube in den niedern Kreisen
der Bevölkerung, und selbst die Gebildeter» konnten sich dem Einfluß dieser
oder jener wahnwitzigen Behauptung nicht immer entziehen. Und doch sah
die Stadt mit ihren breiten Straßen, ihrer hochgelegenen Kirche, die der
Friedhof umgab, so ungemein prosaisch aus! Da waren keine dunkeln Winkel,
keine Häuser, denen man ihre Geschichte am Giebel Hütte ablesen können.
Dennoch täuschte auch hier das Äußere; denn obgleich es nnr häßliche Back¬
steinbauten waren, so wohnten doch viele gebildete Leute darin. Vor der
sogenannten „preußischen" Zeit gab es in der kleinen Stadt viel mehr studirte
Beamte als jetzt. Da war der Amtmann, der Justiz und Verwaltung in
einer Person vereinigte, ein Beamter mit sehr hohem Range. Dann der Aktuar,
gleichfalls ein älterer Jurist, der Amtsverwalter, der Bürgermeister, manchmal
auch noch der Stadtsekretär, alles Juristen, denen der dänische König allmählich
die Titel Justiz-, Etats- oder Kvnferenzrat verlieh, unter der Voraussetzung
allerdings, daß sie keine politischen Sünden auf dein Gewissen hatten. Dann
bliebe» sie beim Justizrat stehen. Die leidige Politik! Wie viel haben wir
Kinder von ihr hören müssen; ein wie unnötiger Haß wurde in unsern jungen
Herzen großgezogen! Reinste doch die Beschuldigung: „Dn bist ein Düne!"
manchmal hin, uns mit Verachtung von einem Spielgeführten zu wenden,
der nichts »veiter gethan, als uus in aller Harmlosigkeit berichtet hatte, daß
sein Vater den Dauebrvgvrdeu erhalten habe. Es war uns verboten, mit
ander» .Kinder» von Politik zu sprechen; wir thaten es aber doch immer,
wenn wir unter uns waren. Dann erzählte uus unser ältester Bruder von
dem Studeutenonkel, der gegen die Dünen gekämpft und in Jütland deu
Soldatentod gefunden hatte. Wir hatten ihn alle nicht mehr gekannt, aber
sein Gedächtnis lebte in uns fort wie das eines Heiligen. „Er ist für
Schleswig-Holstein gestvrbe»; er hats gut!" sagte mein ältester Bruder ge¬
heimnisvoll, und wir nickten, ehrfurchtsvoll die kleine schwarze Silhouette mit
dem bunten Cerevis betrachtend, die das einzige Bildnis des Heimgegangenen
war. Damals ahnten wir noch nicht, daß auch unser ältester Bruder auf
Frankreichs Erde uicht allein für Schleswig-Holstein, sondern für das große
deutsche Vaterland den Tod der Tapfern finden sollte.


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[0088] Ans dänischer Zeit so war es sehr interessant, zu beobachten, vor welchen Häusern der Sarg hin¬ gesetzt wurde, um die Träger zu wechseln. Denn, so sagten alle Dienstmädchen, in dem Hause, vor dem der Sarg ausruhte, würde die nächste Leiche sein. Nun war aber die Straße sehr breit, und dann befände» sich an beiden Seite» Häuser, sodaß es nicht allein sehr schwer war, genau deu Platz zu bestimmen, wo die verhängnisvolle Last hingesetzt wurde, sonder» es blieb auch immer uoch die Wahl zwischen zwei sich gegenüberliegenden Häusern. Da war also der Vermutung und der Phantasie reichlicher Spielraum gegeben, und wir Kinder benutzten das eifrig, unterstützt von dem Geschwätz der Dienstmägde. Es herrschte überhaupt ein ungeheurer Aberglaube in den niedern Kreisen der Bevölkerung, und selbst die Gebildeter» konnten sich dem Einfluß dieser oder jener wahnwitzigen Behauptung nicht immer entziehen. Und doch sah die Stadt mit ihren breiten Straßen, ihrer hochgelegenen Kirche, die der Friedhof umgab, so ungemein prosaisch aus! Da waren keine dunkeln Winkel, keine Häuser, denen man ihre Geschichte am Giebel Hütte ablesen können. Dennoch täuschte auch hier das Äußere; denn obgleich es nnr häßliche Back¬ steinbauten waren, so wohnten doch viele gebildete Leute darin. Vor der sogenannten „preußischen" Zeit gab es in der kleinen Stadt viel mehr studirte Beamte als jetzt. Da war der Amtmann, der Justiz und Verwaltung in einer Person vereinigte, ein Beamter mit sehr hohem Range. Dann der Aktuar, gleichfalls ein älterer Jurist, der Amtsverwalter, der Bürgermeister, manchmal auch noch der Stadtsekretär, alles Juristen, denen der dänische König allmählich die Titel Justiz-, Etats- oder Kvnferenzrat verlieh, unter der Voraussetzung allerdings, daß sie keine politischen Sünden auf dein Gewissen hatten. Dann bliebe» sie beim Justizrat stehen. Die leidige Politik! Wie viel haben wir Kinder von ihr hören müssen; ein wie unnötiger Haß wurde in unsern jungen Herzen großgezogen! Reinste doch die Beschuldigung: „Dn bist ein Düne!" manchmal hin, uns mit Verachtung von einem Spielgeführten zu wenden, der nichts »veiter gethan, als uus in aller Harmlosigkeit berichtet hatte, daß sein Vater den Dauebrvgvrdeu erhalten habe. Es war uns verboten, mit ander» .Kinder» von Politik zu sprechen; wir thaten es aber doch immer, wenn wir unter uns waren. Dann erzählte uus unser ältester Bruder von dem Studeutenonkel, der gegen die Dünen gekämpft und in Jütland deu Soldatentod gefunden hatte. Wir hatten ihn alle nicht mehr gekannt, aber sein Gedächtnis lebte in uns fort wie das eines Heiligen. „Er ist für Schleswig-Holstein gestvrbe»; er hats gut!" sagte mein ältester Bruder ge¬ heimnisvoll, und wir nickten, ehrfurchtsvoll die kleine schwarze Silhouette mit dem bunten Cerevis betrachtend, die das einzige Bildnis des Heimgegangenen war. Damals ahnten wir noch nicht, daß auch unser ältester Bruder auf Frankreichs Erde uicht allein für Schleswig-Holstein, sondern für das große deutsche Vaterland den Tod der Tapfern finden sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/88>, abgerufen am 26.08.2024.