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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Genchtsscial und Presse

Man kaun auch nicht daran glauben, daß die Sozialdemokratie, ihre Ziele
auf dem Wege der Revolution zu erreichen, gänzlich aufgegeben haben sollte.
Der einundsiebziger Aufstand der Pariser Kommunisten ist wenigstens von der
Partei um 18. März auch in diesem Jahre wieder in Wort und Schrift ver¬
herrlicht worden. Das Möglichste hat in dieser Beziehung die Nummer 11
der "Berliner Volkstribüne" geleistet.

Zwar wird es allem Anscheine nach der Sozialdemokratie niemals ge¬
lingen, die Arbeiterschaften vollständig und straff zu organisiren. Aber die
vorhandenen Vereinigungen sind leider schon stark genug, ein befriedigendes
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter zu verhindern.

Die Frage, wie sich diese wirtschaftlichen Kämpfe einschränken lassen, ist
noch immer ungelöst. Zunächst wird man abwarten müssen, welchen Einfluß
das im verflossenen Halbjahr ebenfalls zu stände gekommene Arbeiterschutzgesetz
auf die weitere Haltung der Arbeiter haben wird.

Von verschiedner Seite hat mau bekanntlich vorgeschlagen, bei der Fest¬
setzung der Löhne, da diese bei den jetzigen verwickelten wirtschaftlichen Ver¬
hältnissen besonders schwierig ist, besondre Einrichtungen, die aus Vertretern
der beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber zusammengesetzt sein sollen, mitwirken
zu lassen, und es ist möglich, daß dadurch am ehesten den Lohnstreitigkeiten
und dadurch deu Streiks vorgebeugt werden kann. Vor allem müsse" die
Arbeiter etwas bescheidner werde". Bis dahin wird die ganze Bewegung
und die Gesetzgebung noch manche Phase durchzumachen haben.




Gerichtssaal und Presse

us selbstbewußte Gefühl des Pharisäers, der bei dem Blick auf
den sündigen Zöllner stolz auf die Brust schlägt und sich rühmt,
nicht zu sein wie dieser eiuer, machte sich vor einigen Monaten
in der deutschen Presse aller Schattirungen in tönenden Worten
oder doch zwischen den Zeilen recht aufdringlich bemerkbar, als
jenseits der Vogesen wieder einmal ein "Sensationsprozeß" die Teilnahme der
gebildeten wie der ungebildeten Welt lebhafter in Anspruch nahm als die
wichtigsten Vorgänge in der Politik. Der Prozeß "Eyraud und Gabriele
Vompard" mit seinen halb grausigen, halb pikanten Einzelheiten war in der
That ein Leckerbissen für den überreizten Gaumen der Pariser, bei dessen


Genchtsscial und Presse

Man kaun auch nicht daran glauben, daß die Sozialdemokratie, ihre Ziele
auf dem Wege der Revolution zu erreichen, gänzlich aufgegeben haben sollte.
Der einundsiebziger Aufstand der Pariser Kommunisten ist wenigstens von der
Partei um 18. März auch in diesem Jahre wieder in Wort und Schrift ver¬
herrlicht worden. Das Möglichste hat in dieser Beziehung die Nummer 11
der „Berliner Volkstribüne" geleistet.

Zwar wird es allem Anscheine nach der Sozialdemokratie niemals ge¬
lingen, die Arbeiterschaften vollständig und straff zu organisiren. Aber die
vorhandenen Vereinigungen sind leider schon stark genug, ein befriedigendes
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter zu verhindern.

Die Frage, wie sich diese wirtschaftlichen Kämpfe einschränken lassen, ist
noch immer ungelöst. Zunächst wird man abwarten müssen, welchen Einfluß
das im verflossenen Halbjahr ebenfalls zu stände gekommene Arbeiterschutzgesetz
auf die weitere Haltung der Arbeiter haben wird.

