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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

meinte wunder was sie vornehm wär, nun kriegte sie nich mal ein ordentliches
Leichenbier, und sie konnte die Kuchens an die Sweine geben. Und dann kam
noch all der Sncick aufn Dorf. Die Leute sagten natürlicherweise, Friederichsen
wäre gar nich tot, er hätt man bloß so gethan; und nu wär er ausgekratzt
nach Merita, wo all die swarzen Heidens sind. Da wollt er sich ne neue
Frau nehmen oder auch zwei, gerade so, wie das da Mode war. Ja, das
sagten die Lenkers, und Mutter Friederichsen mußte allens mit anhören und
konnte uicht sagen: O ihr vermaledeiten Lügeubeutels!

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir merkten, daß Mahlmann unter
keiner Bedingung den Schluß seiner Geschichte erzählen wollte. Wir baten,
flehten, schmollten: Mahlmann blieb ungerührt und sprach mit unbefangner
Miene von etwas anderm. Da gingen wir denn endlich in Hellem Zorn fort
und gelobten uns, den abscheulichen alten Mann fürs erste nicht wieder zu
besuchen, und wir führten unsern Vorsatz auch aus. Allerdings mehr zufällig,
denn es kam damals eine Seiltänzergesellschaft in unsre Stadt, deren Leistungen
uus so entzückten, daß wir unsern alten Mahlmann ganz darüber vergaßen.
Wenn wir auch nicht immer in das Innere des vielfach geflickten Zeltes ein¬
treten konnten, so war es doch schon ein köstlicher Zeitvertreib, stundenlang
vor dem Künstlertempel zu stehen und andachtsvoll die dicke Frau an der
Kasse oder den klugen Pony Zampa oder die reizende Miß Kitty anzustarren.
Und nach den Seiltänzern kam der General Montecucculi. Er war gerade so
groß wie unser dreijähriger Bruder, trug eine wundervolle Uniform und er¬
zählte auf einem Tische stehend mit piepsiger Stimme, daß er in Eckernförde
geboren sei. So kam es, daß Wochen vergingen, ehe wir wieder an Mahl¬
mann dachten. Erst als in unserm Städtchen ein sogenannter Pferdemarkt
war, an dem sich aber mir etliche magere Kühe und eine Frau mit geräucherten
Aalen beteiligten, fiel mir der Alte wieder ein; denn er hatte eine besondre
Leidenschaft für geräucherte Aale. Der Nest meiner Barschaft wurde also für
ein stocksteif geräuchertes Tier ausgegeben, das ich im Triumph durch die
Gassen trug. Erhitzt und aufs äußerste mit nur zufrieden, langte ich bei
Mahlmann an, der vor seinem Fenster saß und meinen Gruß gar nicht er¬
widerte. Auch die Frage, wie es ihm ginge, fand keine Antwort; erst ein
Blick auf den geräucherten Aal löste dem Alten die Zunge.

Nu? lebst auch noch? knurrte er. Gestern da läuteten die Glockens, und
ich meinte, du würdest begraben!

Diese feine Anspielung fand ich höchst ergötzlich und lachte aus vollem Halse.

Nein, Mahlmann, ich bin es nicht gewesen -- das war ja der alte
Lorenzen; du weißt, der alte, krumme, der immer so viel Branntwein trank!

Na, denn kommst du vielleicht das nächstemal dran! brummte Mahlmann.

Ich nickte gleichmütig. Viel zu oft hatte ich Tote gesehen und den Be¬
gräbnissen nachgeblickt, als daß der Gedanke ans Sterben meine Nerven erregt


Grenzboten III 1391 78
Aus dänischer Zeit

meinte wunder was sie vornehm wär, nun kriegte sie nich mal ein ordentliches
Leichenbier, und sie konnte die Kuchens an die Sweine geben. Und dann kam
noch all der Sncick aufn Dorf. Die Leute sagten natürlicherweise, Friederichsen
wäre gar nich tot, er hätt man bloß so gethan; und nu wär er ausgekratzt
nach Merita, wo all die swarzen Heidens sind. Da wollt er sich ne neue
Frau nehmen oder auch zwei, gerade so, wie das da Mode war. Ja, das
sagten die Lenkers, und Mutter Friederichsen mußte allens mit anhören und
konnte uicht sagen: O ihr vermaledeiten Lügeubeutels!

