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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Sizilien sei nicht, wie der Papst es nenne, der reich bewässerte Lustgarten der
Kirche, sondern gehöre dein Reiche. "Garten und Erbteil des vornehmsten
der Apostel war ein schlechter Kahn und einigen Fischernetzen, und nachdem er
dieses verlassen, um dem Rufe des Herrn zu folgen, die Wanderung durch die
Welt, die Predigt des Evangeliums und schließlich der Tod am Kreuze."

War Heinrich dem Papste gegenüber im Recht, so war er doch dem König
von Neapel gegenüber entschieden im Unrecht; einen Anspruch ans Süditalien
konnte er nur aus jener überspannten Kaiseridee herleiten, die ihn allerdings
auch berechtigt haben würde, die Beherrscher von Indien und China als Va¬
sallen zu behandeln, wenn er bis dahin gekommen wäre. Gewöhnlich begnügte
er sich freilich nicht mit diesem allgemeinen, sehr leicht zu handhabenden Kaiser¬
rechte, sondern ließ von seinen Juristen allerlei positiver klingende Rechtstitel
ausfindig macheu, für den Anspruch auf Bologna z. B. nicht weniger als vier.
Einen interessanten Grund wissen die Herren für die Bcmnnng der Städte
Bologna, Padua und Treviso anzuführen. Die Bewohner dieser Städte
hatten ihre Schätze nach Venedig in Sicherheit gebracht. Wären nun die drei
Städte gebannt, sagten die Juristen, so wäre der Kaiser berechtigt, ihre Habe
zu konsisziren, vorausgesetzt, daß die Venetianer sie herausgaben (diese gingen
natürlich auf eine so kavaliermäßige Behandlung von Geldangelegenheiten nicht
ein); der Kaiser braucht sehr nötig Geld, folglich -- ist es nützlich, jene Städte
zu bannen.

Die Bannbriefe gegen den König Robert und gegen die Städte strotzen
von jenem apokalyptischen Schwulst, den die römische Kurie eingeführt hatte.
In dem Urteil gegen den König Robert heißt es nach Aufzählung der Gründe,
deren hauptsächlichster ist, daß er "gleich der tauben Natter das Gehör seiner
Ohren verstopft habe": "Daher Wir ihn denn aller feiner Würden und jeder
einzelnen, wie immer sie betitelt sein und worauf immer sie sich stützen mag,
aller Ehren, Freiheiten, Immunitäten, Privilegien, Provinzen, Landschaften,
Städte, Burgen, Landhäuser, Lehen, Vasallen, Güter, Sachen, Rechte und
Hoheitsrechte berauben, ihn für einen Verräter und Reichsfeind erklären, bannen
und, so er in Unsre Gewalt kommt, zum Tode durch Enthauptung verur¬
teilen u. s. w." Noch maßloser klingt der Spruch über Padua. Das Comunc
hat 10000 Pfund Gold zu bezahlen, die Mauern siud niederzureißen. "Alle
und die einzelnen Personen des Comune bannen wir aus dem ganzen römischen
Reich und bestimmen, daß jede Person genannter Stadtgemeinde an Leib und
Gut geschädigt und ihrer Freiheit beraubt werden darf; im letztem Falle wird
sie der Sklave dessen, der sie einfängt. Auch sind alle Bewohner der Stadt
des Todes würdig und sollen, wenn sie in unsre Gewalt kommen, an den
Galgen gehängt werden." Gehänge, zum Sklaven gemacht, aus dem Erdkreise
verbannt werden und auch uoch Strafe zahlen, das wäre etwas viel auf ein¬
mal, selbst wenn es sich nur um eine einzelne Person handelte.


Geschichtsphilosophische Gedanken

Sizilien sei nicht, wie der Papst es nenne, der reich bewässerte Lustgarten der
Kirche, sondern gehöre dein Reiche. „Garten und Erbteil des vornehmsten
der Apostel war ein schlechter Kahn und einigen Fischernetzen, und nachdem er
dieses verlassen, um dem Rufe des Herrn zu folgen, die Wanderung durch die
Welt, die Predigt des Evangeliums und schließlich der Tod am Kreuze."

War Heinrich dem Papste gegenüber im Recht, so war er doch dem König
von Neapel gegenüber entschieden im Unrecht; einen Anspruch ans Süditalien
konnte er nur aus jener überspannten Kaiseridee herleiten, die ihn allerdings
auch berechtigt haben würde, die Beherrscher von Indien und China als Va¬
sallen zu behandeln, wenn er bis dahin gekommen wäre. Gewöhnlich begnügte
er sich freilich nicht mit diesem allgemeinen, sehr leicht zu handhabenden Kaiser¬
rechte, sondern ließ von seinen Juristen allerlei positiver klingende Rechtstitel
ausfindig macheu, für den Anspruch auf Bologna z. B. nicht weniger als vier.
Einen interessanten Grund wissen die Herren für die Bcmnnng der Städte
Bologna, Padua und Treviso anzuführen. Die Bewohner dieser Städte
hatten ihre Schätze nach Venedig in Sicherheit gebracht. Wären nun die drei
Städte gebannt, sagten die Juristen, so wäre der Kaiser berechtigt, ihre Habe
zu konsisziren, vorausgesetzt, daß die Venetianer sie herausgaben (diese gingen
natürlich auf eine so kavaliermäßige Behandlung von Geldangelegenheiten nicht
ein); der Kaiser braucht sehr nötig Geld, folglich — ist es nützlich, jene Städte
zu bannen.