Von verschiedner Seite hat mau bekanntlich vorgeschlagen, bei der Fest¬
setzung der Löhne, da diese bei den jetzigen verwickelten wirtschaftlichen Ver¬
hältnissen besonders schwierig ist, besondre Einrichtungen, die aus Vertretern
der beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber zusammengesetzt sein sollen, mitwirken
zu lassen, und es ist möglich, daß dadurch am ehesten den Lohnstreitigkeiten
und dadurch deu Streiks vorgebeugt werden kann. Vor allem müsse» die
Arbeiter etwas bescheidner werde». Bis dahin wird die ganze Bewegung
und die Gesetzgebung noch manche Phase durchzumachen haben.




Gerichtssaal und Presse

us selbstbewußte Gefühl des Pharisäers, der bei dem Blick auf
den sündigen Zöllner stolz auf die Brust schlägt und sich rühmt,
nicht zu sein wie dieser eiuer, machte sich vor einigen Monaten
in der deutschen Presse aller Schattirungen in tönenden Worten
oder doch zwischen den Zeilen recht aufdringlich bemerkbar, als
jenseits der Vogesen wieder einmal ein „Sensationsprozeß" die Teilnahme der
gebildeten wie der ungebildeten Welt lebhafter in Anspruch nahm als die
wichtigsten Vorgänge in der Politik. Der Prozeß „Eyraud und Gabriele
Vompard" mit seinen halb grausigen, halb pikanten Einzelheiten war in der
That ein Leckerbissen für den überreizten Gaumen der Pariser, bei dessen


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[0067] Genchtsscial und Presse Man kaun auch nicht daran glauben, daß die Sozialdemokratie, ihre Ziele auf dem Wege der Revolution zu erreichen, gänzlich aufgegeben haben sollte. Der einundsiebziger Aufstand der Pariser Kommunisten ist wenigstens von der Partei um 18. März auch in diesem Jahre wieder in Wort und Schrift ver¬ herrlicht worden. Das Möglichste hat in dieser Beziehung die Nummer 11 der „Berliner Volkstribüne" geleistet. Zwar wird es allem Anscheine nach der Sozialdemokratie niemals ge¬ lingen, die Arbeiterschaften vollständig und straff zu organisiren. Aber die vorhandenen Vereinigungen sind leider schon stark genug, ein befriedigendes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter zu verhindern. Die Frage, wie sich diese wirtschaftlichen Kämpfe einschränken lassen, ist noch immer ungelöst. Zunächst wird man abwarten müssen, welchen Einfluß das im verflossenen Halbjahr ebenfalls zu stände gekommene Arbeiterschutzgesetz auf die weitere Haltung der Arbeiter haben wird. Von verschiedner Seite hat mau bekanntlich vorgeschlagen, bei der Fest¬ setzung der Löhne, da diese bei den jetzigen verwickelten wirtschaftlichen Ver¬ hältnissen besonders schwierig ist, besondre Einrichtungen, die aus Vertretern der beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber zusammengesetzt sein sollen, mitwirken zu lassen, und es ist möglich, daß dadurch am ehesten den Lohnstreitigkeiten und dadurch deu Streiks vorgebeugt werden kann. Vor allem müsse» die Arbeiter etwas bescheidner werde». Bis dahin wird die ganze Bewegung und die Gesetzgebung noch manche Phase durchzumachen haben. Gerichtssaal und Presse us selbstbewußte Gefühl des Pharisäers, der bei dem Blick auf den sündigen Zöllner stolz auf die Brust schlägt und sich rühmt, nicht zu sein wie dieser eiuer, machte sich vor einigen Monaten in der deutschen Presse aller Schattirungen in tönenden Worten oder doch zwischen den Zeilen recht aufdringlich bemerkbar, als jenseits der Vogesen wieder einmal ein „Sensationsprozeß" die Teilnahme der gebildeten wie der ungebildeten Welt lebhafter in Anspruch nahm als die wichtigsten Vorgänge in der Politik. Der Prozeß „Eyraud und Gabriele Vompard" mit seinen halb grausigen, halb pikanten Einzelheiten war in der That ein Leckerbissen für den überreizten Gaumen der Pariser, bei dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/67>, abgerufen am 13.11.2024.