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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Hommiculus und Herr Nemo

Diese Einwendung würde unser Philosoph wohl nicht gemacht haben,
sagte der Geheimrat. Sie vergessen, Herr Doktor, daß ich es selbst war, der
dieses Wesen hier schuf. Durch die Konstruktion seiner Hirnmasse bestimmte
ich alle seine Eigenschaften, seinen Verstand und sein Gefühl, seine Neigungen
und Abneigungen, seine Willenskraft, mit einem Worte seinen Charakter. Ans
dem Charakter und den äußern Eindrücken aber folgen die Handlungen eines
jeden notwendig wie die Bewegungen einer Maschine -- oxvnn-i se-aMur ess<z.
Hier habe ich selbst den Charakter gegeben und füge auch die äußern Ein¬
drücke selbst hinzu; daraus folgt, daß ich auch jeden Willensakt und jede
Handlung mathematisch genau berechnen kann. Das habe ich denn auch ge¬
than. Ich weiß genau, wann Herr Nemo -- so glaubt dies Wesen zu
heißen -- den rechten Arm heben will, und sogleich bringt mein Apparat in
ihm die Empfindungen hervor, als geschähe dies wirklich. Ich weiß genau,
was Herr Nemo auf eine Frage, die er hört, antworten wird, und mein
Apparat läßt ihn dann seine eignen Worte vernehmen.

Nach allem Wunderbaren, was wir von Ihnen bereits gesehen haben
-- sagte Siuner --, wage ich nicht mehr zu bezweifeln, daß der Versuch Ihnen
auch hier Recht geben wird, wenn es auch unendlich schwer gewesen sein muß,
mit dieser Genauigkeit für Ihr Geschöpf in die Zukunft zu sehen. Eins aber ist
mir noch unklar. Dieses Wesen hat keinerlei Organe, sich vernehmbar zu macheu;
wie werdeu wir von dem, was in seinem Innern vorgeht, Kenntnis erhalten?

Auch dafür ist gesorgt, sagte der Geheimrat. Alle zum Sprechen er¬
forderlichen motorischen Nerven sind vorhanden. Sie werden, wenn Herr
Nemo sprechen will, in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen über¬
trägt nun ein außerordentlich verwickelter Apparat -- den ich jetzt nicht näher
erklären mochte -- auf die Metallplättchen der Telephone dort an der Wand,
und zwar in der Weise umgesetzt, daß jedesmal die Worte, die Herr Nemo
sprechen will, wirklich ertönen. Ich bitte Sie also, die Telephone zur Hand
zu nehmen, und werde die Walze dann gleich in Thätigkeit setzen. Zuvor aber
noch eine Bemerkung. Wundern Sie sich nicht, wenn manches, was Herr
Nemo sagen wird, recht sonderbar klingt, ich habe ihn in eine Welt versetzt,
die von der unsrigen sich mehrfach unterscheidet. Er glaubt durchaus nicht
etwa auf unsrer Erde zu sein, sondern wandelt auf einem Phantasiestern
herum, dessen Geographie und Geschichte ich allerdings erst aufs genaueste
ausarbeiten mußte, damit keinerlei Widersprüche in ihr vorkommen. Sie können
daraus ersehen, daß ein tüchtiges Stück Arbeit nötig war. Selbstverständlich
fängt Herr Nemo sein Leben in der Mitte an, er ist ein Mann in den besten
Jahren und feierte vor einigen Tagen seineu neunzigsten Geburtstag, was auf
seinem Stern nicht all zu viel zu bedeuten hat, da man dort bis zweihundert
Jahre alt wird. Augenblicklich ist er mit einem Freunde auf eiuer Ver¬
gnügungsreise im Gebirge.


Hommiculus und Herr Nemo

Diese Einwendung würde unser Philosoph wohl nicht gemacht haben,
sagte der Geheimrat. Sie vergessen, Herr Doktor, daß ich es selbst war, der
dieses Wesen hier schuf. Durch die Konstruktion seiner Hirnmasse bestimmte
ich alle seine Eigenschaften, seinen Verstand und sein Gefühl, seine Neigungen
und Abneigungen, seine Willenskraft, mit einem Worte seinen Charakter. Ans
dem Charakter und den äußern Eindrücken aber folgen die Handlungen eines
jeden notwendig wie die Bewegungen einer Maschine — oxvnn-i se-aMur ess<z.
Hier habe ich selbst den Charakter gegeben und füge auch die äußern Ein¬
drücke selbst hinzu; daraus folgt, daß ich auch jeden Willensakt und jede
Handlung mathematisch genau berechnen kann. Das habe ich denn auch ge¬
than. Ich weiß genau, wann Herr Nemo — so glaubt dies Wesen zu
heißen — den rechten Arm heben will, und sogleich bringt mein Apparat in
ihm die Empfindungen hervor, als geschähe dies wirklich. Ich weiß genau,
was Herr Nemo auf eine Frage, die er hört, antworten wird, und mein
Apparat läßt ihn dann seine eignen Worte vernehmen.

Nach allem Wunderbaren, was wir von Ihnen bereits gesehen haben
— sagte Siuner —, wage ich nicht mehr zu bezweifeln, daß der Versuch Ihnen
auch hier Recht geben wird, wenn es auch unendlich schwer gewesen sein muß,
mit dieser Genauigkeit für Ihr Geschöpf in die Zukunft zu sehen. Eins aber ist
mir noch unklar. Dieses Wesen hat keinerlei Organe, sich vernehmbar zu macheu;
wie werdeu wir von dem, was in seinem Innern vorgeht, Kenntnis erhalten?

