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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur sozialen Frage

für den, der es nötig hat und es entbehren muß, ein unschätzbares Gut. Der
Arbeitskraft ist Leitung und Kapital unentbehrlich und eben deshalb auch von
unschätzbarem Werte, und mag die Arbeitskraft dnrch Vereinigung noch so sehr
gesteigert werden, so gewinnt sie doch dadurch diese unschätzbaren Mittel nicht.

Bei dieser Lage der Dinge ergiebt sich die Lösung der Differenz von selbst.
Das, was sich nicht entbehren kann, was gegenseitig auf einander angewiesen
ist, muß sich gesellschaftlich oder nach moderner Bezeichnung genossenschaftlich
vereinigen. Über den Zusammenschluß der Kräfte darf nicht das scheinbar
Nächstliegende Interesse entscheiden, sondern der richtig erkannte wahre und
wirkliche Nutzen. Kapital und Unternehmertum (wir können bei dieser Unter¬
suchung künftig beides unter "Kapital" zusammenfassen) fühlen sich verletzt
und gestoßen durch die Ansprüche der Arbeitskraft, die Arbeitskraft steht mit
Neid und Erbitterung auf die bessere Stellung des Kapitals; die Trennung
beider Teile von einander wird immer schroffer, die gegenüberstehenden Parteien
schließen sich immer fester zusammen, und Krieg und Feindschaft herrschen da,
wo doch uur Zusammenwirken und Friede zum Ziele führen kann. Die Arbeits¬
kraft will von den Gütern dieser Welt einen großem Anteil haben; das Kapital
glaubt ihn ohne eigne Einbuße nicht gewähren zu können. Die Arbeitskraft
verzweifelt daran, dnrch Vereinbarung ihren Willen zu erreichen und kommt
zu utopistischen Ideen über die Umgestaltung der menschlichen Gesellschaft;
das Kapital rüstet sich zum Kampfe für die alte gesellschaftliche Ordnung.

Kapital und Arbeitskraft sollen sich also mit einander verbinden; sie sollen,
was sie besitzen und was zur Produktion erforderlich ist, in eine Gemeinschaft
einschießen, der Unternehmer Geschäftskunde, der Kapitalist Kapital und die
Arbeiter Arbeitskraft, und zwar zur Erreichung eines gemeinschaftlichen Zweckes,
eines möglichst hohen Ertrages. Wo die Zusammenlegung des Gleichartigen
nicht zum Ziele führen kann, soll die Zusammenlegung des Ungleichartigen,
das sich gegenseitig ergänzt, an die Stelle treten. Und dann soll das Kapital
der Arbeit einräumen, was ihr gebührt, und die Arbeit ebenso dem Kapital.

Große Veränderungen aus politischem und wirtschaftlichem Gebiete voll¬
ziehen sich nur unter dem Druck der Notwendigkeit. Menschenliebe und
Brüderlichkeit wird zwar vom Christentum geboten, auf deu Kanzeln empfohlen,
aber sie bestimmen nur zur Wohlthätigkeit im Einzelfall, nicht zu einem Wechsel
des Systems. Selbst hervorragende Maßregeln, wie die in Deutschland ein¬
geführten Versicherungsgesetze, haben mehr politische als christliche Zwecke im
Auge gehabt. Aus christlicher Gesinnung wird das Kapital der Arbeitskraft
niemals eine bessere Stellung einräumen; sobald aber die Vertreter des Kapi¬
tals zu der Überzeugung gelangen würden, entweder, daß es keinen andern
Weg giebt, das Kapital zu retten, oder daß die jetzigen Zustände unerträg¬
lich sind, oder endlich, daß sie durch Zugeständnisse ihre eigne Lage ver¬
bessern können, wird die erforderliche Änderung vorgenommen werden. Manche


Zur sozialen Frage

für den, der es nötig hat und es entbehren muß, ein unschätzbares Gut. Der
Arbeitskraft ist Leitung und Kapital unentbehrlich und eben deshalb auch von
unschätzbarem Werte, und mag die Arbeitskraft dnrch Vereinigung noch so sehr
gesteigert werden, so gewinnt sie doch dadurch diese unschätzbaren Mittel nicht.

Bei dieser Lage der Dinge ergiebt sich die Lösung der Differenz von selbst.
Das, was sich nicht entbehren kann, was gegenseitig auf einander angewiesen
ist, muß sich gesellschaftlich oder nach moderner Bezeichnung genossenschaftlich
vereinigen. Über den Zusammenschluß der Kräfte darf nicht das scheinbar
Nächstliegende Interesse entscheiden, sondern der richtig erkannte wahre und
wirkliche Nutzen. Kapital und Unternehmertum (wir können bei dieser Unter¬
suchung künftig beides unter „Kapital" zusammenfassen) fühlen sich verletzt
und gestoßen durch die Ansprüche der Arbeitskraft, die Arbeitskraft steht mit
Neid und Erbitterung auf die bessere Stellung des Kapitals; die Trennung
beider Teile von einander wird immer schroffer, die gegenüberstehenden Parteien
schließen sich immer fester zusammen, und Krieg und Feindschaft herrschen da,
wo doch uur Zusammenwirken und Friede zum Ziele führen kann. Die Arbeits¬
kraft will von den Gütern dieser Welt einen großem Anteil haben; das Kapital
glaubt ihn ohne eigne Einbuße nicht gewähren zu können. Die Arbeitskraft
verzweifelt daran, dnrch Vereinbarung ihren Willen zu erreichen und kommt
zu utopistischen Ideen über die Umgestaltung der menschlichen Gesellschaft;
das Kapital rüstet sich zum Kampfe für die alte gesellschaftliche Ordnung.

Kapital und Arbeitskraft sollen sich also mit einander verbinden; sie sollen,
was sie besitzen und was zur Produktion erforderlich ist, in eine Gemeinschaft
einschießen, der Unternehmer Geschäftskunde, der Kapitalist Kapital und die
Arbeiter Arbeitskraft, und zwar zur Erreichung eines gemeinschaftlichen Zweckes,
eines möglichst hohen Ertrages. Wo die Zusammenlegung des Gleichartigen
nicht zum Ziele führen kann, soll die Zusammenlegung des Ungleichartigen,
das sich gegenseitig ergänzt, an die Stelle treten. Und dann soll das Kapital
der Arbeit einräumen, was ihr gebührt, und die Arbeit ebenso dem Kapital.

Große Veränderungen aus politischem und wirtschaftlichem Gebiete voll¬
ziehen sich nur unter dem Druck der Notwendigkeit. Menschenliebe und
Brüderlichkeit wird zwar vom Christentum geboten, auf deu Kanzeln empfohlen,
aber sie bestimmen nur zur Wohlthätigkeit im Einzelfall, nicht zu einem Wechsel
des Systems. Selbst hervorragende Maßregeln, wie die in Deutschland ein¬
geführten Versicherungsgesetze, haben mehr politische als christliche Zwecke im
Auge gehabt. Aus christlicher Gesinnung wird das Kapital der Arbeitskraft
niemals eine bessere Stellung einräumen; sobald aber die Vertreter des Kapi¬
tals zu der Überzeugung gelangen würden, entweder, daß es keinen andern
Weg giebt, das Kapital zu retten, oder daß die jetzigen Zustände unerträg¬
lich sind, oder endlich, daß sie durch Zugeständnisse ihre eigne Lage ver¬
bessern können, wird die erforderliche Änderung vorgenommen werden. Manche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/562>, abgerufen am 26.08.2024.