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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Nur Spanien, das sich niemals vollständig unterworfen hat, war in jene
Okkupation nicht inbegriffen. Da nun nach dem Zeugnisse des Sallust jede
Herrschaft mit denselben Mitteln erhalten wird, mit denen sie erworben worden
ist, fortwährende Anwendung der Gewalt aber der Natur widerstrebt, so kaun
das römische Reich unmöglich durch alle Zeiten fortbestehen. Sein gewalt¬
thätiger Charakter offenbarte sich zuletzt auch noch in den Christenverfolgungen.
Die Kaiser wollen keine andre Gewalt neben sich dulden, daher sich die Kaiser
deutscher Nation, so tief auch vor der Wahl ihre Demut- scheinen mag, nach¬
her stets gegen den Papst erheben. Den französischen Königen sind sie feind¬
lich gesinnt, indem sie immer behaupten, Frankreich habe Rechte und Länder
des Reiches usurpirt. So liege es denn auch in der Natur des Imperiums,
daß die Kaiser Sizilien haben wollten. "Aber welcher vernünftige Mensch
sieht nicht ein, daß diese ganze Auffassung des Kaisertums falsch ist? Daß
gleich jedem weltlichen Besitz auch die Souveränitäten im langen Laufe der
Zeit dnrch die mancherlei Zufälle, von denen die Rechtsnachfolge betroffen
wird, beständige Änderungen erleiden? Wo sind denn heute die Reiche der
Perser, Ägypter, Hebräer, Trojaner? Wo ist das alte Nömerreich, wo die
Macht und Weisheit der Griechen?"

Hier haben wir, im Gegensatz zu dem mittelalterliche" Dante, zwar noch
nicht einen modernen Menschen, aber ein Stück moderner realpolitischer Auf¬
fassung.




Kunstphysiologie

eorg Hirth erfreut sich bei Kunstverständigen eines durch zahl¬
reiche, meist praktisch brauchbare Veröffentlichungen begründeten
guten Rufes. Das unten genannte, geistreiche und mit gutem
Humor geschriebene, dabei auf sehr soliden und umfangreichen
Studien beruhende Werk*) ist zwar wissenschaftlicher Natur, wird
jedoch ebenfalls die Praxis heilsam beeinflussen, und man braucht wahrlich
weder Künstler noch Kunstkenner zu sein, um seine Freude daran zu haben.

Den Angelpunkt von Hirths künstlerischen Überzeugungen bildet der Satz
Senecas, den er als Motto vorsetzt: Omnis Ms n-loi-is imitativ ost. Daraus
fließt ihm alle theoretische und praktische Weisheit. Für die Praxis kommt



Aufgaben der Kunstphysivlogie von Georg Hirth. München und Leipzig,
'G. Hirths Kunstverlag, 1891.
Grenzboten 111 1891 10

Nur Spanien, das sich niemals vollständig unterworfen hat, war in jene
Okkupation nicht inbegriffen. Da nun nach dem Zeugnisse des Sallust jede
Herrschaft mit denselben Mitteln erhalten wird, mit denen sie erworben worden
ist, fortwährende Anwendung der Gewalt aber der Natur widerstrebt, so kaun
das römische Reich unmöglich durch alle Zeiten fortbestehen. Sein gewalt¬
thätiger Charakter offenbarte sich zuletzt auch noch in den Christenverfolgungen.
Die Kaiser wollen keine andre Gewalt neben sich dulden, daher sich die Kaiser
deutscher Nation, so tief auch vor der Wahl ihre Demut- scheinen mag, nach¬
her stets gegen den Papst erheben. Den französischen Königen sind sie feind¬
lich gesinnt, indem sie immer behaupten, Frankreich habe Rechte und Länder
des Reiches usurpirt. So liege es denn auch in der Natur des Imperiums,
daß die Kaiser Sizilien haben wollten. „Aber welcher vernünftige Mensch
sieht nicht ein, daß diese ganze Auffassung des Kaisertums falsch ist? Daß
gleich jedem weltlichen Besitz auch die Souveränitäten im langen Laufe der
Zeit dnrch die mancherlei Zufälle, von denen die Rechtsnachfolge betroffen
wird, beständige Änderungen erleiden? Wo sind denn heute die Reiche der
Perser, Ägypter, Hebräer, Trojaner? Wo ist das alte Nömerreich, wo die
Macht und Weisheit der Griechen?"

Hier haben wir, im Gegensatz zu dem mittelalterliche» Dante, zwar noch
nicht einen modernen Menschen, aber ein Stück moderner realpolitischer Auf¬
fassung.




Kunstphysiologie

eorg Hirth erfreut sich bei Kunstverständigen eines durch zahl¬
reiche, meist praktisch brauchbare Veröffentlichungen begründeten
guten Rufes. Das unten genannte, geistreiche und mit gutem
Humor geschriebene, dabei auf sehr soliden und umfangreichen
Studien beruhende Werk*) ist zwar wissenschaftlicher Natur, wird
jedoch ebenfalls die Praxis heilsam beeinflussen, und man braucht wahrlich
weder Künstler noch Kunstkenner zu sein, um seine Freude daran zu haben.

Den Angelpunkt von Hirths künstlerischen Überzeugungen bildet der Satz
Senecas, den er als Motto vorsetzt: Omnis Ms n-loi-is imitativ ost. Daraus
fließt ihm alle theoretische und praktische Weisheit. Für die Praxis kommt



Aufgaben der Kunstphysivlogie von Georg Hirth. München und Leipzig,
'G. Hirths Kunstverlag, 1891.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/81>, abgerufen am 23.07.2024.