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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

Feldbriese von Georg Heinrich Rindfleisch. 1870/71. Herausgegeben von Eduard
Ornold, Dritte Auflage. Göttingen, Vaudenhoeck und Ruprecht, 183l

Dieses vortreffliche Buch Hütten wir unsern Lesern schon längst empfehlen
sollen. Wir benutzen nun das Erscheinen einer dritten Anfluge dazu. Rindfleisch,
der im Jcchre 1883 als Uuterslaatssekretär starb, war Gerichtsrat in Celle, als der
deutsch-französische Krieg ausbrach. Er wurde als Sekondeleutnant der Landwehr
dem 56. Regiment zugeteilt und machte die Unternehmungen des zehnten Korps
mit, insbesondre die Belagerung von Metz und die Kämpfe an der Loire. Die
vorliegenden Briefe aus Frankreich Hot er an seine Frau geschrieben, sicher ohne
daran zu denken, daß sie nach seinem Tode veröffentlicht werdeu könnten. Daher
die Natürlichkeit nud Ungezwungenheit der Schilderungen, die Fülle von Persön¬
lichen Bemerkungen und interessanten Abschweifungen, die überall einen so fein¬
gebildeten Geist, einen so edeln Charakter, ein so tief angelegtes Gemüt und eine so
unerschütterliche Patriotische Gesinnung offenbaren, daß jeder Leser den Mann lieb¬
gewinnen muß. Man hat diese Briefe des preußischen Landwehrosfiziers den
Briefen von Gneisenau und Klausewitz aus deu Befreiungskriegen an die Seite
gestellt, und das mit vollem Rechte, denn in ihnen sprudelt eine ungetrübte Quelle,
aus der spätere Geschichtschreiber am deutlichsten den Geist kennen lernen werden,
der den gebildeten Deutschen in jener ruhmvollen Zeit beherrschte. Nach allen
Qualen, Entbehrungen und Strapazen des Feldzuges bricht bei ihm doch immer
der fröhliche Gedanke hindurch: Welches Glück, daß mau berufen gewesen ist, diese
Zeit mitfühlend, mitschaffend, anleitend mitzuerleben! Ein ehrlicher Haß gegen
Frankreich geht durch alle Briefe und zeigt sich um so stärker, je weiter er in das
Land eindringt und je naher er mit dem Charakter des französischen Bvlkes be¬
kannt wird. Die Verrohung des Gemüts, die der Krieg mit sich zu bringen pflegt,
hat auf ihn keine" Einfluß ausgeübt; wie einfach und rührend teilt er z. B. seiner
Frau den Tod seines sehr anhänglichen jüdischen Burschen Löwenstein mit: Ich
schrieb dir schon neulich, daß mir damals auch mein guter Löwenstein erschossen
worden ist. Er bekam erst einen Schuß in den Mund, schien aber noch Bewußt
sein zu haben, denn er streckte die Hand wie flehend nach mir aus. Ich gab ihm
die Hand und legte ihn eben still auf die Erde, weil ich sah, daß er zu Tode
getroffen war -- da traf ihn ein zweiter Schuß gerade zwischen die Augen, und
nun rutschte er lautlos in sich zusammen. Meine liebe Tilla, das sind eruste und
schwere Bilder! Der arme Kerl hätte seine Pflicht so gern mit Dienstleistungen
aller Art gethan, nnr das eigentliche Fechten war gewiß seine schwächste Seite;
dennoch legte er sich so still und resignirt neben mich nieder und schoß, wie ich
ihn anwies, ruhig und pflichtgetreu, bis ihn der Tod ereilte. Als wir am andern
Tage ans der Chaussee nu der Knmpfstätte vorüber zogen und die Nußbnumkrvueii
aus dem Abendnebel so wehmütig herübersahen. hätte es mir fast das Herz ab¬
drücken mögen, so weh that mir der arme Mensch, der dort die fremde Erde mit
