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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

hätte. Aber ein andrer Gedanke durchzuckte mich blitzschnell, und anstatt dem
Alten den geräucherten Aal zu überreichen, legte ich den Leckerbissen auf die
entfernteste Fensterbank.

Was thust du dort? fragte Mahlmann, der jede meiner Bewegungen mit
Argusaugen beobachtet hatte.

Ich machte ein gleichgiltiges Gesicht. O, ich wollte dich man bloß fragen,
ob du nicht ein kleines Stück Papier hättest. Ich möchte den Aal einwickeln
und an unsre Brotfrau schenken -- du weißt, an Trina. Sie mag so gern
Geräuchertes!

Als wenn das gesund wäre! murrte der Alte. Alte Weihers und ge¬
räucherten Aal, das paßt nich zusammen! Da kann Trina den Tod von kriegen,
und wer ihr dann den Aal geschenkt hat, der kommt ins Loch. Ja, so is
das mit die neumodschen Gesetzen; da kann man steche bei wegkommen!

Gestern hat Triua einen geräucherten Aal gegessen, ich Habs selbst gesehen;
da kann sie diesen auch vertragen! erwiderte ich.

Der Alte seufzte. Ja, denn geh man zu Trinn; die magst du doch lieber
leiden als mir. Und ich weiß so'ne feine Geschichte! So'ne Gespenstergeschichte,
wo siebenundvierzig Geisters mit einemmale aus die Erde kommen - reine-
mang aus die Erde. Soll ich dich ein büschen davon verzählen?

Ich schüttelte den Kopf. Die Gespenstergeschichten hatten ihre zwei Seiten,
eine helle Tag-, aber auch eine entsetzliche Nachtseite. Auch hatte ich mir etwas
andres vorgenommen. Weißt dn wohl, Mahlmann, daß Hinrich gesagt hat,
Jochen Friederichsen wäre gar nicht wieder aufgewacht, nachdem er drei Tage
tot gelegen hatte? er sagt, du hättest mal wieder gelogen!

Mahlmnnns Augen sprühten vor Zorn. Als wenn Hinrich davon was
wüßt! sagte er verächtlich. Der war dazumalen ja kaum aus der Wiege und
gerade son Dösbaddel als nun!

Die Abneigung Mahlmanns gegen unsern Kutscher Hinrich war uns be¬
kannt und eine Quelle großer Belustigung. Er sagt aber, daß Jochen
Friederichsen damals gleich tot gewesen ist, rief ich, und --

Mahlmann schlug mit der Hand auf den Tisch. Hab ich gesagt, daß er
nich tot war? Meine Zeit! tot war er, und tot blieb er; und das war ja der
Spaß davon, daß die Leuteus sich die Zunge aufn Mund snackten und doch
nich wußten, wo Friederichsen hingekommen war. Und die Geschichte kam in
die Zeitungens, und der dänische König hat sie auch gehört und über Friede¬
richsen sein Verswinden so mien Kopp geschüttelt, daß ihn die Krone mit eins
abgefallen is!

Der Alte sah einen Augenblick starr vor sich hin; dann lachte er ein
wenig. Was nich allens Passiren kann! Von diese Geschichte is viel gesnackt
worden; abersten als Friederichsen nich wiederkam, da wurde der Sarg casu
Boden gestellt, und die Wirtschaft ins Haus und aufn Hof ging weiter.


Aus dänischer Zeit

hätte. Aber ein andrer Gedanke durchzuckte mich blitzschnell, und anstatt dem
Alten den geräucherten Aal zu überreichen, legte ich den Leckerbissen auf die
entfernteste Fensterbank.

Was thust du dort? fragte Mahlmann, der jede meiner Bewegungen mit
Argusaugen beobachtet hatte.

Ich machte ein gleichgiltiges Gesicht. O, ich wollte dich man bloß fragen,
ob du nicht ein kleines Stück Papier hättest. Ich möchte den Aal einwickeln
und an unsre Brotfrau schenken — du weißt, an Trina. Sie mag so gern
Geräuchertes!

Als wenn das gesund wäre! murrte der Alte. Alte Weihers und ge¬
räucherten Aal, das paßt nich zusammen! Da kann Trina den Tod von kriegen,
und wer ihr dann den Aal geschenkt hat, der kommt ins Loch. Ja, so is
das mit die neumodschen Gesetzen; da kann man steche bei wegkommen!

Gestern hat Triua einen geräucherten Aal gegessen, ich Habs selbst gesehen;
da kann sie diesen auch vertragen! erwiderte ich.

Der Alte seufzte. Ja, denn geh man zu Trinn; die magst du doch lieber
leiden als mir. Und ich weiß so'ne feine Geschichte! So'ne Gespenstergeschichte,
wo siebenundvierzig Geisters mit einemmale aus die Erde kommen - reine-
mang aus die Erde. Soll ich dich ein büschen davon verzählen?

