Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichtsphilosophische Gedanken

aller italienischen Stadtbevölkernngen jener Zeit, die kaum den Namen einer
Bürgerschaft verdiente, die aber auch der Luxemburger suum og-rum 8sng,wen
xormlumqug LowMnin titulirt. Das Kaiserideal verführte nicht allein dazu,
die wirklichen Pflichten über eingebildeten zu vernachlässigen, sondern es brachte
auch solche Unternehmungen zum Scheitern, die, obwohl über den natürlichen
Wirkungsbereich des deutscheu Königs hinausgehend. an sich noch ausführbar
waren. Heinrich konnte einen deutschen Staat herstellen. An Talent fehlte
es ihm so wenig als an Thatkraft, und im Reiche stieß er auf keinen erheb¬
lichen Widerstand. Die Stürme der Hohenstaufenzeit hatten ausgetobt, die
Macht des Hauses Habsburg war noch nicht konsolidirt, durch die Erhebung
seines Sohnes Johann auf den böhmischen Königsthron gewann er eine feste
Stütze im Osten. Aber als gäbe es in Deutschland gar nichts mehr zu thun,
begab er sich zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt uach Italien, blieb
dort drei Jahre und holte sich in den dortigen Feldlagern einen vorzeitigen
Tod. Immerhin hätte er ohne gar zu arge Vernachlässigung Deutschlands
Oberitalien erobern oder nach damaligem Sprachgebrauch die Königsrechte
dort wiederherstellen können, wenn er sich mit der Huldigung der wichtigsten
Städte und Stadttymnuen begnügt, ein paar Statthalter eingesetzt und Pisa
als äußersten nach Süden vorgeschobnen Posten des Reiches behandelt hätte.
Die frühere Kriegslast der Lombardenstüdte war dahin, die reich gewordnen
Bürger hatten sich an ein bequemes Leben unter kleinen Fürsten gewöhnt,
Genua und Pisa sahen im Schutze des deutschen Kaisers die einzige Rettung
vor der vor ihren Nebenbuhlerinnen, Venedig und Florenz, drohenden Ver¬
nichtung. Aber das genügte dem hochstrebenden Manne nicht. In jeder
einzelnen Stadt wollte er seine unmittelbare Regierungsgewalt durchsetzen, an
dem widerstrebenden Brescia, das ihn monatelang aufhielt, ein grausames
Exempel statuiren, in ganz Italien Münzeinheit durchführen, sich die Halbinsel
bis zur Südspitze unterwerfen. Barthold hat ihn einen Don Quixote in des
Wortes edelster Bedeutung genannt. Nicht so ganz war er das. "Sicherlich,
sagt Villani, wenn er sich mit der Belagerung von Brescia aufgehalten Hütte,
sondern gleich uach Toskana gekommen wäre, so hätte er Bologna, Lucca,
Florenz, Siena, Rom, Apulien ohne Schwertstreich gehabt, denn sie waren
weder gerüstet, noch sonstwie vorbereitet, und die Gemüter des Volkes schwankten,
weil genau"ter Kaiser für den gerechtesten und gütigste" Herrn gehalten wurde.
