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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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A"r Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

geschlagen habe, zu heilen und seine beiden konfessionell getrennten Hälften
dereinst wiederum in höherer Einheit zu versöhnen. Leider fehle es nicht bloß
bei den Protestanten, sondern auch bei den Katholiken vielfach um dein guten Willen
zur Versöhnung. Döllinger sagt es nicht ausdrücklich, aber er giebt es zu
verstehen, daß das Hindernis bei der orthodoxen Richtung liege, die sich der
rein wissenschaftlichen gegenüberstelle. Er betont zwar so stark wie möglich
seine eigne Rechtglünbigkeit und die Notwendigkeit der kirchlichen Autorität in
Glaubenssachen, erklärt aber andrerseits, der Wissenschaft, auch der theolo¬
gischen, sei die Freiheit so unentbehrlich wie den lebenden Wesen die Luft,
"und wenn es Theologen giebt, die ihren Fachgenossen diese Lebenslust uuter
dein Vorwande der Gefahr für das Dogma entziehen wollen, so ist dies ein
kurzsichtiges und selbstmörderisches Beginnen." Gegen wissenschaftliche Fehler
und Verirrungen dürften nur gleichartige Mittel, also wissenschaftliche Wider¬
legungen und nicht kirchliche Censuren angewendet werden. Er hätte einen
durchschlagenden Erfolg, wenn auch nicht einen Erfolg in seinem Sinne, er¬
zielen können, wenn er es gerade herausgesagt Hütte, daß sich damals einige
deutsche Professoren der Theologie das Denunziantentum zum Lebensberuf
erwählt hatten, ihre Kollegen ansspionirten, was sie an "ketzerischen" Be¬
hauptungen in deren Büchern und Vortrügen aufzustöbern vermochtet!, uach
Rom berichteten und die Verurteilung der Delinquenten mit fanatischem Eifer
betrieben. Aber er begnügte sich mit der schwächlichen Schlußmnhuung:
"Möge den" jeder von uns, wenn die Versuchung ihn anwandelt, über wirkliche
oder vermeintliche Irrtümer eines Fachgenossen scharfes Gericht zu halten
oder gar die Orthodoxie eines Buches und seines Verfassers zu verdächtigen,
eingedenk sein der Worte" (folgen einige Verse aus Dante).

Döllinger hatte uoch in der Sitzung selbst Gelegenheit, sich von der
UnHaltbarkeit seiner Stellung und von der Unmöglichkeit eiuer katholischen
Theologie, wie er sie sich träumte, zu überzeuge,?. Die anwesenden Roma¬
nisten ließen ihm keinen Zweifel daran, daß sich Rom und die deutsche Wissen¬
schaft ungefähr ebenso gut vertrllgeu wie Feuer und Wasser. Der Papst
nahm deu Segen zurück, deu er der Versammlung gespendet hatte, und machte
durch ein Breve die Wiederholung solcher Befreiungsversuche unmöglich. Das
förderte denn unsern Döllinger rasch ein gutes Stück, und in der zwei Jahre
darauf verfaßten Denkschrift über die Speierische Seminarfrage (der Bischof
von Speier wollte die Lehrerstellen an seinem Priesterseminar ohne Mitwir¬
kung der Regierung besetzen) und über deu Syllnbus führt er schon so ziemlich
die Sprache des Janus. Die Lage des katholischen Deutschlands Rom gegen¬
über habe sich geändert, der Ultramontanismus sei keine Erdichtung der Kirchen-
fcinde mehr, sondern eine wirkliche aggressiv fortschreitende Macht; ihre haupt¬
sächlichsten Träger seien die Jesnitenzöglinge, die sich von Jahr zu Jahr
zahlreicher in den dentschen Klerus einnisteten. "Das also -- ruft er nach


A»r Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

geschlagen habe, zu heilen und seine beiden konfessionell getrennten Hälften
dereinst wiederum in höherer Einheit zu versöhnen. Leider fehle es nicht bloß
bei den Protestanten, sondern auch bei den Katholiken vielfach um dein guten Willen
zur Versöhnung. Döllinger sagt es nicht ausdrücklich, aber er giebt es zu
verstehen, daß das Hindernis bei der orthodoxen Richtung liege, die sich der
rein wissenschaftlichen gegenüberstelle. Er betont zwar so stark wie möglich
seine eigne Rechtglünbigkeit und die Notwendigkeit der kirchlichen Autorität in
Glaubenssachen, erklärt aber andrerseits, der Wissenschaft, auch der theolo¬
gischen, sei die Freiheit so unentbehrlich wie den lebenden Wesen die Luft,
„und wenn es Theologen giebt, die ihren Fachgenossen diese Lebenslust uuter
dein Vorwande der Gefahr für das Dogma entziehen wollen, so ist dies ein
kurzsichtiges und selbstmörderisches Beginnen." Gegen wissenschaftliche Fehler
und Verirrungen dürften nur gleichartige Mittel, also wissenschaftliche Wider¬
legungen und nicht kirchliche Censuren angewendet werden. Er hätte einen
durchschlagenden Erfolg, wenn auch nicht einen Erfolg in seinem Sinne, er¬
zielen können, wenn er es gerade herausgesagt Hütte, daß sich damals einige
deutsche Professoren der Theologie das Denunziantentum zum Lebensberuf
erwählt hatten, ihre Kollegen ansspionirten, was sie an „ketzerischen" Be¬
hauptungen in deren Büchern und Vortrügen aufzustöbern vermochtet!, uach
Rom berichteten und die Verurteilung der Delinquenten mit fanatischem Eifer
betrieben. Aber er begnügte sich mit der schwächlichen Schlußmnhuung:
„Möge den» jeder von uns, wenn die Versuchung ihn anwandelt, über wirkliche
oder vermeintliche Irrtümer eines Fachgenossen scharfes Gericht zu halten
oder gar die Orthodoxie eines Buches und seines Verfassers zu verdächtigen,
eingedenk sein der Worte" (folgen einige Verse aus Dante).

