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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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I^tKia recliviva

lehrter Manu war und von Poesie nichts verstand, seinen Spruch in fließenden
Versen. Hier ist es nicht anders. Daß Ungelehrte ans mathematischen: Wege
wohlgebaute, fehlerlose Hexameter in lateinischer Sprache herzustellen in den
Stand gesetzt werden, das wird man für ein Kunststück halten dürfen.

Will mir der Leser aufmerksam folgen, so gebe ich ihm die Versicherung,
daß ich ihn in 5 -- geschrieben: fünf -- Minuten zum Versifex, sie zur
Seherin mache. Gymnasium, Realschule, höhere Töchterschule -- vor diesem
neuen Adeptentnm versinken ihre Künste in wesenlose Schemen. A. Amthor,
ein bekannter hervorragender Mathematiker, sagt in seinem Begleitworte, nicht
mir das Interesse des Philologen und Mathematikers, sondern sicher eines
jeden, der ein Gymnasium besucht habe, werde das Schriftchen, das eine au¬
genehme Unterhaltung für Mußestunden biete, in Anspruch nehmen. Ich gehe
noch weiter; ich glaube und weiß es aus Erfahrung, daß diese pythischen
Künste auf jeden, den ein sinniges Gedankenspiel reizt, anregend wirken müssen.
Auf eine gewisse Frage eine Antwort zu erhalten, das sehe ich als kein Kunst¬
stück an; aber mich überrascht, daß ich auf jede beliebig gestellte Frage vou
mindestens sechs Worten 1. einen uuanstößigen lateinischen Hexameter erhalte,
daß dieser Hexameter einen divinatorischen Sinn giebt, 3. daß er die Frage
verneint, bejaht oder auch die Neugier abweist, und 4. daß ihm in sehr
vielen Fällen der pythische Charakter des Doppelsinnes anhaftet. Wie einer¬
seits rein mechanische, andrerseits von der Willkür im weitesten Umfange be¬
herrschte Messungen, nämlich Silbenzahlungen, auf das Gebiet des Geistes zu
wirke" und logische Gedankengänge hervorzubringen vermögen, das, meine ich,
muß iiberraschen; auch der mathematische Fachmann bekennt -- ich glaube
aber, er lächelt dabei --, er habe eine vollständige Erklärung des Zusammen¬
hanges nicht auffinden können. Von dem Augenblick an, als ich für die nase¬
weise Eitelkeit meiner ersten Frage meinen Wischer bekam und von der Göttin
abgewiesen wurde, nahm die Himmlische mein ganzes Interesse in Anspruch.
Ich war uümlich hochmütig und neugierig und fragte: Sollte ich noch ein
berühmter Mann werden? Und wie zog sich die höfliche oder mich die ent¬
rüstete Göttin aus der Schwierigkeit? Dies war ihre Antwort:


novo, in-iAis liuxiäv non iuckvt Aimäis, tÄtum.
(Sieh, es verweigert der Gott dem Naseweiseren Gutes.)

Von da an suchte ich der Sache auf den Grund zu kommen, fand aber
nur das eine, daß die Göttin in höchst scharfsinniger und versgewandter Weise
eine Reihe von Hexametern zusammengestellt hatte, deren einzelne Füße in
beliebiger Zusammensetzung neue sinnreiche Hexameter ergaben. Die drei Hexa¬
meter z. B.



I^tKia recliviva

lehrter Manu war und von Poesie nichts verstand, seinen Spruch in fließenden
Versen. Hier ist es nicht anders. Daß Ungelehrte ans mathematischen: Wege
wohlgebaute, fehlerlose Hexameter in lateinischer Sprache herzustellen in den
Stand gesetzt werden, das wird man für ein Kunststück halten dürfen.

Will mir der Leser aufmerksam folgen, so gebe ich ihm die Versicherung,
daß ich ihn in 5 — geschrieben: fünf — Minuten zum Versifex, sie zur
Seherin mache. Gymnasium, Realschule, höhere Töchterschule — vor diesem
neuen Adeptentnm versinken ihre Künste in wesenlose Schemen. A. Amthor,
ein bekannter hervorragender Mathematiker, sagt in seinem Begleitworte, nicht
mir das Interesse des Philologen und Mathematikers, sondern sicher eines
jeden, der ein Gymnasium besucht habe, werde das Schriftchen, das eine au¬
genehme Unterhaltung für Mußestunden biete, in Anspruch nehmen. Ich gehe
noch weiter; ich glaube und weiß es aus Erfahrung, daß diese pythischen
Künste auf jeden, den ein sinniges Gedankenspiel reizt, anregend wirken müssen.
Auf eine gewisse Frage eine Antwort zu erhalten, das sehe ich als kein Kunst¬
stück an; aber mich überrascht, daß ich auf jede beliebig gestellte Frage vou
mindestens sechs Worten 1. einen uuanstößigen lateinischen Hexameter erhalte,
daß dieser Hexameter einen divinatorischen Sinn giebt, 3. daß er die Frage
verneint, bejaht oder auch die Neugier abweist, und 4. daß ihm in sehr
vielen Fällen der pythische Charakter des Doppelsinnes anhaftet. Wie einer¬
seits rein mechanische, andrerseits von der Willkür im weitesten Umfange be¬
herrschte Messungen, nämlich Silbenzahlungen, auf das Gebiet des Geistes zu
wirke» und logische Gedankengänge hervorzubringen vermögen, das, meine ich,
muß iiberraschen; auch der mathematische Fachmann bekennt — ich glaube
aber, er lächelt dabei —, er habe eine vollständige Erklärung des Zusammen¬
hanges nicht auffinden können. Von dem Augenblick an, als ich für die nase¬
weise Eitelkeit meiner ersten Frage meinen Wischer bekam und von der Göttin
abgewiesen wurde, nahm die Himmlische mein ganzes Interesse in Anspruch.
Ich war uümlich hochmütig und neugierig und fragte: Sollte ich noch ein
berühmter Mann werden? Und wie zog sich die höfliche oder mich die ent¬
rüstete Göttin aus der Schwierigkeit? Dies war ihre Antwort:


novo, in-iAis liuxiäv non iuckvt Aimäis, tÄtum.
(Sieh, es verweigert der Gott dem Naseweiseren Gutes.)

Von da an suchte ich der Sache auf den Grund zu kommen, fand aber
nur das eine, daß die Göttin in höchst scharfsinniger und versgewandter Weise
eine Reihe von Hexametern zusammengestellt hatte, deren einzelne Füße in
beliebiger Zusammensetzung neue sinnreiche Hexameter ergaben. Die drei Hexa¬
meter z. B.



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[0611] I^tKia recliviva lehrter Manu war und von Poesie nichts verstand, seinen Spruch in fließenden Versen. Hier ist es nicht anders. Daß Ungelehrte ans mathematischen: Wege wohlgebaute, fehlerlose Hexameter in lateinischer Sprache herzustellen in den Stand gesetzt werden, das wird man für ein Kunststück halten dürfen. Will mir der Leser aufmerksam folgen, so gebe ich ihm die Versicherung, daß ich ihn in 5 — geschrieben: fünf — Minuten zum Versifex, sie zur Seherin mache. Gymnasium, Realschule, höhere Töchterschule — vor diesem neuen Adeptentnm versinken ihre Künste in wesenlose Schemen. A. Amthor, ein bekannter hervorragender Mathematiker, sagt in seinem Begleitworte, nicht mir das Interesse des Philologen und Mathematikers, sondern sicher eines jeden, der ein Gymnasium besucht habe, werde das Schriftchen, das eine au¬ genehme Unterhaltung für Mußestunden biete, in Anspruch nehmen. Ich gehe noch weiter; ich glaube und weiß es aus Erfahrung, daß diese pythischen Künste auf jeden, den ein sinniges Gedankenspiel reizt, anregend wirken müssen. Auf eine gewisse Frage eine Antwort zu erhalten, das sehe ich als kein Kunst¬ stück an; aber mich überrascht, daß ich auf jede beliebig gestellte Frage vou mindestens sechs Worten 1. einen uuanstößigen lateinischen Hexameter erhalte, daß dieser Hexameter einen divinatorischen Sinn giebt, 3. daß er die Frage verneint, bejaht oder auch die Neugier abweist, und 4. daß ihm in sehr vielen Fällen der pythische Charakter des Doppelsinnes anhaftet. Wie einer¬ seits rein mechanische, andrerseits von der Willkür im weitesten Umfange be¬ herrschte Messungen, nämlich Silbenzahlungen, auf das Gebiet des Geistes zu wirke» und logische Gedankengänge hervorzubringen vermögen, das, meine ich, muß iiberraschen; auch der mathematische Fachmann bekennt — ich glaube aber, er lächelt dabei —, er habe eine vollständige Erklärung des Zusammen¬ hanges nicht auffinden können. Von dem Augenblick an, als ich für die nase¬ weise Eitelkeit meiner ersten Frage meinen Wischer bekam und von der Göttin abgewiesen wurde, nahm die Himmlische mein ganzes Interesse in Anspruch. Ich war uümlich hochmütig und neugierig und fragte: Sollte ich noch ein berühmter Mann werden? Und wie zog sich die höfliche oder mich die ent¬ rüstete Göttin aus der Schwierigkeit? Dies war ihre Antwort: novo, in-iAis liuxiäv non iuckvt Aimäis, tÄtum. (Sieh, es verweigert der Gott dem Naseweiseren Gutes.) Von da an suchte ich der Sache auf den Grund zu kommen, fand aber nur das eine, daß die Göttin in höchst scharfsinniger und versgewandter Weise eine Reihe von Hexametern zusammengestellt hatte, deren einzelne Füße in beliebiger Zusammensetzung neue sinnreiche Hexameter ergaben. Die drei Hexa¬ meter z. B. nnn i'vlldst äowumns Lauts, se-las unwöli solvot tibi «ordo l pfeif ^urg atum vomplvbit äudio t Oucto huiävm uo ÄllllUSxr^sala tullii AiMilm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/611>, abgerufen am 26.08.2024.