Es gefiel Gott, daß jener vor Brescia stehen blieb, dessen Belagerung sein
Kriegsvolk und seine Macht verzehrte." Aber selbst nach diesem Fehler konnte
er mit der Hilfe, die ihm aus Deutschland nachgezogen war, Italien noch
unterjochen, wenn er nicht auf dem Zuge nach Apulien starb; die Ansicht
spricht auch Villani an einer andern Stelle aus. Freilich, wäre er wirklicher
König von Italien geworden, so hätte er gewiß aufgehört, wirklicher deutscher
Kaiser zu sein. So ging jedes wirkliche Königtum nu der Maßlosigkeit der


Geschichtsphilosophische Gedanken

aller italienischen Stadtbevölkernngen jener Zeit, die kaum den Namen einer
Bürgerschaft verdiente, die aber auch der Luxemburger suum og-rum 8sng,wen
xormlumqug LowMnin titulirt. Das Kaiserideal verführte nicht allein dazu,
die wirklichen Pflichten über eingebildeten zu vernachlässigen, sondern es brachte
auch solche Unternehmungen zum Scheitern, die, obwohl über den natürlichen
Wirkungsbereich des deutscheu Königs hinausgehend. an sich noch ausführbar
waren. Heinrich konnte einen deutschen Staat herstellen. An Talent fehlte
es ihm so wenig als an Thatkraft, und im Reiche stieß er auf keinen erheb¬
lichen Widerstand. Die Stürme der Hohenstaufenzeit hatten ausgetobt, die
Macht des Hauses Habsburg war noch nicht konsolidirt, durch die Erhebung
seines Sohnes Johann auf den böhmischen Königsthron gewann er eine feste
Stütze im Osten. Aber als gäbe es in Deutschland gar nichts mehr zu thun,
begab er sich zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt uach Italien, blieb
dort drei Jahre und holte sich in den dortigen Feldlagern einen vorzeitigen
Tod. Immerhin hätte er ohne gar zu arge Vernachlässigung Deutschlands
Oberitalien erobern oder nach damaligem Sprachgebrauch die Königsrechte
dort wiederherstellen können, wenn er sich mit der Huldigung der wichtigsten
Städte und Stadttymnuen begnügt, ein paar Statthalter eingesetzt und Pisa
als äußersten nach Süden vorgeschobnen Posten des Reiches behandelt hätte.
Die frühere Kriegslast der Lombardenstüdte war dahin, die reich gewordnen
Bürger hatten sich an ein bequemes Leben unter kleinen Fürsten gewöhnt,
Genua und Pisa sahen im Schutze des deutschen Kaisers die einzige Rettung
vor der vor ihren Nebenbuhlerinnen, Venedig und Florenz, drohenden Ver¬
nichtung. Aber das genügte dem hochstrebenden Manne nicht. In jeder
einzelnen Stadt wollte er seine unmittelbare Regierungsgewalt durchsetzen, an
dem widerstrebenden Brescia, das ihn monatelang aufhielt, ein grausames
Exempel statuiren, in ganz Italien Münzeinheit durchführen, sich die Halbinsel
bis zur Südspitze unterwerfen. Barthold hat ihn einen Don Quixote in des
Wortes edelster Bedeutung genannt. Nicht so ganz war er das. „Sicherlich,
sagt Villani, wenn er sich mit der Belagerung von Brescia aufgehalten Hütte,
sondern gleich uach Toskana gekommen wäre, so hätte er Bologna, Lucca,
Florenz, Siena, Rom, Apulien ohne Schwertstreich gehabt, denn sie waren
weder gerüstet, noch sonstwie vorbereitet, und die Gemüter des Volkes schwankten,
weil genau»ter Kaiser für den gerechtesten und gütigste» Herrn gehalten wurde.