Döllinger hatte uoch in der Sitzung selbst Gelegenheit, sich von der
UnHaltbarkeit seiner Stellung und von der Unmöglichkeit eiuer katholischen
Theologie, wie er sie sich träumte, zu überzeuge,?. Die anwesenden Roma¬
nisten ließen ihm keinen Zweifel daran, daß sich Rom und die deutsche Wissen¬
schaft ungefähr ebenso gut vertrllgeu wie Feuer und Wasser. Der Papst
nahm deu Segen zurück, deu er der Versammlung gespendet hatte, und machte
durch ein Breve die Wiederholung solcher Befreiungsversuche unmöglich. Das
förderte denn unsern Döllinger rasch ein gutes Stück, und in der zwei Jahre
darauf verfaßten Denkschrift über die Speierische Seminarfrage (der Bischof
von Speier wollte die Lehrerstellen an seinem Priesterseminar ohne Mitwir¬
kung der Regierung besetzen) und über deu Syllnbus führt er schon so ziemlich
die Sprache des Janus. Die Lage des katholischen Deutschlands Rom gegen¬
über habe sich geändert, der Ultramontanismus sei keine Erdichtung der Kirchen-
fcinde mehr, sondern eine wirkliche aggressiv fortschreitende Macht; ihre haupt¬
sächlichsten Träger seien die Jesnitenzöglinge, die sich von Jahr zu Jahr
zahlreicher in den dentschen Klerus einnisteten. „Das also — ruft er nach


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[0602] A»r Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus geschlagen habe, zu heilen und seine beiden konfessionell getrennten Hälften dereinst wiederum in höherer Einheit zu versöhnen. Leider fehle es nicht bloß bei den Protestanten, sondern auch bei den Katholiken vielfach um dein guten Willen zur Versöhnung. Döllinger sagt es nicht ausdrücklich, aber er giebt es zu verstehen, daß das Hindernis bei der orthodoxen Richtung liege, die sich der rein wissenschaftlichen gegenüberstelle. Er betont zwar so stark wie möglich seine eigne Rechtglünbigkeit und die Notwendigkeit der kirchlichen Autorität in Glaubenssachen, erklärt aber andrerseits, der Wissenschaft, auch der theolo¬ gischen, sei die Freiheit so unentbehrlich wie den lebenden Wesen die Luft, „und wenn es Theologen giebt, die ihren Fachgenossen diese Lebenslust uuter dein Vorwande der Gefahr für das Dogma entziehen wollen, so ist dies ein kurzsichtiges und selbstmörderisches Beginnen." Gegen wissenschaftliche Fehler und Verirrungen dürften nur gleichartige Mittel, also wissenschaftliche Wider¬ legungen und nicht kirchliche Censuren angewendet werden. Er hätte einen durchschlagenden Erfolg, wenn auch nicht einen Erfolg in seinem Sinne, er¬ zielen können, wenn er es gerade herausgesagt Hütte, daß sich damals einige deutsche Professoren der Theologie das Denunziantentum zum Lebensberuf erwählt hatten, ihre Kollegen ansspionirten, was sie an „ketzerischen" Be¬ hauptungen in deren Büchern und Vortrügen aufzustöbern vermochtet!, uach Rom berichteten und die Verurteilung der Delinquenten mit fanatischem Eifer betrieben. Aber er begnügte sich mit der schwächlichen Schlußmnhuung: „Möge den» jeder von uns, wenn die Versuchung ihn anwandelt, über wirkliche oder vermeintliche Irrtümer eines Fachgenossen scharfes Gericht zu halten oder gar die Orthodoxie eines Buches und seines Verfassers zu verdächtigen, eingedenk sein der Worte" (folgen einige Verse aus Dante). Döllinger hatte uoch in der Sitzung selbst Gelegenheit, sich von der UnHaltbarkeit seiner Stellung und von der Unmöglichkeit eiuer katholischen Theologie, wie er sie sich träumte, zu überzeuge,?. Die anwesenden Roma¬ nisten ließen ihm keinen Zweifel daran, daß sich Rom und die deutsche Wissen¬ schaft ungefähr ebenso gut vertrllgeu wie Feuer und Wasser. Der Papst nahm deu Segen zurück, deu er der Versammlung gespendet hatte, und machte durch ein Breve die Wiederholung solcher Befreiungsversuche unmöglich. Das förderte denn unsern Döllinger rasch ein gutes Stück, und in der zwei Jahre darauf verfaßten Denkschrift über die Speierische Seminarfrage (der Bischof von Speier wollte die Lehrerstellen an seinem Priesterseminar ohne Mitwir¬ kung der Regierung besetzen) und über deu Syllnbus führt er schon so ziemlich die Sprache des Janus. Die Lage des katholischen Deutschlands Rom gegen¬ über habe sich geändert, der Ultramontanismus sei keine Erdichtung der Kirchen- fcinde mehr, sondern eine wirkliche aggressiv fortschreitende Macht; ihre haupt¬ sächlichsten Träger seien die Jesnitenzöglinge, die sich von Jahr zu Jahr zahlreicher in den dentschen Klerus einnisteten. „Das also — ruft er nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/602>, abgerufen am 26.08.2024.