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir merkten, daß Mahlmann unter
keiner Bedingung den Schluß seiner Geschichte erzählen wollte. Wir baten,
flehten, schmollten: Mahlmann blieb ungerührt und sprach mit unbefangner
Miene von etwas anderm. Da gingen wir denn endlich in Hellem Zorn fort
und gelobten uns, den abscheulichen alten Mann fürs erste nicht wieder zu
besuchen, und wir führten unsern Vorsatz auch aus. Allerdings mehr zufällig,
denn es kam damals eine Seiltänzergesellschaft in unsre Stadt, deren Leistungen
uus so entzückten, daß wir unsern alten Mahlmann ganz darüber vergaßen.
Wenn wir auch nicht immer in das Innere des vielfach geflickten Zeltes ein¬
treten konnten, so war es doch schon ein köstlicher Zeitvertreib, stundenlang
vor dem Künstlertempel zu stehen und andachtsvoll die dicke Frau an der
Kasse oder den klugen Pony Zampa oder die reizende Miß Kitty anzustarren.
Und nach den Seiltänzern kam der General Montecucculi. Er war gerade so
groß wie unser dreijähriger Bruder, trug eine wundervolle Uniform und er¬
zählte auf einem Tische stehend mit piepsiger Stimme, daß er in Eckernförde
geboren sei. So kam es, daß Wochen vergingen, ehe wir wieder an Mahl¬
mann dachten. Erst als in unserm Städtchen ein sogenannter Pferdemarkt
war, an dem sich aber mir etliche magere Kühe und eine Frau mit geräucherten
Aalen beteiligten, fiel mir der Alte wieder ein; denn er hatte eine besondre
Leidenschaft für geräucherte Aale. Der Nest meiner Barschaft wurde also für
ein stocksteif geräuchertes Tier ausgegeben, das ich im Triumph durch die
Gassen trug. Erhitzt und aufs äußerste mit nur zufrieden, langte ich bei
Mahlmann an, der vor seinem Fenster saß und meinen Gruß gar nicht er¬
widerte. Auch die Frage, wie es ihm ginge, fand keine Antwort; erst ein
Blick auf den geräucherten Aal löste dem Alten die Zunge.

Nu? lebst auch noch? knurrte er. Gestern da läuteten die Glockens, und
ich meinte, du würdest begraben!

Diese feine Anspielung fand ich höchst ergötzlich und lachte aus vollem Halse.

Nein, Mahlmann, ich bin es nicht gewesen — das war ja der alte
Lorenzen; du weißt, der alte, krumme, der immer so viel Branntwein trank!

Na, denn kommst du vielleicht das nächstemal dran! brummte Mahlmann.

Ich nickte gleichmütig. Viel zu oft hatte ich Tote gesehen und den Be¬
gräbnissen nachgeblickt, als daß der Gedanke ans Sterben meine Nerven erregt


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[0625] Aus dänischer Zeit meinte wunder was sie vornehm wär, nun kriegte sie nich mal ein ordentliches Leichenbier, und sie konnte die Kuchens an die Sweine geben. Und dann kam noch all der Sncick aufn Dorf. Die Leute sagten natürlicherweise, Friederichsen wäre gar nich tot, er hätt man bloß so gethan; und nu wär er ausgekratzt nach Merita, wo all die swarzen Heidens sind. Da wollt er sich ne neue Frau nehmen oder auch zwei, gerade so, wie das da Mode war. Ja, das sagten die Lenkers, und Mutter Friederichsen mußte allens mit anhören und konnte uicht sagen: O ihr vermaledeiten Lügeubeutels! Es dauerte eine ganze Weile, bis wir merkten, daß Mahlmann unter keiner Bedingung den Schluß seiner Geschichte erzählen wollte. Wir baten, flehten, schmollten: Mahlmann blieb ungerührt und sprach mit unbefangner Miene von etwas anderm. Da gingen wir denn endlich in Hellem Zorn fort und gelobten uns, den abscheulichen alten Mann fürs erste nicht wieder zu besuchen, und wir führten unsern Vorsatz auch aus. Allerdings mehr zufällig, denn es kam damals eine Seiltänzergesellschaft in unsre Stadt, deren Leistungen uus so entzückten, daß wir unsern alten Mahlmann ganz darüber vergaßen. Wenn wir auch nicht immer in das Innere des vielfach geflickten Zeltes ein¬ treten konnten, so war es doch schon ein köstlicher Zeitvertreib, stundenlang vor dem Künstlertempel zu stehen und andachtsvoll die dicke Frau an der Kasse oder den klugen Pony Zampa oder die reizende Miß Kitty anzustarren. Und nach den Seiltänzern kam der General Montecucculi. Er war gerade so groß wie unser dreijähriger Bruder, trug eine wundervolle Uniform und er¬ zählte auf einem Tische stehend mit piepsiger Stimme, daß er in Eckernförde geboren sei. So kam es, daß Wochen vergingen, ehe wir wieder an Mahl¬ mann dachten. Erst als in unserm Städtchen ein sogenannter Pferdemarkt war, an dem sich aber mir etliche magere Kühe und eine Frau mit geräucherten Aalen beteiligten, fiel mir der Alte wieder ein; denn er hatte eine besondre Leidenschaft für geräucherte Aale. Der Nest meiner Barschaft wurde also für ein stocksteif geräuchertes Tier ausgegeben, das ich im Triumph durch die Gassen trug. Erhitzt und aufs äußerste mit nur zufrieden, langte ich bei Mahlmann an, der vor seinem Fenster saß und meinen Gruß gar nicht er¬ widerte. Auch die Frage, wie es ihm ginge, fand keine Antwort; erst ein Blick auf den geräucherten Aal löste dem Alten die Zunge. Nu? lebst auch noch? knurrte er. Gestern da läuteten die Glockens, und ich meinte, du würdest begraben! Diese feine Anspielung fand ich höchst ergötzlich und lachte aus vollem Halse. Nein, Mahlmann, ich bin es nicht gewesen — das war ja der alte Lorenzen; du weißt, der alte, krumme, der immer so viel Branntwein trank! Na, denn kommst du vielleicht das nächstemal dran! brummte Mahlmann. Ich nickte gleichmütig. Viel zu oft hatte ich Tote gesehen und den Be¬ gräbnissen nachgeblickt, als daß der Gedanke ans Sterben meine Nerven erregt Grenzboten III 1391 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/625>, abgerufen am 26.08.2024.