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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Vorgänge in Chile. Der Weisheitsspruch des alten AMm "Alles
schon ennnäl dagewesen" scheitert an den neuesten Vorgängen in Chile.

Daß eine ans den eigentlich konservativen Elementen des Landes bestehende
Partei gegen die Obrigkeit zum Schwerte greift, hat man zwar schon öfter
erlebt; daß sie es aber thut in einer Form, wie es heute in Chile geschieht,
ist zu den Neuheiten zu rechnen, mit denen man At'ihrs Weisheitsspruch
Lügen strafen könnte. Einige Ähnlichkeit, aber nnr eine sehr geringe, hatte das
Prommeiamento des spanischen Admirals Topete, als er im Jahre 1868 auf der
Rhede von Cadiz an Bord eines Geschwaders von Panzcrfregatten die Rebellen-
flaggc hißte. Die Ähnlichkeit ist gering, denn der Vorgang führte nicht zu einem
nennenswerten Kampf mit der bestehenden Macht, sondern zu einem sofortigen
Umsturz, zur Entthronung der Königin und zur Errichtung einer spanischen Republik,
der freilich kein langes Dnsein beschieden war. Ganz anders geartet ist der Her¬
gang, wie er sich in Chile entwickelt hat.

Über die tiefern Beweggründe, die den Parteien das Schwert in die Hand
gedrückt haben, sind die Anschauungen europäischer Politiker geteilt. Wer die Ver¬
hältnisse des chilenischen Staatswesens einigermaßen kennt, wundert sich, wie über
ein Land die Geißel der Revolution hereinbrechen konnte, das als die einzige der
Republiken von Südamerika jedem Besucher den Eindruck der Ordnung und der
Zufriedenheit hinterließ.

Augenblicklich sind die Anklagen der Parteien gegen einander so wirr und so
heftig, daß dem Unbefangenen und Uneingeweihten noch kein Urteil möglich ist.
Über die politische Seite des Kampfes, über Recht oder Unrecht, über die größern
oder geringern Aussichten des Erfolges, sei es der einen, sei es der andern Seite,
hat man noch immer Zweifel zu hegen. So hartnäckig der Widerstand des Prä¬
sidenten Balmaeeda ist, ebenso beharrlich scheint die Kongreßpartei noch immer im
Vorteil zu sein; die Thatsachen aber, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers am
lebhafteste" beschäftigt haben, sind die Gefechte, die um der Küste zwischen den gegen¬
seitigen Seestreitkräften, das erstemal in Caldera, das zweitemal vor Valparaiso,
stattgefunden haben.

Auch über diese Gefechte sind genauere und ganz sachlich gehaltene Einzel¬
heiten noch nicht zu uus gelangt. Thatsache ist, daß die rebellische oder sogenannte
Kvngreßpartei vom Anfang ihres Auftretens an über den weitaus größer" Teil
der chilenischen Seestreitkräfte verfügte, mit diesen sogleich eine Art Blockade der
Küste ins Werk setzte und damit fast die ganze Botmäßigkeit über die Seever-
bindung Chiles in Anspruch "ahn. Ohne Gewaltthätigkeiten gegen die Schiffahrt,
auch selbst gegen Neutrale, ist es dabei nicht abgegangen, sodaß mehrere Seemächte,
schließlich auch die deutsche Regierung, Anlaß nähmen, Kriegsschiffe zum Schutz
ihrer bedrohten Interessen dahin zu senden.

Die Regierungspartei verfügte nur über geringe Seestreitkräfte, und das ist
wohl der Grund, weshalb die Schiffe der Gegner nicht immer mit der nötigen
Umsicht verfuhren. Nur ans diese Weise konnte es geschehen, daß das Panzer-
schiff Blanco Eneälada, das im Hafen von Caldera vor Anker lag, von den


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Vorgänge in Chile. Der Weisheitsspruch des alten AMm „Alles
schon ennnäl dagewesen" scheitert an den neuesten Vorgängen in Chile.

Daß eine ans den eigentlich konservativen Elementen des Landes bestehende
Partei gegen die Obrigkeit zum Schwerte greift, hat man zwar schon öfter
erlebt; daß sie es aber thut in einer Form, wie es heute in Chile geschieht,
ist zu den Neuheiten zu rechnen, mit denen man At'ihrs Weisheitsspruch
Lügen strafen könnte. Einige Ähnlichkeit, aber nnr eine sehr geringe, hatte das
Prommeiamento des spanischen Admirals Topete, als er im Jahre 1868 auf der
Rhede von Cadiz an Bord eines Geschwaders von Panzcrfregatten die Rebellen-
flaggc hißte. Die Ähnlichkeit ist gering, denn der Vorgang führte nicht zu einem
nennenswerten Kampf mit der bestehenden Macht, sondern zu einem sofortigen
Umsturz, zur Entthronung der Königin und zur Errichtung einer spanischen Republik,
der freilich kein langes Dnsein beschieden war. Ganz anders geartet ist der Her¬
gang, wie er sich in Chile entwickelt hat.

Über die tiefern Beweggründe, die den Parteien das Schwert in die Hand
gedrückt haben, sind die Anschauungen europäischer Politiker geteilt. Wer die Ver¬
hältnisse des chilenischen Staatswesens einigermaßen kennt, wundert sich, wie über
ein Land die Geißel der Revolution hereinbrechen konnte, das als die einzige der
Republiken von Südamerika jedem Besucher den Eindruck der Ordnung und der
Zufriedenheit hinterließ.

