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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Richterstand und die öffentliche Meinung

in irgend einem kleinen Landstädtchen erlangt hat, was hat er erreicht?
Durch die fortwährenden Klagerufe der Philologen über Zurücksetzung gegen¬
über den Richtern hat sich in der öffentlichen Meinung der Eindruck festgesetzt,
als ob der Richter eine Bevorzugung ohnegleichen gegenüber andern eben¬
bürtigen Berufsstäuden, namentlich gegenüber den Lehrern genösse. Es soll
hier keineswegs berechtigten Ansprüchen der Lehrer entgegengetreten werden,
aber die Gerechtigkeit erfordert doch, daß erst die Wage richtig eingestellt
werde, ehe man zu wägen beginnt. Das ist jedoch gerade in dieser Angelegen¬
heit häufig nicht der Fall. Zum Beweis uur ein Beispiel: Vor kurzem hat
ein Lehrer in einem Fachblatt eine Zusammenstellung veröffentlicht (von wo
ans sie dann in die Tagesblntter überging), mit der bewiesen werden sollte,
daß der Richter in Preußen bei gleichem Dienstalter einen weit höhern Gehalt
beziehe, als der Lehrer. Obgleich die Zusammenstellung sofort als unrichtig
angefochten wurde, hielt sie der Verfasser doch aufrecht, und die Möglichkeit
einer Widerlegung wurde abgeschnitten, da die Schristleitung des Blattes die
Erörterung der Sache schloß. Und doch war jene Zusammenstellung unrichtig
gewesen, sie beruhte auf einer völlig willkürlichen Grundlage: die Dienstzeit
der Lehrer war von dem Beginn des Probejahres, also dem Eintritt in den
Staatsdienst, die der Richter dagegen erst von dem Assessorexamen an berechnet,
ohne jede Berücksichtigung der Referendarzeit, die doch unter Einrechnung der
durch das zweite Examen erforderten Wartezeit in Preußen mindestens 4^
bis 4^ Jahre beträgt. Wenn nun auch das philologische Studium in der
Regel ein Jahr mehr beansprucht als das juristische, und die Staatsprüfung
einige Monate mehr als das Referendarexamen, so gestattet dies doch immer
noch nicht mit diesen vielleicht Jahren ans der einen Seite die Jahre
auf der andern Seite einfach auszugleichen.

Auch sonstige Vorteile ihrer Stellung gegenüber den Richtern werden
von den philologischen Wortführern weislich verschwiegen. Eine staatliche
oder städtische höhere Lehranstalt giebt es doch nnr an einem Orte, der auch
Gelegenheit zu geistiger Anregung bietet, sie bildet selbst schon durch die an
ihr wirkenden Genossen einen Mittelpunkt geistigen Lebens mit der Möglich¬
keit gegenseitiger Anregung und Fortbildung, einer Möglichkeit, die der Richter
auf dem Lande, und am meisten natürlich gerade der geistig lebhafte, schmerz¬
lich entbehrt. Ihm steht keine wissenschaftliche Bibliothek zu Gebote, wie sie
selbst die kleinsten Schulanstalten besitzen. Er ist für seine geistige Weiter¬
bildung aus sich allein angewiesen, und er kann froh sein, wenn er vielleicht
in dem Pfarrer oder in dem Arzt, die am Orte wohnen, einigermaßen geistig
gleichgeartete Persönlichkeiten antrifft. Und es bleibt nicht bei diesen: ideellen
Nachteil, auch materiell macht sich dieser bemerklich. Von den über elfhundert
Orten, die in Preußen Sitze von Amtsgerichten sind, haben noch nicht !!l>0,
also noch nicht ein Drittel, eine höhere Lehranstalt, d. h. eine Anstalt außer


Der Richterstand und die öffentliche Meinung

in irgend einem kleinen Landstädtchen erlangt hat, was hat er erreicht?
Durch die fortwährenden Klagerufe der Philologen über Zurücksetzung gegen¬
über den Richtern hat sich in der öffentlichen Meinung der Eindruck festgesetzt,
als ob der Richter eine Bevorzugung ohnegleichen gegenüber andern eben¬
bürtigen Berufsstäuden, namentlich gegenüber den Lehrern genösse. Es soll
hier keineswegs berechtigten Ansprüchen der Lehrer entgegengetreten werden,
aber die Gerechtigkeit erfordert doch, daß erst die Wage richtig eingestellt
werde, ehe man zu wägen beginnt. Das ist jedoch gerade in dieser Angelegen¬
heit häufig nicht der Fall. Zum Beweis uur ein Beispiel: Vor kurzem hat
ein Lehrer in einem Fachblatt eine Zusammenstellung veröffentlicht (von wo
ans sie dann in die Tagesblntter überging), mit der bewiesen werden sollte,
daß der Richter in Preußen bei gleichem Dienstalter einen weit höhern Gehalt
beziehe, als der Lehrer. Obgleich die Zusammenstellung sofort als unrichtig
angefochten wurde, hielt sie der Verfasser doch aufrecht, und die Möglichkeit
einer Widerlegung wurde abgeschnitten, da die Schristleitung des Blattes die
Erörterung der Sache schloß. Und doch war jene Zusammenstellung unrichtig
gewesen, sie beruhte auf einer völlig willkürlichen Grundlage: die Dienstzeit
der Lehrer war von dem Beginn des Probejahres, also dem Eintritt in den
Staatsdienst, die der Richter dagegen erst von dem Assessorexamen an berechnet,
ohne jede Berücksichtigung der Referendarzeit, die doch unter Einrechnung der
durch das zweite Examen erforderten Wartezeit in Preußen mindestens 4^
bis 4^ Jahre beträgt. Wenn nun auch das philologische Studium in der
Regel ein Jahr mehr beansprucht als das juristische, und die Staatsprüfung
einige Monate mehr als das Referendarexamen, so gestattet dies doch immer
noch nicht mit diesen vielleicht Jahren ans der einen Seite die Jahre
auf der andern Seite einfach auszugleichen.