Ich schüttelte den Kopf. Die Gespenstergeschichten hatten ihre zwei Seiten,
eine helle Tag-, aber auch eine entsetzliche Nachtseite. Auch hatte ich mir etwas
andres vorgenommen. Weißt dn wohl, Mahlmann, daß Hinrich gesagt hat,
Jochen Friederichsen wäre gar nicht wieder aufgewacht, nachdem er drei Tage
tot gelegen hatte? er sagt, du hättest mal wieder gelogen!

Mahlmnnns Augen sprühten vor Zorn. Als wenn Hinrich davon was
wüßt! sagte er verächtlich. Der war dazumalen ja kaum aus der Wiege und
gerade son Dösbaddel als nun!

Die Abneigung Mahlmanns gegen unsern Kutscher Hinrich war uns be¬
kannt und eine Quelle großer Belustigung. Er sagt aber, daß Jochen
Friederichsen damals gleich tot gewesen ist, rief ich, und —

Mahlmann schlug mit der Hand auf den Tisch. Hab ich gesagt, daß er
nich tot war? Meine Zeit! tot war er, und tot blieb er; und das war ja der
Spaß davon, daß die Leuteus sich die Zunge aufn Mund snackten und doch
nich wußten, wo Friederichsen hingekommen war. Und die Geschichte kam in
die Zeitungens, und der dänische König hat sie auch gehört und über Friede¬
richsen sein Verswinden so mien Kopp geschüttelt, daß ihn die Krone mit eins
abgefallen is!

Der Alte sah einen Augenblick starr vor sich hin; dann lachte er ein
wenig. Was nich allens Passiren kann! Von diese Geschichte is viel gesnackt
worden; abersten als Friederichsen nich wiederkam, da wurde der Sarg casu
Boden gestellt, und die Wirtschaft ins Haus und aufn Hof ging weiter.


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[0626] Aus dänischer Zeit hätte. Aber ein andrer Gedanke durchzuckte mich blitzschnell, und anstatt dem Alten den geräucherten Aal zu überreichen, legte ich den Leckerbissen auf die entfernteste Fensterbank. Was thust du dort? fragte Mahlmann, der jede meiner Bewegungen mit Argusaugen beobachtet hatte. Ich machte ein gleichgiltiges Gesicht. O, ich wollte dich man bloß fragen, ob du nicht ein kleines Stück Papier hättest. Ich möchte den Aal einwickeln und an unsre Brotfrau schenken — du weißt, an Trina. Sie mag so gern Geräuchertes! Als wenn das gesund wäre! murrte der Alte. Alte Weihers und ge¬ räucherten Aal, das paßt nich zusammen! Da kann Trina den Tod von kriegen, und wer ihr dann den Aal geschenkt hat, der kommt ins Loch. Ja, so is das mit die neumodschen Gesetzen; da kann man steche bei wegkommen! Gestern hat Triua einen geräucherten Aal gegessen, ich Habs selbst gesehen; da kann sie diesen auch vertragen! erwiderte ich. Der Alte seufzte. Ja, denn geh man zu Trinn; die magst du doch lieber leiden als mir. Und ich weiß so'ne feine Geschichte! So'ne Gespenstergeschichte, wo siebenundvierzig Geisters mit einemmale aus die Erde kommen - reine- mang aus die Erde. Soll ich dich ein büschen davon verzählen? Ich schüttelte den Kopf. Die Gespenstergeschichten hatten ihre zwei Seiten, eine helle Tag-, aber auch eine entsetzliche Nachtseite. Auch hatte ich mir etwas andres vorgenommen. Weißt dn wohl, Mahlmann, daß Hinrich gesagt hat, Jochen Friederichsen wäre gar nicht wieder aufgewacht, nachdem er drei Tage tot gelegen hatte? er sagt, du hättest mal wieder gelogen! Mahlmnnns Augen sprühten vor Zorn. Als wenn Hinrich davon was wüßt! sagte er verächtlich. Der war dazumalen ja kaum aus der Wiege und gerade son Dösbaddel als nun! Die Abneigung Mahlmanns gegen unsern Kutscher Hinrich war uns be¬ kannt und eine Quelle großer Belustigung. Er sagt aber, daß Jochen Friederichsen damals gleich tot gewesen ist, rief ich, und — Mahlmann schlug mit der Hand auf den Tisch. Hab ich gesagt, daß er nich tot war? Meine Zeit! tot war er, und tot blieb er; und das war ja der Spaß davon, daß die Leuteus sich die Zunge aufn Mund snackten und doch nich wußten, wo Friederichsen hingekommen war. Und die Geschichte kam in die Zeitungens, und der dänische König hat sie auch gehört und über Friede¬ richsen sein Verswinden so mien Kopp geschüttelt, daß ihn die Krone mit eins abgefallen is! Der Alte sah einen Augenblick starr vor sich hin; dann lachte er ein wenig. Was nich allens Passiren kann! Von diese Geschichte is viel gesnackt worden; abersten als Friederichsen nich wiederkam, da wurde der Sarg casu Boden gestellt, und die Wirtschaft ins Haus und aufn Hof ging weiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/626>, abgerufen am 26.08.2024.