seinem Blute färbte.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Feldbriese von Georg Heinrich Rindfleisch. 1870/71. Herausgegeben von Eduard
Ornold, Dritte Auflage. Göttingen, Vaudenhoeck und Ruprecht, 183l

Dieses vortreffliche Buch Hütten wir unsern Lesern schon längst empfehlen
sollen. Wir benutzen nun das Erscheinen einer dritten Anfluge dazu. Rindfleisch,
der im Jcchre 1883 als Uuterslaatssekretär starb, war Gerichtsrat in Celle, als der
deutsch-französische Krieg ausbrach. Er wurde als Sekondeleutnant der Landwehr
dem 56. Regiment zugeteilt und machte die Unternehmungen des zehnten Korps
mit, insbesondre die Belagerung von Metz und die Kämpfe an der Loire. Die
vorliegenden Briefe aus Frankreich Hot er an seine Frau geschrieben, sicher ohne
daran zu denken, daß sie nach seinem Tode veröffentlicht werdeu könnten. Daher
die Natürlichkeit nud Ungezwungenheit der Schilderungen, die Fülle von Persön¬
lichen Bemerkungen und interessanten Abschweifungen, die überall einen so fein¬
gebildeten Geist, einen so edeln Charakter, ein so tief angelegtes Gemüt und eine so
unerschütterliche Patriotische Gesinnung offenbaren, daß jeder Leser den Mann lieb¬
gewinnen muß. Man hat diese Briefe des preußischen Landwehrosfiziers den
Briefen von Gneisenau und Klausewitz aus deu Befreiungskriegen an die Seite
gestellt, und das mit vollem Rechte, denn in ihnen sprudelt eine ungetrübte Quelle,
aus der spätere Geschichtschreiber am deutlichsten den Geist kennen lernen werden,
der den gebildeten Deutschen in jener ruhmvollen Zeit beherrschte. Nach allen
Qualen, Entbehrungen und Strapazen des Feldzuges bricht bei ihm doch immer
der fröhliche Gedanke hindurch: Welches Glück, daß mau berufen gewesen ist, diese
Zeit mitfühlend, mitschaffend, anleitend mitzuerleben! Ein ehrlicher Haß gegen
Frankreich geht durch alle Briefe und zeigt sich um so stärker, je weiter er in das
Land eindringt und je naher er mit dem Charakter des französischen Bvlkes be¬
kannt wird. Die Verrohung des Gemüts, die der Krieg mit sich zu bringen pflegt,
hat auf ihn keine» Einfluß ausgeübt; wie einfach und rührend teilt er z. B. seiner
Frau den Tod seines sehr anhänglichen jüdischen Burschen Löwenstein mit: Ich
schrieb dir schon neulich, daß mir damals auch mein guter Löwenstein erschossen
worden ist. Er bekam erst einen Schuß in den Mund, schien aber noch Bewußt
sein zu haben, denn er streckte die Hand wie flehend nach mir aus. Ich gab ihm
die Hand und legte ihn eben still auf die Erde, weil ich sah, daß er zu Tode
getroffen war — da traf ihn ein zweiter Schuß gerade zwischen die Augen, und
nun rutschte er lautlos in sich zusammen. Meine liebe Tilla, das sind eruste und
schwere Bilder! Der arme Kerl hätte seine Pflicht so gern mit Dienstleistungen
aller Art gethan, nnr das eigentliche Fechten war gewiß seine schwächste Seite;
dennoch legte er sich so still und resignirt neben mich nieder und schoß, wie ich
ihn anwies, ruhig und pflichtgetreu, bis ihn der Tod ereilte. Als wir am andern
Tage ans der Chaussee nu der Knmpfstätte vorüber zogen und die Nußbnumkrvueii
aus dem Abendnebel so wehmütig herübersahen. hätte es mir fast das Herz ab¬
drücken mögen, so weh that mir der arme Mensch, der dort die fremde Erde mit
