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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ans dänischer Zeit

scheidnerweise nicht "Weisheit" genannt sein wollen." Vielleicht liegt es nur
an unserm geringen Mnsikverständnis, wenn wir es wundert'ur finden, das;
Hirth bei solchen Ansichten ein Verehrer Richard Wagners ist. Dagegen ge¬
hört er nicht zu den Verehrern des unglücklichen Gönners dieses Dichter-
Komponisten und weist die übertriebenen Lobsprüche Lombrosos auf den
Kunstgeschmack König Ludwigs II. sehr entschieden, wenn auch, wohl aus
leicht zu erratenden Rücksichten, in mildester Form zurück.

Ob uns die Zukunft eiuen neuen Stil bescheren wird, oder ob die bildenden
Künste fortfahren werden, für deu Mangel eines herrschenden Stils durch
bunte Mannichfaltigkeit zu entschädigen, diese Frage ist weit weniger wichtig,
als daß die Künstler gesund bleiben. Denn ist das der Fall, so werden sie
auch immer, gleichviel in welcher Stilart, was Rechtschaffenes erzeugen. Und
den Künstlern die Gesundheit zu bewahren, dazu wird Hirths Buch hoffentlich
beitragen. Zum Schlüsse wollen wir noch erwähnen, daß Hirth ein von der
Kritik totgeschwiegenes Werk des leider zu früh gestorbenen Classen: "Über den
Einfluß Kants auf die Theorien der Sinneswahrnehmung und die Sicherheit
ihrer Ergebnisse" (Leipzig, Fr. Will,. Grunvw, 1886) wiederholt mit großer
Anerkennung zitirt.




Aus dänischer Zeit
^. Unsre kleine Stadt

ente werden die Fremden die kleine weltvergessne Stadt wahr¬
scheinlich sehr langweilig finden, wenn sie durch irgend eiuen
Zufall dorthin verschlagen werden sollten. Wir Kinder aber
fanden an unserm Wohnorte nichts auszusetzen. Wohl waren
die Häuser krumm gebaut, mit verzogenen Giebeln und wind¬
schiefen Schornsteinen; aber wir wußten von jedem, der darin wohnte.
Wir kannten den Besitzer, seine Iran, seine Kinder, wir wußten, wo ein
Kleines geboren, wo eins gestorben war, und an allem nahmen wir teil.
Wir wußten sehr gut, wie es war, wenn man auf den Zehen in ein halb-
dunkles Zimmer trat, um in eine verhängte Wiege zu blicken. In dieser
Beziehung bildeten wir uns auf unser sachverständiges Urteil etwas ein; denn
auch bei uns kam der Storch aller zwei Jahre, und wir wußten genau, wie
viel "es" wiege" mußte. Dafür sorgte mein ältester Bruder, der jedesmal,
sobald ihm das Familienereignis bekannt geworden war, mit einer altmodischen


Ans dänischer Zeit

scheidnerweise nicht »Weisheit« genannt sein wollen." Vielleicht liegt es nur
an unserm geringen Mnsikverständnis, wenn wir es wundert'ur finden, das;
Hirth bei solchen Ansichten ein Verehrer Richard Wagners ist. Dagegen ge¬
hört er nicht zu den Verehrern des unglücklichen Gönners dieses Dichter-
Komponisten und weist die übertriebenen Lobsprüche Lombrosos auf den
Kunstgeschmack König Ludwigs II. sehr entschieden, wenn auch, wohl aus
leicht zu erratenden Rücksichten, in mildester Form zurück.

Ob uns die Zukunft eiuen neuen Stil bescheren wird, oder ob die bildenden
Künste fortfahren werden, für deu Mangel eines herrschenden Stils durch
bunte Mannichfaltigkeit zu entschädigen, diese Frage ist weit weniger wichtig,
als daß die Künstler gesund bleiben. Denn ist das der Fall, so werden sie
auch immer, gleichviel in welcher Stilart, was Rechtschaffenes erzeugen. Und
den Künstlern die Gesundheit zu bewahren, dazu wird Hirths Buch hoffentlich
beitragen. Zum Schlüsse wollen wir noch erwähnen, daß Hirth ein von der
Kritik totgeschwiegenes Werk des leider zu früh gestorbenen Classen: „Über den
Einfluß Kants auf die Theorien der Sinneswahrnehmung und die Sicherheit
ihrer Ergebnisse" (Leipzig, Fr. Will,. Grunvw, 1886) wiederholt mit großer
Anerkennung zitirt.




Aus dänischer Zeit
^. Unsre kleine Stadt

ente werden die Fremden die kleine weltvergessne Stadt wahr¬
scheinlich sehr langweilig finden, wenn sie durch irgend eiuen
Zufall dorthin verschlagen werden sollten. Wir Kinder aber
fanden an unserm Wohnorte nichts auszusetzen. Wohl waren
die Häuser krumm gebaut, mit verzogenen Giebeln und wind¬
schiefen Schornsteinen; aber wir wußten von jedem, der darin wohnte.
Wir kannten den Besitzer, seine Iran, seine Kinder, wir wußten, wo ein
Kleines geboren, wo eins gestorben war, und an allem nahmen wir teil.
Wir wußten sehr gut, wie es war, wenn man auf den Zehen in ein halb-
dunkles Zimmer trat, um in eine verhängte Wiege zu blicken. In dieser
Beziehung bildeten wir uns auf unser sachverständiges Urteil etwas ein; denn
auch bei uns kam der Storch aller zwei Jahre, und wir wußten genau, wie
viel „es" wiege» mußte. Dafür sorgte mein ältester Bruder, der jedesmal,
sobald ihm das Familienereignis bekannt geworden war, mit einer altmodischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/86>, abgerufen am 13.11.2024.