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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Richterstand und die öffentliche Meinung

nicht Herr der dahinführenden Eisenbahnen sei, um das erforderliche unermeß-
liche Material heranzuführen. Die deutsche Armee habe aber in den ersten
Monaten nur über eine einzige Eisenbahn auf französischem Boden verfügt,
und diese sei völlig in Anspruch genommen worden, um für die Ernährung
der Feldarmee Lebensmittel, ferner Ersatz und Ausrüstung heran-, Verwundete,
Kranke und Gefangne zurückzuschaffen. An ein Bombardement sei daher zu¬
nächst nicht zu deuten gewesen; auch sollte es nicht den Zweck haben, Paris
zu zerstöre", sondern einen letzten Druck auf die Bevölkerung auszuüben,
wenn eine längere Einschließung die Standhaftigkeit der Belagerten zuvor er¬
schüttert hätte.

In einem Anhang zu dieser Geschichte des deutsch-französischen Krieges
beseitigt Moltke die vielfach verbreitete Ansicht, daß über die großen Unter¬
nehmungen und wichtigen Maßregeln im Felde ein Kriegsrat beschlossen habe.
Auf diesen vermeintlichen Kriegsrat kommt er auch schon früher in seinem Werk
an der Stelle zu sprechen, wo er den Durchbruchsversuch des Generals Duervt
ans Paris am 2. Dezember behandelt. "Es hat sich, sagt er in einer An¬
merkung, später eine Legende gebildet, wonach auf deutscher Seite in einem
Kriegsrat die Stimme eines Generals gegen alle übrigen die Räumung von
Versailles durch das große Hauptquartier verhindert habe. Abgesehen davon,
daß im Laufe des ganze" Feldzuges ein Kriegsrat niemals berufen worden
ist, ist es in der militärischen Umgebung des Königs niemand auch nur in
den Sinn gekommen, der Armee ein so übles Beispiel zu geben."

Moltke hat mit diesem unübertreffliche Werke, das zu den edelsten Blüten
unsrer Litteratur gerechnet werden muß, nicht nur dem deutschen Heere, son¬
dern auch dein ganzen deutscheu Volke ein dauerndes Vermächtnis hinterlassen.




Der Richterstand und die Öffentliche Meinung

me bemerkenswerte Wandlung in der öffentliche" Meinung
Deutschlands ist im Laufe der letzten zehn bis fünfzehn Jahre
in der Wertschätzung des Nichterbernfs und Nichterstandes vor
sich gegangen. Es wird das niemand unbemerkt geblieben
sein, der die vereinzelten Erscheinungen des Tages mit einander
verknüpft. Während vor zwanzig bis dreißig Jahren dem Richterstand eine
Gunst und Hochachtung entgegengebracht wurde, die ihn geradezu vor andern
Berufsarten bevorzugte, ist jetzt, ohne daß irgeud eine besondre Veranlassung
für diesen Wechsel ersichtlich wäre, fast das Gegenteil eingetreten. Es sind


Der Richterstand und die öffentliche Meinung

nicht Herr der dahinführenden Eisenbahnen sei, um das erforderliche unermeß-
liche Material heranzuführen. Die deutsche Armee habe aber in den ersten
Monaten nur über eine einzige Eisenbahn auf französischem Boden verfügt,
und diese sei völlig in Anspruch genommen worden, um für die Ernährung
der Feldarmee Lebensmittel, ferner Ersatz und Ausrüstung heran-, Verwundete,
Kranke und Gefangne zurückzuschaffen. An ein Bombardement sei daher zu¬
nächst nicht zu deuten gewesen; auch sollte es nicht den Zweck haben, Paris
zu zerstöre», sondern einen letzten Druck auf die Bevölkerung auszuüben,
wenn eine längere Einschließung die Standhaftigkeit der Belagerten zuvor er¬
schüttert hätte.

In einem Anhang zu dieser Geschichte des deutsch-französischen Krieges
beseitigt Moltke die vielfach verbreitete Ansicht, daß über die großen Unter¬
nehmungen und wichtigen Maßregeln im Felde ein Kriegsrat beschlossen habe.
Auf diesen vermeintlichen Kriegsrat kommt er auch schon früher in seinem Werk
an der Stelle zu sprechen, wo er den Durchbruchsversuch des Generals Duervt
ans Paris am 2. Dezember behandelt. „Es hat sich, sagt er in einer An¬
merkung, später eine Legende gebildet, wonach auf deutscher Seite in einem
Kriegsrat die Stimme eines Generals gegen alle übrigen die Räumung von
Versailles durch das große Hauptquartier verhindert habe. Abgesehen davon,
daß im Laufe des ganze» Feldzuges ein Kriegsrat niemals berufen worden
ist, ist es in der militärischen Umgebung des Königs niemand auch nur in
den Sinn gekommen, der Armee ein so übles Beispiel zu geben."

