Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichtsphilosoxhische Gedanken

ihres Amtes walten. Verurteilungen in landläufigen, uninteressanter Fällen
bleiben am besten verschwiegen oder werden nur mit einer kurzen Erwähnung
abgethan. Schwere Fälle aber, besonders dreiste Diebstähle, Morde, Kuppel¬
prozesse sollten nur mit gebührendem Ernste und mit entsprechender Tendenz
behandelt werden, wie denn jede humoristische Behandlung gerichtlicher Vor¬
gänge, etwa nach Art der Berliner "schnoddrigen" Gcrichtsszenen als in das
Gebiet des groben Unfuges gehörend, verpönt werden sollte.*) Im allgemeinen
wird die Entscheidung der Frage, was mitzuteilen sei oder nicht, eine Frage
des leider wenig verbreiteten Taktgefühles sein und bleiben müssen, so lange
nicht die bei dieser Frage beteiligten Behörden Schritte thun, sich eingehend
mit einem Gebiete des öffentlichen Lebens zu beschäftigen, ans welchem that¬
sächlich schwere Mißstände herrschen.




Geschichtsphilosophische Gedanken
9

me italienischen Kämpfe im Anfange des vierzehnten Jahr¬
hunderts, die wir im vorigen Abschnitt erwähnten, führten einen
sehr wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte herbei. Mit des
Luxemburgers Römerzuge scheiterte endgiltig die Jdealpolitik der
mittelalterlichen Kaiser, und im Widerstande dagegen erwachte
der Gedanke einer italienischen Nationalpolitik.

Es ist sonderbar, daß sich in der reichen, das große Ereignis betreffenden
Litteratur jener Tage außer dem bekannten Briefe Dantes an Heinrich kein
Zeichen eines Verkehrs zwischen beiden findet; es wäre unnatürlich, wenn zwei
hervorragende Männer, deren Gedankenkreise und Lebensziele so vollständig
übereinstimmten, drei Jahre in geringer Entfernung von einander zugebracht
hätten, ohne in lebhaften und innigen Gedankenaustausch mit einander zu
treten. Es ist hier nicht der Ort, das politische System, das sich Dante in
selbständiger Verwertung und Umgestaltung aristotelisch-scholastischer Gedanken
aufgebaut hatte, ausführlich zu entwickeln, aber den Grundriß müssen wir
wenigstens zeichnen. Man bekommt hie und da Erwägungen über die Frage



*) Auch in Leipzig wird leider oft über Gerichtsverhandlungen, die die betrnbendsteu
Einblicke in das Leben und Treiben des armen niedern Volkes gewähren, in geradezu empörender
D. Red. Weise mit nichts als schlechten Witzen berichtet.
Grenzboten III 1891 "
Geschichtsphilosoxhische Gedanken

ihres Amtes walten. Verurteilungen in landläufigen, uninteressanter Fällen
bleiben am besten verschwiegen oder werden nur mit einer kurzen Erwähnung
abgethan. Schwere Fälle aber, besonders dreiste Diebstähle, Morde, Kuppel¬
prozesse sollten nur mit gebührendem Ernste und mit entsprechender Tendenz
behandelt werden, wie denn jede humoristische Behandlung gerichtlicher Vor¬
gänge, etwa nach Art der Berliner „schnoddrigen" Gcrichtsszenen als in das
Gebiet des groben Unfuges gehörend, verpönt werden sollte.*) Im allgemeinen
wird die Entscheidung der Frage, was mitzuteilen sei oder nicht, eine Frage
des leider wenig verbreiteten Taktgefühles sein und bleiben müssen, so lange
nicht die bei dieser Frage beteiligten Behörden Schritte thun, sich eingehend
mit einem Gebiete des öffentlichen Lebens zu beschäftigen, ans welchem that¬
sächlich schwere Mißstände herrschen.




Geschichtsphilosophische Gedanken
9

me italienischen Kämpfe im Anfange des vierzehnten Jahr¬
hunderts, die wir im vorigen Abschnitt erwähnten, führten einen
sehr wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte herbei. Mit des
Luxemburgers Römerzuge scheiterte endgiltig die Jdealpolitik der
mittelalterlichen Kaiser, und im Widerstande dagegen erwachte
der Gedanke einer italienischen Nationalpolitik.

Es ist sonderbar, daß sich in der reichen, das große Ereignis betreffenden
Litteratur jener Tage außer dem bekannten Briefe Dantes an Heinrich kein
Zeichen eines Verkehrs zwischen beiden findet; es wäre unnatürlich, wenn zwei
hervorragende Männer, deren Gedankenkreise und Lebensziele so vollständig
übereinstimmten, drei Jahre in geringer Entfernung von einander zugebracht
hätten, ohne in lebhaften und innigen Gedankenaustausch mit einander zu
treten. Es ist hier nicht der Ort, das politische System, das sich Dante in
selbständiger Verwertung und Umgestaltung aristotelisch-scholastischer Gedanken
aufgebaut hatte, ausführlich zu entwickeln, aber den Grundriß müssen wir
wenigstens zeichnen. Man bekommt hie und da Erwägungen über die Frage



