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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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als ein Gewinn und großartiger Fortschritt dein: als eine Schädigung sich
erwiesen hat. Hatte man vorher befürchten müssen, daß die von der Geschichte
nicht erleuchtete und belebte Wissenschaft allmählich zu einem Cenotaphium
werde, das uur Totengebeine, nur abgestorbne Formeln in sich berge, so
wurden nun gleichzeitig die Quellen des historischen Wissens erschlossen, die
Prinzipien und Mittel historischer Forschung erkannt und geübt." Die
spanische Inquisition hatte er 1849 ein Institut genannt, "dessen sich die
Könige zu politischen Zwecken, nicht ohne den Widerspruch und die Reklama¬
tionen der Päpste bedienten," wobei er, augenscheinlich in Verlegenheit, ein
wenig jesuitisch deu Leser im Zweifel läßt, ob der Widerspruch der Päpste
dem Institut selbst oder nur seiner Verwendung für die Zwecke des König¬
tums gegolten habe. Jetzt räumt er schon ein, daß jenes Institut der Hier¬
archie unter andern dazu gedient habe, die Wissenschaft zu vernichten. Er be¬
zeichnet die scholastische Nachblute in den Werken des Suarez und seiner
Zeitgenossen als "das letzte Aufflackern einer bereits erlöschenden Lampe, und
darauf folgt Nacht und Dunkel, denn uun ging in Spanien die Wissenschaft
nu der Inquisition zu Grunde, um dort bis jetzt nicht wieder aufzuleben."
Zum Beweise für diese Behauptung verweist er auf deu luclvx lidroruw
xrolübiwrum für Spanien. "Man lese die Regeln, vergleiche den als prak¬
tischen Kommentar dazu dienenden Index, und man wird erkennen, daß unter
der Herrschaft dieses Systems einer wissenschaftlichen Theologie, Exegese/
Philosophie. Geschichte geradeso fortzuleben möglich war, als es einem Vogel
möglich ist, unter einer Glasglocke zu lebe", aus der mau die Luft gepumpt
hat. Mau konnte in Spanien nicht nur kein wissenschaftliches Werk mehr
schreiben, ohne der Inquisition zu verfallen, man konnte nicht einmal die einem
Gelehrten unentbehrlichen litterarische" Hilfsmittel besitzen." Was dann die
Gegenwart anlangt, so charakterisirt er das italienische Priestertum durch die
Thatsache, daß die einzigen wissenschaftlich bedeutenden Männer, die es in
diesem Jahrhundert auszuweisen habe (Nvsmini, Gioberti. Ventura und
Passaglia), alle vier der römischen Censur verfallen seien. Über Deutschland
drückt er sich zwar sehr vorsichtig, aber deutlich genug aus. Der Leuchter
der theologische" Wissenschaft sei von seinen frühern Stellen weggerückt (auch
in Frmikreich sei das Licht erloschen), und die Reihe sei endlich a" Deutsch¬
land gekommen. "Nicht die Mittagshöhe einer vollständig ausgebildeten und
gereiften Theologie nehme ich für Deutschland in Anspruch, sondern nur die
Morgenröte einer zu neuer, großartiger Entwicklung fortschreitenden Theologie.
Das Charisma der wissenschaftlichen Schärfe und Gründlichkeit, der rastlosen,
in die Tiefe dringenden Forschung und der beharrlichen Geistesarbeit ist uus
Deutschen einmal gegeben; mit diesem Pfunde nicht wuchern zu "vollen, wäre
sträfliche Versäumnis." Zumal da der deutschen Theologie die erhabne Auf¬
gabe obliege, die Wunden, die sie unserm Volke vor vierthalb Jahrhunderten


Grenzboten III 1891 ^

als ein Gewinn und großartiger Fortschritt dein: als eine Schädigung sich
erwiesen hat. Hatte man vorher befürchten müssen, daß die von der Geschichte
nicht erleuchtete und belebte Wissenschaft allmählich zu einem Cenotaphium
werde, das uur Totengebeine, nur abgestorbne Formeln in sich berge, so
wurden nun gleichzeitig die Quellen des historischen Wissens erschlossen, die
Prinzipien und Mittel historischer Forschung erkannt und geübt." Die
spanische Inquisition hatte er 1849 ein Institut genannt, „dessen sich die
Könige zu politischen Zwecken, nicht ohne den Widerspruch und die Reklama¬
tionen der Päpste bedienten," wobei er, augenscheinlich in Verlegenheit, ein
wenig jesuitisch deu Leser im Zweifel läßt, ob der Widerspruch der Päpste
dem Institut selbst oder nur seiner Verwendung für die Zwecke des König¬
tums gegolten habe. Jetzt räumt er schon ein, daß jenes Institut der Hier¬
archie unter andern dazu gedient habe, die Wissenschaft zu vernichten. Er be¬
zeichnet die scholastische Nachblute in den Werken des Suarez und seiner
Zeitgenossen als „das letzte Aufflackern einer bereits erlöschenden Lampe, und
darauf folgt Nacht und Dunkel, denn uun ging in Spanien die Wissenschaft
nu der Inquisition zu Grunde, um dort bis jetzt nicht wieder aufzuleben."
Zum Beweise für diese Behauptung verweist er auf deu luclvx lidroruw
xrolübiwrum für Spanien. „Man lese die Regeln, vergleiche den als prak¬
tischen Kommentar dazu dienenden Index, und man wird erkennen, daß unter
der Herrschaft dieses Systems einer wissenschaftlichen Theologie, Exegese/
Philosophie. Geschichte geradeso fortzuleben möglich war, als es einem Vogel
möglich ist, unter einer Glasglocke zu lebe», aus der mau die Luft gepumpt
hat. Mau konnte in Spanien nicht nur kein wissenschaftliches Werk mehr
schreiben, ohne der Inquisition zu verfallen, man konnte nicht einmal die einem
Gelehrten unentbehrlichen litterarische» Hilfsmittel besitzen." Was dann die
Gegenwart anlangt, so charakterisirt er das italienische Priestertum durch die
Thatsache, daß die einzigen wissenschaftlich bedeutenden Männer, die es in
diesem Jahrhundert auszuweisen habe (Nvsmini, Gioberti. Ventura und
Passaglia), alle vier der römischen Censur verfallen seien. Über Deutschland
drückt er sich zwar sehr vorsichtig, aber deutlich genug aus. Der Leuchter
der theologische» Wissenschaft sei von seinen frühern Stellen weggerückt (auch
in Frmikreich sei das Licht erloschen), und die Reihe sei endlich a» Deutsch¬
land gekommen. „Nicht die Mittagshöhe einer vollständig ausgebildeten und
gereiften Theologie nehme ich für Deutschland in Anspruch, sondern nur die
Morgenröte einer zu neuer, großartiger Entwicklung fortschreitenden Theologie.
Das Charisma der wissenschaftlichen Schärfe und Gründlichkeit, der rastlosen,
in die Tiefe dringenden Forschung und der beharrlichen Geistesarbeit ist uus
Deutschen einmal gegeben; mit diesem Pfunde nicht wuchern zu »vollen, wäre
sträfliche Versäumnis." Zumal da der deutschen Theologie die erhabne Auf¬
gabe obliege, die Wunden, die sie unserm Volke vor vierthalb Jahrhunderten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/601>, abgerufen am 26.08.2024.