Moltke hat mit diesem unübertreffliche Werke, das zu den edelsten Blüten
unsrer Litteratur gerechnet werden muß, nicht nur dem deutschen Heere, son¬
dern auch dein ganzen deutscheu Volke ein dauerndes Vermächtnis hinterlassen.




Der Richterstand und die Öffentliche Meinung

me bemerkenswerte Wandlung in der öffentliche» Meinung
Deutschlands ist im Laufe der letzten zehn bis fünfzehn Jahre
in der Wertschätzung des Nichterbernfs und Nichterstandes vor
sich gegangen. Es wird das niemand unbemerkt geblieben
sein, der die vereinzelten Erscheinungen des Tages mit einander
verknüpft. Während vor zwanzig bis dreißig Jahren dem Richterstand eine
Gunst und Hochachtung entgegengebracht wurde, die ihn geradezu vor andern
Berufsarten bevorzugte, ist jetzt, ohne daß irgeud eine besondre Veranlassung
für diesen Wechsel ersichtlich wäre, fast das Gegenteil eingetreten. Es sind


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[0548] Der Richterstand und die öffentliche Meinung nicht Herr der dahinführenden Eisenbahnen sei, um das erforderliche unermeß- liche Material heranzuführen. Die deutsche Armee habe aber in den ersten Monaten nur über eine einzige Eisenbahn auf französischem Boden verfügt, und diese sei völlig in Anspruch genommen worden, um für die Ernährung der Feldarmee Lebensmittel, ferner Ersatz und Ausrüstung heran-, Verwundete, Kranke und Gefangne zurückzuschaffen. An ein Bombardement sei daher zu¬ nächst nicht zu deuten gewesen; auch sollte es nicht den Zweck haben, Paris zu zerstöre», sondern einen letzten Druck auf die Bevölkerung auszuüben, wenn eine längere Einschließung die Standhaftigkeit der Belagerten zuvor er¬ schüttert hätte. In einem Anhang zu dieser Geschichte des deutsch-französischen Krieges beseitigt Moltke die vielfach verbreitete Ansicht, daß über die großen Unter¬ nehmungen und wichtigen Maßregeln im Felde ein Kriegsrat beschlossen habe. Auf diesen vermeintlichen Kriegsrat kommt er auch schon früher in seinem Werk an der Stelle zu sprechen, wo er den Durchbruchsversuch des Generals Duervt ans Paris am 2. Dezember behandelt. „Es hat sich, sagt er in einer An¬ merkung, später eine Legende gebildet, wonach auf deutscher Seite in einem Kriegsrat die Stimme eines Generals gegen alle übrigen die Räumung von Versailles durch das große Hauptquartier verhindert habe. Abgesehen davon, daß im Laufe des ganze» Feldzuges ein Kriegsrat niemals berufen worden ist, ist es in der militärischen Umgebung des Königs niemand auch nur in den Sinn gekommen, der Armee ein so übles Beispiel zu geben." Moltke hat mit diesem unübertreffliche Werke, das zu den edelsten Blüten unsrer Litteratur gerechnet werden muß, nicht nur dem deutschen Heere, son¬ dern auch dein ganzen deutscheu Volke ein dauerndes Vermächtnis hinterlassen. Der Richterstand und die Öffentliche Meinung me bemerkenswerte Wandlung in der öffentliche» Meinung Deutschlands ist im Laufe der letzten zehn bis fünfzehn Jahre in der Wertschätzung des Nichterbernfs und Nichterstandes vor sich gegangen. Es wird das niemand unbemerkt geblieben sein, der die vereinzelten Erscheinungen des Tages mit einander verknüpft. Während vor zwanzig bis dreißig Jahren dem Richterstand eine Gunst und Hochachtung entgegengebracht wurde, die ihn geradezu vor andern Berufsarten bevorzugte, ist jetzt, ohne daß irgeud eine besondre Veranlassung für diesen Wechsel ersichtlich wäre, fast das Gegenteil eingetreten. Es sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/548>, abgerufen am 13.11.2024.