Die Bannbriefe gegen den König Robert und gegen die Städte strotzen
von jenem apokalyptischen Schwulst, den die römische Kurie eingeführt hatte.
In dem Urteil gegen den König Robert heißt es nach Aufzählung der Gründe,
deren hauptsächlichster ist, daß er „gleich der tauben Natter das Gehör seiner
Ohren verstopft habe": „Daher Wir ihn denn aller feiner Würden und jeder
einzelnen, wie immer sie betitelt sein und worauf immer sie sich stützen mag,
aller Ehren, Freiheiten, Immunitäten, Privilegien, Provinzen, Landschaften,
Städte, Burgen, Landhäuser, Lehen, Vasallen, Güter, Sachen, Rechte und
Hoheitsrechte berauben, ihn für einen Verräter und Reichsfeind erklären, bannen
und, so er in Unsre Gewalt kommt, zum Tode durch Enthauptung verur¬
teilen u. s. w." Noch maßloser klingt der Spruch über Padua. Das Comunc
hat 10000 Pfund Gold zu bezahlen, die Mauern siud niederzureißen. „Alle
und die einzelnen Personen des Comune bannen wir aus dem ganzen römischen
Reich und bestimmen, daß jede Person genannter Stadtgemeinde an Leib und
Gut geschädigt und ihrer Freiheit beraubt werden darf; im letztem Falle wird
sie der Sklave dessen, der sie einfängt. Auch sind alle Bewohner der Stadt
des Todes würdig und sollen, wenn sie in unsre Gewalt kommen, an den
Galgen gehängt werden." Gehänge, zum Sklaven gemacht, aus dem Erdkreise
verbannt werden und auch uoch Strafe zahlen, das wäre etwas viel auf ein¬
mal, selbst wenn es sich nur um eine einzelne Person handelte.


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[0077] Geschichtsphilosophische Gedanken Sizilien sei nicht, wie der Papst es nenne, der reich bewässerte Lustgarten der Kirche, sondern gehöre dein Reiche. „Garten und Erbteil des vornehmsten der Apostel war ein schlechter Kahn und einigen Fischernetzen, und nachdem er dieses verlassen, um dem Rufe des Herrn zu folgen, die Wanderung durch die Welt, die Predigt des Evangeliums und schließlich der Tod am Kreuze." War Heinrich dem Papste gegenüber im Recht, so war er doch dem König von Neapel gegenüber entschieden im Unrecht; einen Anspruch ans Süditalien konnte er nur aus jener überspannten Kaiseridee herleiten, die ihn allerdings auch berechtigt haben würde, die Beherrscher von Indien und China als Va¬ sallen zu behandeln, wenn er bis dahin gekommen wäre. Gewöhnlich begnügte er sich freilich nicht mit diesem allgemeinen, sehr leicht zu handhabenden Kaiser¬ rechte, sondern ließ von seinen Juristen allerlei positiver klingende Rechtstitel ausfindig macheu, für den Anspruch auf Bologna z. B. nicht weniger als vier. Einen interessanten Grund wissen die Herren für die Bcmnnng der Städte Bologna, Padua und Treviso anzuführen. Die Bewohner dieser Städte hatten ihre Schätze nach Venedig in Sicherheit gebracht. Wären nun die drei Städte gebannt, sagten die Juristen, so wäre der Kaiser berechtigt, ihre Habe zu konsisziren, vorausgesetzt, daß die Venetianer sie herausgaben (diese gingen natürlich auf eine so kavaliermäßige Behandlung von Geldangelegenheiten nicht ein); der Kaiser braucht sehr nötig Geld, folglich — ist es nützlich, jene Städte zu bannen. Die Bannbriefe gegen den König Robert und gegen die Städte strotzen von jenem apokalyptischen Schwulst, den die römische Kurie eingeführt hatte. In dem Urteil gegen den König Robert heißt es nach Aufzählung der Gründe, deren hauptsächlichster ist, daß er „gleich der tauben Natter das Gehör seiner Ohren verstopft habe": „Daher Wir ihn denn aller feiner Würden und jeder einzelnen, wie immer sie betitelt sein und worauf immer sie sich stützen mag, aller Ehren, Freiheiten, Immunitäten, Privilegien, Provinzen, Landschaften, Städte, Burgen, Landhäuser, Lehen, Vasallen, Güter, Sachen, Rechte und Hoheitsrechte berauben, ihn für einen Verräter und Reichsfeind erklären, bannen und, so er in Unsre Gewalt kommt, zum Tode durch Enthauptung verur¬ teilen u. s. w." Noch maßloser klingt der Spruch über Padua. Das Comunc hat 10000 Pfund Gold zu bezahlen, die Mauern siud niederzureißen. „Alle und die einzelnen Personen des Comune bannen wir aus dem ganzen römischen Reich und bestimmen, daß jede Person genannter Stadtgemeinde an Leib und Gut geschädigt und ihrer Freiheit beraubt werden darf; im letztem Falle wird sie der Sklave dessen, der sie einfängt. Auch sind alle Bewohner der Stadt des Todes würdig und sollen, wenn sie in unsre Gewalt kommen, an den Galgen gehängt werden." Gehänge, zum Sklaven gemacht, aus dem Erdkreise verbannt werden und auch uoch Strafe zahlen, das wäre etwas viel auf ein¬ mal, selbst wenn es sich nur um eine einzelne Person handelte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/77>, abgerufen am 26.08.2024.