Es gefiel Gott, daß jener vor Brescia stehen blieb, dessen Belagerung sein
Kriegsvolk und seine Macht verzehrte." Aber selbst nach diesem Fehler konnte
er mit der Hilfe, die ihm aus Deutschland nachgezogen war, Italien noch
unterjochen, wenn er nicht auf dem Zuge nach Apulien starb; die Ansicht
spricht auch Villani an einer andern Stelle aus. Freilich, wäre er wirklicher
König von Italien geworden, so hätte er gewiß aufgehört, wirklicher deutscher
Kaiser zu sein. So ging jedes wirkliche Königtum nu der Maßlosigkeit der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289847"/>
          <fw type="header" place="top"> Geschichtsphilosophische Gedanken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_239" prev="#ID_238" next="#ID_240"> aller italienischen Stadtbevölkernngen jener Zeit, die kaum den Namen einer<lb/>
Bürgerschaft verdiente, die aber auch der Luxemburger suum og-rum 8sng,wen<lb/>
xormlumqug LowMnin titulirt. Das Kaiserideal verführte nicht allein dazu,<lb/>
die wirklichen Pflichten über eingebildeten zu vernachlässigen, sondern es brachte<lb/>
auch solche Unternehmungen zum Scheitern, die, obwohl über den natürlichen<lb/>
Wirkungsbereich des deutscheu Königs hinausgehend. an sich noch ausführbar<lb/>
waren. Heinrich konnte einen deutschen Staat herstellen. An Talent fehlte<lb/>
es ihm so wenig als an Thatkraft, und im Reiche stieß er auf keinen erheb¬<lb/>
lichen Widerstand. Die Stürme der Hohenstaufenzeit hatten ausgetobt, die<lb/>
Macht des Hauses Habsburg war noch nicht konsolidirt, durch die Erhebung<lb/>
seines Sohnes Johann auf den böhmischen Königsthron gewann er eine feste<lb/>
Stütze im Osten. Aber als gäbe es in Deutschland gar nichts mehr zu thun,<lb/>
begab er sich zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt uach Italien, blieb<lb/>
dort drei Jahre und holte sich in den dortigen Feldlagern einen vorzeitigen<lb/>
Tod. Immerhin hätte er ohne gar zu arge Vernachlässigung Deutschlands<lb/>
Oberitalien erobern oder nach damaligem Sprachgebrauch die Königsrechte<lb/>
dort wiederherstellen können, wenn er sich mit der Huldigung der wichtigsten<lb/>
Städte und Stadttymnuen begnügt, ein paar Statthalter eingesetzt und Pisa<lb/>
als äußersten nach Süden vorgeschobnen Posten des Reiches behandelt hätte.<lb/>
Die frühere Kriegslast der Lombardenstüdte war dahin, die reich gewordnen<lb/>
Bürger hatten sich an ein bequemes Leben unter kleinen Fürsten gewöhnt,<lb/>
Genua und Pisa sahen im Schutze des deutschen Kaisers die einzige Rettung<lb/>
vor der vor ihren Nebenbuhlerinnen, Venedig und Florenz, drohenden Ver¬<lb/>
nichtung. Aber das genügte dem hochstrebenden Manne nicht. In jeder<lb/>
einzelnen Stadt wollte er seine unmittelbare Regierungsgewalt durchsetzen, an<lb/>
dem widerstrebenden Brescia, das ihn monatelang aufhielt, ein grausames<lb/>
Exempel statuiren, in ganz Italien Münzeinheit durchführen, sich die Halbinsel<lb/>
bis zur Südspitze unterwerfen. Barthold hat ihn einen Don Quixote in des<lb/>
Wortes edelster Bedeutung genannt. Nicht so ganz war er das. &#x201E;Sicherlich,<lb/>
sagt Villani, wenn er sich mit der Belagerung von Brescia aufgehalten Hütte,<lb/>
sondern gleich uach Toskana gekommen wäre, so hätte er Bologna, Lucca,<lb/>
Florenz, Siena, Rom, Apulien ohne Schwertstreich gehabt, denn sie waren<lb/>
weder gerüstet, noch sonstwie vorbereitet, und die Gemüter des Volkes schwankten,<lb/>
weil genau»ter Kaiser für den gerechtesten und gütigste» Herrn gehalten wurde.<lb/>
Es gefiel Gott, daß jener vor Brescia stehen blieb, dessen Belagerung sein<lb/>
Kriegsvolk und seine Macht verzehrte." Aber selbst nach diesem Fehler konnte<lb/>