seinem Blute färbte.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0056] Litteratur Feldbriese von Georg Heinrich Rindfleisch. 1870/71. Herausgegeben von Eduard Ornold, Dritte Auflage. Göttingen, Vaudenhoeck und Ruprecht, 183l Dieses vortreffliche Buch Hütten wir unsern Lesern schon längst empfehlen sollen. Wir benutzen nun das Erscheinen einer dritten Anfluge dazu. Rindfleisch, der im Jcchre 1883 als Uuterslaatssekretär starb, war Gerichtsrat in Celle, als der deutsch-französische Krieg ausbrach. Er wurde als Sekondeleutnant der Landwehr dem 56. Regiment zugeteilt und machte die Unternehmungen des zehnten Korps mit, insbesondre die Belagerung von Metz und die Kämpfe an der Loire. Die vorliegenden Briefe aus Frankreich Hot er an seine Frau geschrieben, sicher ohne daran zu denken, daß sie nach seinem Tode veröffentlicht werdeu könnten. Daher die Natürlichkeit nud Ungezwungenheit der Schilderungen, die Fülle von Persön¬ lichen Bemerkungen und interessanten Abschweifungen, die überall einen so fein¬ gebildeten Geist, einen so edeln Charakter, ein so tief angelegtes Gemüt und eine so unerschütterliche Patriotische Gesinnung offenbaren, daß jeder Leser den Mann lieb¬ gewinnen muß. Man hat diese Briefe des preußischen Landwehrosfiziers den Briefen von Gneisenau und Klausewitz aus deu Befreiungskriegen an die Seite gestellt, und das mit vollem Rechte, denn in ihnen sprudelt eine ungetrübte Quelle, aus der spätere Geschichtschreiber am deutlichsten den Geist kennen lernen werden, der den gebildeten Deutschen in jener ruhmvollen Zeit beherrschte. Nach allen Qualen, Entbehrungen und Strapazen des Feldzuges bricht bei ihm doch immer der fröhliche Gedanke hindurch: Welches Glück, daß mau berufen gewesen ist, diese Zeit mitfühlend, mitschaffend, anleitend mitzuerleben! Ein ehrlicher Haß gegen Frankreich geht durch alle Briefe und zeigt sich um so stärker, je weiter er in das Land eindringt und je naher er mit dem Charakter des französischen Bvlkes be¬ kannt wird. Die Verrohung des Gemüts, die der Krieg mit sich zu bringen pflegt, hat auf ihn keine» Einfluß ausgeübt; wie einfach und rührend teilt er z. B. seiner Frau den Tod seines sehr anhänglichen jüdischen Burschen Löwenstein mit: Ich schrieb dir schon neulich, daß mir damals auch mein guter Löwenstein erschossen worden ist. Er bekam erst einen Schuß in den Mund, schien aber noch Bewußt sein zu haben, denn er streckte die Hand wie flehend nach mir aus. Ich gab ihm die Hand und legte ihn eben still auf die Erde, weil ich sah, daß er zu Tode getroffen war — da traf ihn ein zweiter Schuß gerade zwischen die Augen, und nun rutschte er lautlos in sich zusammen. Meine liebe Tilla, das sind eruste und schwere Bilder! Der arme Kerl hätte seine Pflicht so gern mit Dienstleistungen aller Art gethan, nnr das eigentliche Fechten war gewiß seine schwächste Seite; dennoch legte er sich so still und resignirt neben mich nieder und schoß, wie ich ihn anwies, ruhig und pflichtgetreu, bis ihn der Tod ereilte. Als wir am andern Tage ans der Chaussee nu der Knmpfstätte vorüber zogen und die Nußbnumkrvueii aus dem Abendnebel so wehmütig herübersahen. hätte es mir fast das Herz ab¬ drücken mögen, so weh that mir der arme Mensch, der dort die fremde Erde mit seinem Blute färbte. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/56>, abgerufen am 13.11.2024.