*) Auch in Leipzig wird leider oft über Gerichtsverhandlungen, die die betrnbendsteu
Einblicke in das Leben und Treiben des armen niedern Volkes gewähren, in geradezu empörender
D. Red. Weise mit nichts als schlechten Witzen berichtet.
Grenzboten III 1891 »
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289841"/>
          <fw type="header" place="top"> Geschichtsphilosoxhische Gedanken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_224" prev="#ID_223"> ihres Amtes walten. Verurteilungen in landläufigen, uninteressanter Fällen<lb/>
bleiben am besten verschwiegen oder werden nur mit einer kurzen Erwähnung<lb/>
abgethan. Schwere Fälle aber, besonders dreiste Diebstähle, Morde, Kuppel¬<lb/>
prozesse sollten nur mit gebührendem Ernste und mit entsprechender Tendenz<lb/>
behandelt werden, wie denn jede humoristische Behandlung gerichtlicher Vor¬<lb/>
gänge, etwa nach Art der Berliner &#x201E;schnoddrigen" Gcrichtsszenen als in das<lb/>
Gebiet des groben Unfuges gehörend, verpönt werden sollte.*) Im allgemeinen<lb/>
wird die Entscheidung der Frage, was mitzuteilen sei oder nicht, eine Frage<lb/>
des leider wenig verbreiteten Taktgefühles sein und bleiben müssen, so lange<lb/>
nicht die bei dieser Frage beteiligten Behörden Schritte thun, sich eingehend<lb/>
mit einem Gebiete des öffentlichen Lebens zu beschäftigen, ans welchem that¬<lb/>
sächlich schwere Mißstände herrschen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Geschichtsphilosophische Gedanken<lb/>
9</head><lb/>
          <p xml:id="ID_225"> me italienischen Kämpfe im Anfange des vierzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts, die wir im vorigen Abschnitt erwähnten, führten einen<lb/>
sehr wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte herbei. Mit des<lb/>
Luxemburgers Römerzuge scheiterte endgiltig die Jdealpolitik der<lb/>
mittelalterlichen Kaiser, und im Widerstande dagegen erwachte<lb/>
der Gedanke einer italienischen Nationalpolitik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Es ist sonderbar, daß sich in der reichen, das große Ereignis betreffenden<lb/>
Litteratur jener Tage außer dem bekannten Briefe Dantes an Heinrich kein<lb/>
Zeichen eines Verkehrs zwischen beiden findet; es wäre unnatürlich, wenn zwei<lb/>
hervorragende Männer, deren Gedankenkreise und Lebensziele so vollständig<lb/>
übereinstimmten, drei Jahre in geringer Entfernung von einander zugebracht<lb/>
hätten, ohne in lebhaften und innigen Gedankenaustausch mit einander zu<lb/>
treten. Es ist hier nicht der Ort, das politische System, das sich Dante in<lb/>
selbständiger Verwertung und Umgestaltung aristotelisch-scholastischer Gedanken<lb/>
aufgebaut hatte, ausführlich zu entwickeln, aber den Grundriß müssen wir<lb/>
wenigstens zeichnen. Man bekommt hie und da Erwägungen über die Frage</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) Auch in Leipzig wird leider oft über Gerichtsverhandlungen, die die betrnbendsteu<lb/>
Einblicke in das Leben und Treiben des armen niedern Volkes gewähren, in geradezu empörender<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> Weise mit nichts als schlechten Witzen berichtet. </note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1891 »</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] Geschichtsphilosoxhische Gedanken ihres Amtes walten. Verurteilungen in landläufigen, uninteressanter Fällen bleiben am besten verschwiegen oder werden nur mit einer kurzen Erwähnung abgethan. Schwere Fälle aber, besonders dreiste Diebstähle, Morde, Kuppel¬ prozesse sollten nur mit gebührendem Ernste und mit entsprechender Tendenz behandelt werden, wie denn jede humoristische Behandlung gerichtlicher Vor¬ gänge, etwa nach Art der Berliner „schnoddrigen" Gcrichtsszenen als in das Gebiet des groben Unfuges gehörend, verpönt werden sollte.*) Im allgemeinen wird die Entscheidung der Frage, was mitzuteilen sei oder nicht, eine Frage des leider wenig verbreiteten Taktgefühles sein und bleiben müssen, so lange nicht die bei dieser Frage beteiligten Behörden Schritte thun, sich eingehend mit einem Gebiete des öffentlichen Lebens zu beschäftigen, ans welchem that¬ sächlich schwere Mißstände herrschen. Geschichtsphilosophische Gedanken 9 me italienischen Kämpfe im Anfange des vierzehnten Jahr¬ hunderts, die wir im vorigen Abschnitt erwähnten, führten einen sehr wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte herbei. Mit des Luxemburgers Römerzuge scheiterte endgiltig die Jdealpolitik der mittelalterlichen Kaiser, und im Widerstande dagegen erwachte der Gedanke einer italienischen Nationalpolitik. Es ist sonderbar, daß sich in der reichen, das große Ereignis betreffenden Litteratur jener Tage außer dem bekannten Briefe Dantes an Heinrich kein Zeichen eines Verkehrs zwischen beiden findet; es wäre unnatürlich, wenn zwei hervorragende Männer, deren Gedankenkreise und Lebensziele so vollständig übereinstimmten, drei Jahre in geringer Entfernung von einander zugebracht hätten, ohne in lebhaften und innigen Gedankenaustausch mit einander zu treten. Es ist hier nicht der Ort, das politische System, das sich Dante in selbständiger Verwertung und Umgestaltung aristotelisch-scholastischer Gedanken aufgebaut hatte, ausführlich zu entwickeln, aber den Grundriß müssen wir wenigstens zeichnen. Man bekommt hie und da Erwägungen über die Frage *) Auch in Leipzig wird leider oft über Gerichtsverhandlungen, die die betrnbendsteu Einblicke in das Leben und Treiben des armen niedern Volkes gewähren, in geradezu empörender D. Red. Weise mit nichts als schlechten Witzen berichtet. Grenzboten III 1891 »

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/73
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/73>, abgerufen am 13.11.2024.