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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Anustphysiologie

in dem die Verdünnung der Snminelbilder zu Begriffe" nur eine untergeordnete
Rolle spiele. Die im Gedächtnis anfbewcchrteu Vorstellungen sind weiter nichts
als dauerhafte Nachbilder, und so kommt für das ganze Seelenleben alles
darauf an, daß der junge Mensch das Nichtige zu sehe" und zu hören be¬
komme, daß er es richtig auffassen lerne, daß er "ä guets Ginirk" habe,
und daß die verschiednen "Merkshsteme" gut ausgestaltet und in gehöriger
Ordnung fest mit einander verbunden werden.

Wir können hier nun weder auf die physiologischen Untersuchungen ein¬
gehen, in denen die Bedingungen des richtigen Sehens und guten Merkens
dargelegt werden, noch ans die daraus folgenden Anweisungen für die richtige
Wiedergabe beim Zeichnen und Malen. Seine Auffassung halten wir im
großen und gauzeu für richtig, wenn auch mit einigen kleinen Vorbehalten.
So hat er z. B. gewiß Recht, wenn er sagt: "Das automatische Eintreten
solcher Kombinationen ^Kombinationen von Sammelbildern, die sich gewohn¬
heitsmäßig einstellen, wenn wir sie z. B. für die Beurteilung eines vorher
noch nicht geschauten Kunstwerkes brauchen^, die innerhalb desselben Kultur-
kreises naturgemäß bei sehr vielen Individuen denselben Verlauf nehmen, hat
einerseits zu einem übertriebenen Kultus abstrakter Schönheitsgesetze geführt,
anderseits zur Annahme übernatürlicher Erleuchtungen Anlaß gegeben. Es liegt
aber lediglich eine höhere Organisation des Gedächtnisses für Erlebtes vor;
und diese Organisation war naturgemäß bei den alten Ägyptern eine andre
als bei den Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts, sie ist noch heute bei
den Chinese" eine andre als bei uns. Ein jeder hält seinen Geschmack für
"gut," er kann gar nicht anders, und kein Künstler der Welt war jemals ver¬
legen um triftige Gründe just für seine Kunst." Das sind lauter unbestreit¬
bare Thatsachen, und auch noch dieses geben wir dem Verfasser zu, daß es
thöricht und ungerecht wäre, ein Kunstwerk deswegen geringer zu schätzen als
ein andres, weil jenes z. B. im japanischen oder im Rokokvstile, dieses im
Stile der italienischen Renaissance ausgeführt ist, daß vielmehr jedes Kunst¬
werk nach der Güte seiner Ausführung geschützt werden sollte. Aber die
Folgerung, daß alle Stile für gleichwertig zu achten seien, möchten wir doch
ablehnen, falls sie jemand aus Hirths Darstellung ziehen wollte. Wie er selbst
darüber denkt, das verrät er uicht.

Auch halte" wir es für sehr nützlich, wenn Hirth die angehenden Künstler,
die sich für Genies halten, davor warnt, auf Inspirationen zu warten, und
ihnen klar macht, daß auch die sogenannte" Inspirationen weiter nichts seien
als Kombinationen von Erlebtem, zu denen ein sorgfältig ausgebildetes und
wohlgepflegtes "Ginirk" verhilft. Die MetaPhysiker unter de" Künstlern
"werden vielleicht für das Technische, für die von ihnen gern so genannte
"niedere Mache," für das "gemeine Talent" einen gewissen Zusammenhang
mit den "Nerven" gelten lassen, aber beileibe nicht für das "Hellsehen,"


Anustphysiologie

in dem die Verdünnung der Snminelbilder zu Begriffe» nur eine untergeordnete
Rolle spiele. Die im Gedächtnis anfbewcchrteu Vorstellungen sind weiter nichts
als dauerhafte Nachbilder, und so kommt für das ganze Seelenleben alles
darauf an, daß der junge Mensch das Nichtige zu sehe» und zu hören be¬
komme, daß er es richtig auffassen lerne, daß er „ä guets Ginirk" habe,
und daß die verschiednen „Merkshsteme" gut ausgestaltet und in gehöriger
Ordnung fest mit einander verbunden werden.

Wir können hier nun weder auf die physiologischen Untersuchungen ein¬
gehen, in denen die Bedingungen des richtigen Sehens und guten Merkens
dargelegt werden, noch ans die daraus folgenden Anweisungen für die richtige
Wiedergabe beim Zeichnen und Malen. Seine Auffassung halten wir im
großen und gauzeu für richtig, wenn auch mit einigen kleinen Vorbehalten.
So hat er z. B. gewiß Recht, wenn er sagt: „Das automatische Eintreten
solcher Kombinationen ^Kombinationen von Sammelbildern, die sich gewohn¬
heitsmäßig einstellen, wenn wir sie z. B. für die Beurteilung eines vorher
noch nicht geschauten Kunstwerkes brauchen^, die innerhalb desselben Kultur-
kreises naturgemäß bei sehr vielen Individuen denselben Verlauf nehmen, hat
einerseits zu einem übertriebenen Kultus abstrakter Schönheitsgesetze geführt,
anderseits zur Annahme übernatürlicher Erleuchtungen Anlaß gegeben. Es liegt
aber lediglich eine höhere Organisation des Gedächtnisses für Erlebtes vor;
und diese Organisation war naturgemäß bei den alten Ägyptern eine andre
als bei den Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts, sie ist noch heute bei
den Chinese» eine andre als bei uns. Ein jeder hält seinen Geschmack für
»gut,« er kann gar nicht anders, und kein Künstler der Welt war jemals ver¬
legen um triftige Gründe just für seine Kunst." Das sind lauter unbestreit¬
bare Thatsachen, und auch noch dieses geben wir dem Verfasser zu, daß es
thöricht und ungerecht wäre, ein Kunstwerk deswegen geringer zu schätzen als
ein andres, weil jenes z. B. im japanischen oder im Rokokvstile, dieses im
Stile der italienischen Renaissance ausgeführt ist, daß vielmehr jedes Kunst¬
werk nach der Güte seiner Ausführung geschützt werden sollte. Aber die
Folgerung, daß alle Stile für gleichwertig zu achten seien, möchten wir doch
ablehnen, falls sie jemand aus Hirths Darstellung ziehen wollte. Wie er selbst
darüber denkt, das verrät er uicht.