Auch sonstige Vorteile ihrer Stellung gegenüber den Richtern werden
von den philologischen Wortführern weislich verschwiegen. Eine staatliche
oder städtische höhere Lehranstalt giebt es doch nnr an einem Orte, der auch
Gelegenheit zu geistiger Anregung bietet, sie bildet selbst schon durch die an
ihr wirkenden Genossen einen Mittelpunkt geistigen Lebens mit der Möglich¬
keit gegenseitiger Anregung und Fortbildung, einer Möglichkeit, die der Richter
auf dem Lande, und am meisten natürlich gerade der geistig lebhafte, schmerz¬
lich entbehrt. Ihm steht keine wissenschaftliche Bibliothek zu Gebote, wie sie
selbst die kleinsten Schulanstalten besitzen. Er ist für seine geistige Weiter¬
bildung aus sich allein angewiesen, und er kann froh sein, wenn er vielleicht
in dem Pfarrer oder in dem Arzt, die am Orte wohnen, einigermaßen geistig
gleichgeartete Persönlichkeiten antrifft. Und es bleibt nicht bei diesen: ideellen
Nachteil, auch materiell macht sich dieser bemerklich. Von den über elfhundert
Orten, die in Preußen Sitze von Amtsgerichten sind, haben noch nicht !!l>0,
also noch nicht ein Drittel, eine höhere Lehranstalt, d. h. eine Anstalt außer


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[0554] Der Richterstand und die öffentliche Meinung in irgend einem kleinen Landstädtchen erlangt hat, was hat er erreicht? Durch die fortwährenden Klagerufe der Philologen über Zurücksetzung gegen¬ über den Richtern hat sich in der öffentlichen Meinung der Eindruck festgesetzt, als ob der Richter eine Bevorzugung ohnegleichen gegenüber andern eben¬ bürtigen Berufsstäuden, namentlich gegenüber den Lehrern genösse. Es soll hier keineswegs berechtigten Ansprüchen der Lehrer entgegengetreten werden, aber die Gerechtigkeit erfordert doch, daß erst die Wage richtig eingestellt werde, ehe man zu wägen beginnt. Das ist jedoch gerade in dieser Angelegen¬ heit häufig nicht der Fall. Zum Beweis uur ein Beispiel: Vor kurzem hat ein Lehrer in einem Fachblatt eine Zusammenstellung veröffentlicht (von wo ans sie dann in die Tagesblntter überging), mit der bewiesen werden sollte, daß der Richter in Preußen bei gleichem Dienstalter einen weit höhern Gehalt beziehe, als der Lehrer. Obgleich die Zusammenstellung sofort als unrichtig angefochten wurde, hielt sie der Verfasser doch aufrecht, und die Möglichkeit einer Widerlegung wurde abgeschnitten, da die Schristleitung des Blattes die Erörterung der Sache schloß. Und doch war jene Zusammenstellung unrichtig gewesen, sie beruhte auf einer völlig willkürlichen Grundlage: die Dienstzeit der Lehrer war von dem Beginn des Probejahres, also dem Eintritt in den Staatsdienst, die der Richter dagegen erst von dem Assessorexamen an berechnet, ohne jede Berücksichtigung der Referendarzeit, die doch unter Einrechnung der durch das zweite Examen erforderten Wartezeit in Preußen mindestens 4^ bis 4^ Jahre beträgt. Wenn nun auch das philologische Studium in der Regel ein Jahr mehr beansprucht als das juristische, und die Staatsprüfung einige Monate mehr als das Referendarexamen, so gestattet dies doch immer noch nicht mit diesen vielleicht Jahren ans der einen Seite die Jahre auf der andern Seite einfach auszugleichen. Auch sonstige Vorteile ihrer Stellung gegenüber den Richtern werden von den philologischen Wortführern weislich verschwiegen. Eine staatliche oder städtische höhere Lehranstalt giebt es doch nnr an einem Orte, der auch Gelegenheit zu geistiger Anregung bietet, sie bildet selbst schon durch die an ihr wirkenden Genossen einen Mittelpunkt geistigen Lebens mit der Möglich¬ keit gegenseitiger Anregung und Fortbildung, einer Möglichkeit, die der Richter auf dem Lande, und am meisten natürlich gerade der geistig lebhafte, schmerz¬ lich entbehrt. Ihm steht keine wissenschaftliche Bibliothek zu Gebote, wie sie selbst die kleinsten Schulanstalten besitzen. Er ist für seine geistige Weiter¬ bildung aus sich allein angewiesen, und er kann froh sein, wenn er vielleicht in dem Pfarrer oder in dem Arzt, die am Orte wohnen, einigermaßen geistig gleichgeartete Persönlichkeiten antrifft. Und es bleibt nicht bei diesen: ideellen Nachteil, auch materiell macht sich dieser bemerklich. Von den über elfhundert Orten, die in Preußen Sitze von Amtsgerichten sind, haben noch nicht !!l>0, also noch nicht ein Drittel, eine höhere Lehranstalt, d. h. eine Anstalt außer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/554>, abgerufen am 26.08.2024.