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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Gcschichtsphilosophische Gedanken

gemeinsame habe der Kaiser zu leiten. Dnß dem Dichter die Universalmonarchie
nicht etwa für ein utopisches Traumbild, sür einen Philvsvpheutrost galt,
sondern daß er darin den sofort zu verwirklichenden Zweck der kaiserlichen
Politik sah, das geht deutlich aus seinem Schreiben an den Kaiser hervor,
dessen Aufschrift lautet: LancUWiino triuinplnltori se, (Zoinino 8inZnl!iri, clomino
Henrioo, clivina vrovulontia Romanvrv.ni reg'i, ssmovr MZusto, äövotissiini
sui I)g.no8 ^1U^N6rin8 ^lorvntinus et vxul iininsritns, nnivers^Ader omnv8
?u8ol, ani vliosni as8iävrant terrav, o8vnlAnt xöäö8. Darin schilt er den
Kaiser und beschuldigt ihn der Lässigkeit, daß er sich so lauge in einem Winkel
Oberitaliens aufhalte. "Du übersiehst, fürchten wir, daß die Macht der Römer
sich nicht auf die Grenzen Italiens, noch auch des dreispitzigen Europas be¬
schränkt; sondern obwohl zur Zeit durch widrige Gewalten eingeengt, läßt sie
sich doch kaum die Woge des Weltmeeres als Grenze gefallen; denn es steht
geschrieben


^Äsostnr prior.i. ^i-aiarins nri^imo Laossr,
Iiuxsrium O<!os.iio, K>>in"in qui toi'amol g-seris."

Auch in seiner Schrift vulMri "zloauio weist er jeden Partikularismus
und Nationalismus energisch ab. Er spottet darüber, daß jedes Volk und
womöglich jedes Städtlein seine Mundart sür die schönste halte und sich ein¬
bilde, diese müsse die Ursprache der Menschen gewesen sein. "Wessen Vernunft
so elend geartet ist, daß er seinen Geburtsort für den köstlichsten unter der
Sonne hält, der zieht auch seine Muttersprache allen andern Sprachen vor
und hält sie für die Sprache Adams. Wir aber, denen, wie den Fischen das
Weltmeer, so die Welt als Vaterland gilt, obwohl wir vor dem Zahnen die
Wasser des Arno getrunken haben und Florenz so sehr lieben, daß wir aus
Liebe zu ihm ein ungerechtes Exil erdulden, werfen nicht unser sinnliches
Wohlgefallen, sondern vernünftige Gründe in die Wagschale des Urteils, und
obwohl es für unser leibliches Behagen keinen angenehmem Ort ans Erden
giebt als Florenz, so schließen wir doch aus den Beschreibungen der Dichter
und andrer Schriftsteller, sowie aus der Verschiedenheit der klimatischen Be¬
dingungen, die sich auf der Erdoberfläche finden, daß es noch viele edlere und
lieblichere Gegenden geben müsse als Tuseien, und daß viele Völker schönere
und zweckmäßigere Sprachen haben müssen."

Im zweiten Buche über die Monarchie beweist er, daß niemand anders
als der Kaiser der Deutschen und "König der Römer" zum Universalmonarchen
berufen sei. Die Römer hätten ihre Weltherrschaft keineswegs dnrch Gewalt¬
thaten und ungerechte Eroberungskriege erlangt, sondern von Gott sei sie ihnen
verliehen worden zur Belohnung der Frömmigkeit ihres Stammvaters Annas,
dessen sie sich auch selbst durch edle Gesinnung und Gerechtigkeit würdig ge¬
macht hätten. Über der Sorge für das Weltall Hütten sie ihre eignen Inter¬
essen versäumt, und Cicero habe Recht, wenn er sagt, mehr eine väterliche


Gcschichtsphilosophische Gedanken

gemeinsame habe der Kaiser zu leiten. Dnß dem Dichter die Universalmonarchie
nicht etwa für ein utopisches Traumbild, sür einen Philvsvpheutrost galt,
sondern daß er darin den sofort zu verwirklichenden Zweck der kaiserlichen
Politik sah, das geht deutlich aus seinem Schreiben an den Kaiser hervor,
dessen Aufschrift lautet: LancUWiino triuinplnltori se, (Zoinino 8inZnl!iri, clomino
Henrioo, clivina vrovulontia Romanvrv.ni reg'i, ssmovr MZusto, äövotissiini
sui I)g.no8 ^1U^N6rin8 ^lorvntinus et vxul iininsritns, nnivers^Ader omnv8
?u8ol, ani vliosni as8iävrant terrav, o8vnlAnt xöäö8. Darin schilt er den
Kaiser und beschuldigt ihn der Lässigkeit, daß er sich so lauge in einem Winkel
Oberitaliens aufhalte. „Du übersiehst, fürchten wir, daß die Macht der Römer
sich nicht auf die Grenzen Italiens, noch auch des dreispitzigen Europas be¬
schränkt; sondern obwohl zur Zeit durch widrige Gewalten eingeengt, läßt sie
sich doch kaum die Woge des Weltmeeres als Grenze gefallen; denn es steht
geschrieben


^Äsostnr prior.i. ^i-aiarins nri^imo Laossr,
Iiuxsrium O<!os.iio, K>>in»in qui toi'amol g-seris."