Auch halte» wir es für sehr nützlich, wenn Hirth die angehenden Künstler,
die sich für Genies halten, davor warnt, auf Inspirationen zu warten, und
ihnen klar macht, daß auch die sogenannte» Inspirationen weiter nichts seien
als Kombinationen von Erlebtem, zu denen ein sorgfältig ausgebildetes und
wohlgepflegtes „Ginirk" verhilft. Die MetaPhysiker unter de» Künstlern
«werden vielleicht für das Technische, für die von ihnen gern so genannte
»niedere Mache,« für das »gemeine Talent« einen gewissen Zusammenhang
mit den »Nerven« gelten lassen, aber beileibe nicht für das »Hellsehen,«


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[0083] Anustphysiologie in dem die Verdünnung der Snminelbilder zu Begriffe» nur eine untergeordnete Rolle spiele. Die im Gedächtnis anfbewcchrteu Vorstellungen sind weiter nichts als dauerhafte Nachbilder, und so kommt für das ganze Seelenleben alles darauf an, daß der junge Mensch das Nichtige zu sehe» und zu hören be¬ komme, daß er es richtig auffassen lerne, daß er „ä guets Ginirk" habe, und daß die verschiednen „Merkshsteme" gut ausgestaltet und in gehöriger Ordnung fest mit einander verbunden werden. Wir können hier nun weder auf die physiologischen Untersuchungen ein¬ gehen, in denen die Bedingungen des richtigen Sehens und guten Merkens dargelegt werden, noch ans die daraus folgenden Anweisungen für die richtige Wiedergabe beim Zeichnen und Malen. Seine Auffassung halten wir im großen und gauzeu für richtig, wenn auch mit einigen kleinen Vorbehalten. So hat er z. B. gewiß Recht, wenn er sagt: „Das automatische Eintreten solcher Kombinationen ^Kombinationen von Sammelbildern, die sich gewohn¬ heitsmäßig einstellen, wenn wir sie z. B. für die Beurteilung eines vorher noch nicht geschauten Kunstwerkes brauchen^, die innerhalb desselben Kultur- kreises naturgemäß bei sehr vielen Individuen denselben Verlauf nehmen, hat einerseits zu einem übertriebenen Kultus abstrakter Schönheitsgesetze geführt, anderseits zur Annahme übernatürlicher Erleuchtungen Anlaß gegeben. Es liegt aber lediglich eine höhere Organisation des Gedächtnisses für Erlebtes vor; und diese Organisation war naturgemäß bei den alten Ägyptern eine andre als bei den Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts, sie ist noch heute bei den Chinese» eine andre als bei uns. Ein jeder hält seinen Geschmack für »gut,« er kann gar nicht anders, und kein Künstler der Welt war jemals ver¬ legen um triftige Gründe just für seine Kunst." Das sind lauter unbestreit¬ bare Thatsachen, und auch noch dieses geben wir dem Verfasser zu, daß es thöricht und ungerecht wäre, ein Kunstwerk deswegen geringer zu schätzen als ein andres, weil jenes z. B. im japanischen oder im Rokokvstile, dieses im Stile der italienischen Renaissance ausgeführt ist, daß vielmehr jedes Kunst¬ werk nach der Güte seiner Ausführung geschützt werden sollte. Aber die Folgerung, daß alle Stile für gleichwertig zu achten seien, möchten wir doch ablehnen, falls sie jemand aus Hirths Darstellung ziehen wollte. Wie er selbst darüber denkt, das verrät er uicht. Auch halte» wir es für sehr nützlich, wenn Hirth die angehenden Künstler, die sich für Genies halten, davor warnt, auf Inspirationen zu warten, und ihnen klar macht, daß auch die sogenannte» Inspirationen weiter nichts seien als Kombinationen von Erlebtem, zu denen ein sorgfältig ausgebildetes und wohlgepflegtes „Ginirk" verhilft. Die MetaPhysiker unter de» Künstlern «werden vielleicht für das Technische, für die von ihnen gern so genannte »niedere Mache,« für das »gemeine Talent« einen gewissen Zusammenhang mit den »Nerven« gelten lassen, aber beileibe nicht für das »Hellsehen,«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/83>, abgerufen am 26.08.2024.