Auch dafür ist gesorgt, sagte der Geheimrat. Alle zum Sprechen er¬
forderlichen motorischen Nerven sind vorhanden. Sie werden, wenn Herr
Nemo sprechen will, in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen über¬
trägt nun ein außerordentlich verwickelter Apparat — den ich jetzt nicht näher
erklären mochte — auf die Metallplättchen der Telephone dort an der Wand,
und zwar in der Weise umgesetzt, daß jedesmal die Worte, die Herr Nemo
sprechen will, wirklich ertönen. Ich bitte Sie also, die Telephone zur Hand
zu nehmen, und werde die Walze dann gleich in Thätigkeit setzen. Zuvor aber
noch eine Bemerkung. Wundern Sie sich nicht, wenn manches, was Herr
Nemo sagen wird, recht sonderbar klingt, ich habe ihn in eine Welt versetzt,
die von der unsrigen sich mehrfach unterscheidet. Er glaubt durchaus nicht
etwa auf unsrer Erde zu sein, sondern wandelt auf einem Phantasiestern
herum, dessen Geographie und Geschichte ich allerdings erst aufs genaueste
ausarbeiten mußte, damit keinerlei Widersprüche in ihr vorkommen. Sie können
daraus ersehen, daß ein tüchtiges Stück Arbeit nötig war. Selbstverständlich
fängt Herr Nemo sein Leben in der Mitte an, er ist ein Mann in den besten
Jahren und feierte vor einigen Tagen seineu neunzigsten Geburtstag, was auf
seinem Stern nicht all zu viel zu bedeuten hat, da man dort bis zweihundert
Jahre alt wird. Augenblicklich ist er mit einem Freunde auf eiuer Ver¬
gnügungsreise im Gebirge.


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[0531] Hommiculus und Herr Nemo Diese Einwendung würde unser Philosoph wohl nicht gemacht haben, sagte der Geheimrat. Sie vergessen, Herr Doktor, daß ich es selbst war, der dieses Wesen hier schuf. Durch die Konstruktion seiner Hirnmasse bestimmte ich alle seine Eigenschaften, seinen Verstand und sein Gefühl, seine Neigungen und Abneigungen, seine Willenskraft, mit einem Worte seinen Charakter. Ans dem Charakter und den äußern Eindrücken aber folgen die Handlungen eines jeden notwendig wie die Bewegungen einer Maschine — oxvnn-i se-aMur ess<z. Hier habe ich selbst den Charakter gegeben und füge auch die äußern Ein¬ drücke selbst hinzu; daraus folgt, daß ich auch jeden Willensakt und jede Handlung mathematisch genau berechnen kann. Das habe ich denn auch ge¬ than. Ich weiß genau, wann Herr Nemo — so glaubt dies Wesen zu heißen — den rechten Arm heben will, und sogleich bringt mein Apparat in ihm die Empfindungen hervor, als geschähe dies wirklich. Ich weiß genau, was Herr Nemo auf eine Frage, die er hört, antworten wird, und mein Apparat läßt ihn dann seine eignen Worte vernehmen. Nach allem Wunderbaren, was wir von Ihnen bereits gesehen haben — sagte Siuner —, wage ich nicht mehr zu bezweifeln, daß der Versuch Ihnen auch hier Recht geben wird, wenn es auch unendlich schwer gewesen sein muß, mit dieser Genauigkeit für Ihr Geschöpf in die Zukunft zu sehen. Eins aber ist mir noch unklar. Dieses Wesen hat keinerlei Organe, sich vernehmbar zu macheu; wie werdeu wir von dem, was in seinem Innern vorgeht, Kenntnis erhalten? Auch dafür ist gesorgt, sagte der Geheimrat. Alle zum Sprechen er¬ forderlichen motorischen Nerven sind vorhanden. Sie werden, wenn Herr Nemo sprechen will, in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen über¬ trägt nun ein außerordentlich verwickelter Apparat — den ich jetzt nicht näher erklären mochte — auf die Metallplättchen der Telephone dort an der Wand, und zwar in der Weise umgesetzt, daß jedesmal die Worte, die Herr Nemo sprechen will, wirklich ertönen. Ich bitte Sie also, die Telephone zur Hand zu nehmen, und werde die Walze dann gleich in Thätigkeit setzen. Zuvor aber noch eine Bemerkung. Wundern Sie sich nicht, wenn manches, was Herr Nemo sagen wird, recht sonderbar klingt, ich habe ihn in eine Welt versetzt, die von der unsrigen sich mehrfach unterscheidet. Er glaubt durchaus nicht etwa auf unsrer Erde zu sein, sondern wandelt auf einem Phantasiestern herum, dessen Geographie und Geschichte ich allerdings erst aufs genaueste ausarbeiten mußte, damit keinerlei Widersprüche in ihr vorkommen. Sie können daraus ersehen, daß ein tüchtiges Stück Arbeit nötig war. Selbstverständlich fängt Herr Nemo sein Leben in der Mitte an, er ist ein Mann in den besten Jahren und feierte vor einigen Tagen seineu neunzigsten Geburtstag, was auf seinem Stern nicht all zu viel zu bedeuten hat, da man dort bis zweihundert Jahre alt wird. Augenblicklich ist er mit einem Freunde auf eiuer Ver¬ gnügungsreise im Gebirge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/531>, abgerufen am 26.08.2024.