Auch in seiner Schrift vulMri «zloauio weist er jeden Partikularismus
und Nationalismus energisch ab. Er spottet darüber, daß jedes Volk und
womöglich jedes Städtlein seine Mundart sür die schönste halte und sich ein¬
bilde, diese müsse die Ursprache der Menschen gewesen sein. „Wessen Vernunft
so elend geartet ist, daß er seinen Geburtsort für den köstlichsten unter der
Sonne hält, der zieht auch seine Muttersprache allen andern Sprachen vor
und hält sie für die Sprache Adams. Wir aber, denen, wie den Fischen das
Weltmeer, so die Welt als Vaterland gilt, obwohl wir vor dem Zahnen die
Wasser des Arno getrunken haben und Florenz so sehr lieben, daß wir aus
Liebe zu ihm ein ungerechtes Exil erdulden, werfen nicht unser sinnliches
Wohlgefallen, sondern vernünftige Gründe in die Wagschale des Urteils, und
obwohl es für unser leibliches Behagen keinen angenehmem Ort ans Erden
giebt als Florenz, so schließen wir doch aus den Beschreibungen der Dichter
und andrer Schriftsteller, sowie aus der Verschiedenheit der klimatischen Be¬
dingungen, die sich auf der Erdoberfläche finden, daß es noch viele edlere und
lieblichere Gegenden geben müsse als Tuseien, und daß viele Völker schönere
und zweckmäßigere Sprachen haben müssen."

Im zweiten Buche über die Monarchie beweist er, daß niemand anders
als der Kaiser der Deutschen und „König der Römer" zum Universalmonarchen
berufen sei. Die Römer hätten ihre Weltherrschaft keineswegs dnrch Gewalt¬
thaten und ungerechte Eroberungskriege erlangt, sondern von Gott sei sie ihnen
verliehen worden zur Belohnung der Frömmigkeit ihres Stammvaters Annas,
dessen sie sich auch selbst durch edle Gesinnung und Gerechtigkeit würdig ge¬
macht hätten. Über der Sorge für das Weltall Hütten sie ihre eignen Inter¬
essen versäumt, und Cicero habe Recht, wenn er sagt, mehr eine väterliche


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[0075] Gcschichtsphilosophische Gedanken gemeinsame habe der Kaiser zu leiten. Dnß dem Dichter die Universalmonarchie nicht etwa für ein utopisches Traumbild, sür einen Philvsvpheutrost galt, sondern daß er darin den sofort zu verwirklichenden Zweck der kaiserlichen Politik sah, das geht deutlich aus seinem Schreiben an den Kaiser hervor, dessen Aufschrift lautet: LancUWiino triuinplnltori se, (Zoinino 8inZnl!iri, clomino Henrioo, clivina vrovulontia Romanvrv.ni reg'i, ssmovr MZusto, äövotissiini sui I)g.no8 ^1U^N6rin8 ^lorvntinus et vxul iininsritns, nnivers^Ader omnv8 ?u8ol, ani vliosni as8iävrant terrav, o8vnlAnt xöäö8. Darin schilt er den Kaiser und beschuldigt ihn der Lässigkeit, daß er sich so lauge in einem Winkel Oberitaliens aufhalte. „Du übersiehst, fürchten wir, daß die Macht der Römer sich nicht auf die Grenzen Italiens, noch auch des dreispitzigen Europas be¬ schränkt; sondern obwohl zur Zeit durch widrige Gewalten eingeengt, läßt sie sich doch kaum die Woge des Weltmeeres als Grenze gefallen; denn es steht geschrieben ^Äsostnr prior.i. ^i-aiarins nri^imo Laossr, Iiuxsrium O<!os.iio, K>>in»in qui toi'amol g-seris." Auch in seiner Schrift vulMri «zloauio weist er jeden Partikularismus und Nationalismus energisch ab. Er spottet darüber, daß jedes Volk und womöglich jedes Städtlein seine Mundart sür die schönste halte und sich ein¬ bilde, diese müsse die Ursprache der Menschen gewesen sein. „Wessen Vernunft so elend geartet ist, daß er seinen Geburtsort für den köstlichsten unter der Sonne hält, der zieht auch seine Muttersprache allen andern Sprachen vor und hält sie für die Sprache Adams. Wir aber, denen, wie den Fischen das Weltmeer, so die Welt als Vaterland gilt, obwohl wir vor dem Zahnen die Wasser des Arno getrunken haben und Florenz so sehr lieben, daß wir aus Liebe zu ihm ein ungerechtes Exil erdulden, werfen nicht unser sinnliches Wohlgefallen, sondern vernünftige Gründe in die Wagschale des Urteils, und obwohl es für unser leibliches Behagen keinen angenehmem Ort ans Erden giebt als Florenz, so schließen wir doch aus den Beschreibungen der Dichter und andrer Schriftsteller, sowie aus der Verschiedenheit der klimatischen Be¬ dingungen, die sich auf der Erdoberfläche finden, daß es noch viele edlere und lieblichere Gegenden geben müsse als Tuseien, und daß viele Völker schönere und zweckmäßigere Sprachen haben müssen." Im zweiten Buche über die Monarchie beweist er, daß niemand anders als der Kaiser der Deutschen und „König der Römer" zum Universalmonarchen berufen sei. Die Römer hätten ihre Weltherrschaft keineswegs dnrch Gewalt¬ thaten und ungerechte Eroberungskriege erlangt, sondern von Gott sei sie ihnen verliehen worden zur Belohnung der Frömmigkeit ihres Stammvaters Annas, dessen sie sich auch selbst durch edle Gesinnung und Gerechtigkeit würdig ge¬ macht hätten. Über der Sorge für das Weltall Hütten sie ihre eignen Inter¬ essen versäumt, und Cicero habe Recht, wenn er sagt, mehr eine väterliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/75>, abgerufen am 26.08.2024.