Augenblicklich sind die Anklagen der Parteien gegen einander so wirr und so
heftig, daß dem Unbefangenen und Uneingeweihten noch kein Urteil möglich ist.
Über die politische Seite des Kampfes, über Recht oder Unrecht, über die größern
oder geringern Aussichten des Erfolges, sei es der einen, sei es der andern Seite,
hat man noch immer Zweifel zu hegen. So hartnäckig der Widerstand des Prä¬
sidenten Balmaeeda ist, ebenso beharrlich scheint die Kongreßpartei noch immer im
Vorteil zu sein; die Thatsachen aber, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers am
lebhafteste» beschäftigt haben, sind die Gefechte, die um der Küste zwischen den gegen¬
seitigen Seestreitkräften, das erstemal in Caldera, das zweitemal vor Valparaiso,
stattgefunden haben.

Auch über diese Gefechte sind genauere und ganz sachlich gehaltene Einzel¬
heiten noch nicht zu uus gelangt. Thatsache ist, daß die rebellische oder sogenannte
Kvngreßpartei vom Anfang ihres Auftretens an über den weitaus größer» Teil
der chilenischen Seestreitkräfte verfügte, mit diesen sogleich eine Art Blockade der
Küste ins Werk setzte und damit fast die ganze Botmäßigkeit über die Seever-
bindung Chiles in Anspruch «ahn. Ohne Gewaltthätigkeiten gegen die Schiffahrt,
auch selbst gegen Neutrale, ist es dabei nicht abgegangen, sodaß mehrere Seemächte,
schließlich auch die deutsche Regierung, Anlaß nähmen, Kriegsschiffe zum Schutz
ihrer bedrohten Interessen dahin zu senden.

Die Regierungspartei verfügte nur über geringe Seestreitkräfte, und das ist
wohl der Grund, weshalb die Schiffe der Gegner nicht immer mit der nötigen
Umsicht verfuhren. Nur ans diese Weise konnte es geschehen, daß das Panzer-
schiff Blanco Eneälada, das im Hafen von Caldera vor Anker lag, von den


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[0053] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Vorgänge in Chile. Der Weisheitsspruch des alten AMm „Alles schon ennnäl dagewesen" scheitert an den neuesten Vorgängen in Chile. Daß eine ans den eigentlich konservativen Elementen des Landes bestehende Partei gegen die Obrigkeit zum Schwerte greift, hat man zwar schon öfter erlebt; daß sie es aber thut in einer Form, wie es heute in Chile geschieht, ist zu den Neuheiten zu rechnen, mit denen man At'ihrs Weisheitsspruch Lügen strafen könnte. Einige Ähnlichkeit, aber nnr eine sehr geringe, hatte das Prommeiamento des spanischen Admirals Topete, als er im Jahre 1868 auf der Rhede von Cadiz an Bord eines Geschwaders von Panzcrfregatten die Rebellen- flaggc hißte. Die Ähnlichkeit ist gering, denn der Vorgang führte nicht zu einem nennenswerten Kampf mit der bestehenden Macht, sondern zu einem sofortigen Umsturz, zur Entthronung der Königin und zur Errichtung einer spanischen Republik, der freilich kein langes Dnsein beschieden war. Ganz anders geartet ist der Her¬ gang, wie er sich in Chile entwickelt hat. Über die tiefern Beweggründe, die den Parteien das Schwert in die Hand gedrückt haben, sind die Anschauungen europäischer Politiker geteilt. Wer die Ver¬ hältnisse des chilenischen Staatswesens einigermaßen kennt, wundert sich, wie über ein Land die Geißel der Revolution hereinbrechen konnte, das als die einzige der Republiken von Südamerika jedem Besucher den Eindruck der Ordnung und der Zufriedenheit hinterließ. Augenblicklich sind die Anklagen der Parteien gegen einander so wirr und so heftig, daß dem Unbefangenen und Uneingeweihten noch kein Urteil möglich ist. Über die politische Seite des Kampfes, über Recht oder Unrecht, über die größern oder geringern Aussichten des Erfolges, sei es der einen, sei es der andern Seite, hat man noch immer Zweifel zu hegen. So hartnäckig der Widerstand des Prä¬ sidenten Balmaeeda ist, ebenso beharrlich scheint die Kongreßpartei noch immer im Vorteil zu sein; die Thatsachen aber, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers am lebhafteste» beschäftigt haben, sind die Gefechte, die um der Küste zwischen den gegen¬ seitigen Seestreitkräften, das erstemal in Caldera, das zweitemal vor Valparaiso, stattgefunden haben. Auch über diese Gefechte sind genauere und ganz sachlich gehaltene Einzel¬ heiten noch nicht zu uus gelangt. Thatsache ist, daß die rebellische oder sogenannte Kvngreßpartei vom Anfang ihres Auftretens an über den weitaus größer» Teil der chilenischen Seestreitkräfte verfügte, mit diesen sogleich eine Art Blockade der Küste ins Werk setzte und damit fast die ganze Botmäßigkeit über die Seever- bindung Chiles in Anspruch «ahn. Ohne Gewaltthätigkeiten gegen die Schiffahrt, auch selbst gegen Neutrale, ist es dabei nicht abgegangen, sodaß mehrere Seemächte, schließlich auch die deutsche Regierung, Anlaß nähmen, Kriegsschiffe zum Schutz ihrer bedrohten Interessen dahin zu senden. Die Regierungspartei verfügte nur über geringe Seestreitkräfte, und das ist wohl der Grund, weshalb die Schiffe der Gegner nicht immer mit der nötigen Umsicht verfuhren. Nur ans diese Weise konnte es geschehen, daß das Panzer- schiff Blanco Eneälada, das im Hafen von Caldera vor Anker lag, von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/53>, abgerufen am 13.11.2024.