er mit der Hilfe, die ihm aus Deutschland nachgezogen war, Italien noch<lb/>
unterjochen, wenn er nicht auf dem Zuge nach Apulien starb; die Ansicht<lb/>
spricht auch Villani an einer andern Stelle aus. Freilich, wäre er wirklicher<lb/>
König von Italien geworden, so hätte er gewiß aufgehört, wirklicher deutscher<lb/>
Kaiser zu sein.  So ging jedes wirkliche Königtum nu der Maßlosigkeit der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Geschichtsphilosophische Gedanken aller italienischen Stadtbevölkernngen jener Zeit, die kaum den Namen einer Bürgerschaft verdiente, die aber auch der Luxemburger suum og-rum 8sng,wen xormlumqug LowMnin titulirt. Das Kaiserideal verführte nicht allein dazu, die wirklichen Pflichten über eingebildeten zu vernachlässigen, sondern es brachte auch solche Unternehmungen zum Scheitern, die, obwohl über den natürlichen Wirkungsbereich des deutscheu Königs hinausgehend. an sich noch ausführbar waren. Heinrich konnte einen deutschen Staat herstellen. An Talent fehlte es ihm so wenig als an Thatkraft, und im Reiche stieß er auf keinen erheb¬ lichen Widerstand. Die Stürme der Hohenstaufenzeit hatten ausgetobt, die Macht des Hauses Habsburg war noch nicht konsolidirt, durch die Erhebung seines Sohnes Johann auf den böhmischen Königsthron gewann er eine feste Stütze im Osten. Aber als gäbe es in Deutschland gar nichts mehr zu thun, begab er sich zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt uach Italien, blieb dort drei Jahre und holte sich in den dortigen Feldlagern einen vorzeitigen Tod. Immerhin hätte er ohne gar zu arge Vernachlässigung Deutschlands Oberitalien erobern oder nach damaligem Sprachgebrauch die Königsrechte dort wiederherstellen können, wenn er sich mit der Huldigung der wichtigsten Städte und Stadttymnuen begnügt, ein paar Statthalter eingesetzt und Pisa als äußersten nach Süden vorgeschobnen Posten des Reiches behandelt hätte. Die frühere Kriegslast der Lombardenstüdte war dahin, die reich gewordnen Bürger hatten sich an ein bequemes Leben unter kleinen Fürsten gewöhnt, Genua und Pisa sahen im Schutze des deutschen Kaisers die einzige Rettung vor der vor ihren Nebenbuhlerinnen, Venedig und Florenz, drohenden Ver¬ nichtung. Aber das genügte dem hochstrebenden Manne nicht. In jeder einzelnen Stadt wollte er seine unmittelbare Regierungsgewalt durchsetzen, an dem widerstrebenden Brescia, das ihn monatelang aufhielt, ein grausames Exempel statuiren, in ganz Italien Münzeinheit durchführen, sich die Halbinsel bis zur Südspitze unterwerfen. Barthold hat ihn einen Don Quixote in des Wortes edelster Bedeutung genannt. Nicht so ganz war er das. „Sicherlich, sagt Villani, wenn er sich mit der Belagerung von Brescia aufgehalten Hütte, sondern gleich uach Toskana gekommen wäre, so hätte er Bologna, Lucca, Florenz, Siena, Rom, Apulien ohne Schwertstreich gehabt, denn sie waren weder gerüstet, noch sonstwie vorbereitet, und die Gemüter des Volkes schwankten, weil genau»ter Kaiser für den gerechtesten und gütigste» Herrn gehalten wurde. Es gefiel Gott, daß jener vor Brescia stehen blieb, dessen Belagerung sein Kriegsvolk und seine Macht verzehrte." Aber selbst nach diesem Fehler konnte er mit der Hilfe, die ihm aus Deutschland nachgezogen war, Italien noch unterjochen, wenn er nicht auf dem Zuge nach Apulien starb; die Ansicht spricht auch Villani an einer andern Stelle aus. Freilich, wäre er wirklicher König von Italien geworden, so hätte er gewiß aufgehört, wirklicher deutscher Kaiser zu sein. So ging jedes wirkliche Königtum nu der Maßlosigkeit der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/79>, abgerufen am 26.08.2024.