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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

überall, wo sie herrschten, keine andre Staatsverfassung als die demokratische.
Damit kämen sie den Regungen der hanseatischen Bürgerschaften entgegen, die
ebenfalls eine Universaldemokratie anstrebten. Und gerate die demokratische
Bewegung einmal in Fluß, dann werde sich in Deutschland gewiß auch das
hart bedrängte Landvolk erheben. Wenn die Evangelischen in Deutschland
die Sache nur recht angriffen, so würden sich mit der Zeit wohl noch Mittel
finden, auch ohne Hilfe des Auslands "die Papisten auszureuten." Ein plötz¬
licher Ansturm im Bunde mit den Niederlanden aber sei höchst gefährlich.
"Letzlich stehe ich gar hart an und besorg, daß wir etwa nicht die Rechnung
ohne den Wirt gemacht, daß wir Korrespondirende sso nannten sich bekanntlich
die Mitglieder der Union j vermeinen, die Papisten und Pfaffen zu vertilgen,
und sollte solches uns selbst ebensobald widerfahren. Denn wenn wir die
Ursachen sine, atleotu in Wahrheit erwägen wollen, müssen wir bekennen, daß
das Papsttum und Pfaffentum ältere Stiftungen als unsre Kirchen haben
und lange vor uns gewesen, und daß, wo sie ihre Kräfte konjungiren wollen,
sie uns in allem übertreffen."

Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist demnach folgendes. Die nieder¬
ländische Freiheit ist weiter nichts als die ständische Freiheit des Mittelalters,
die mit Erfolg gegen den aufkommenden modernen Großstaat verteidigt wurde.
Indem aber der Großstaat in diesem Falle ein katholischer war, und indem
es Protestanten waren, die fast allein in ganz Europa die alte Freiheit zu
behaupten vermochte", indem endlich ihr eigentümlicher alpinischer Glaube
ihre Widerstandskraft und Angriffslust nicht wenig stärkte, hat dieser Be¬
freiungskampf in den Augen der Beobachter das Gepräge eines Religions¬
krieges angenommen und ist der Calvinismus, dessen Geburtsstätte ja übrigens
ein republikanisches Gemeinwesen war, zu dem Ruhme gelangt, der Schöpfer
der politischen Freiheit geworden zu sein. Um ihm völlig gerecht zu werden,
wollen wir noch hervorheben, daß er mehr demokratischen Zug in die alte
ständische Freiheit brachte, indem beim kirchlichen Umsturz überall bewaffnete
Haufen des gemeinen Volkes die ausschlaggebende Rolle spielten, und der
Glaube oder die Einbildung unmittelbarer göttlicher Erleuchtung und Be¬
rufung gerade in den Ungebildetsten am stärksten wirkte. Natürlich dauerte
das nicht gar lange; schließlich behauptete auch in Holland der Reichtum
wieder sein politisches Vorrecht. Wenn die Generalstaaten schon in-jener
ersten und unduldsamsten Zeit des herrschenden Territorialkirchentums im be¬
scheidnen Maße Duldung übten und Glaubensfreiheit gestatteten, so machten
sie nur, wie wir gesehen haben, aus der Not eine Tugend. Wie wenig die
Duldung im Wesen des Calvinismus liegt, das würde, auch wenn man Calvin
und Beza nicht kannte, schon das Blut Oldenbaruevelts zur Genüge bezeugen.

Ähnlich verhält sichs mit dem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwünge
der Niederlande. Er beruhte nicht auf der Religion, sondern, wie Wenzel-


Geschichtsphilosophische Gedanken

überall, wo sie herrschten, keine andre Staatsverfassung als die demokratische.
Damit kämen sie den Regungen der hanseatischen Bürgerschaften entgegen, die
ebenfalls eine Universaldemokratie anstrebten. Und gerate die demokratische
Bewegung einmal in Fluß, dann werde sich in Deutschland gewiß auch das
hart bedrängte Landvolk erheben. Wenn die Evangelischen in Deutschland
die Sache nur recht angriffen, so würden sich mit der Zeit wohl noch Mittel
finden, auch ohne Hilfe des Auslands „die Papisten auszureuten." Ein plötz¬
licher Ansturm im Bunde mit den Niederlanden aber sei höchst gefährlich.
„Letzlich stehe ich gar hart an und besorg, daß wir etwa nicht die Rechnung
ohne den Wirt gemacht, daß wir Korrespondirende sso nannten sich bekanntlich
die Mitglieder der Union j vermeinen, die Papisten und Pfaffen zu vertilgen,
und sollte solches uns selbst ebensobald widerfahren. Denn wenn wir die
Ursachen sine, atleotu in Wahrheit erwägen wollen, müssen wir bekennen, daß
das Papsttum und Pfaffentum ältere Stiftungen als unsre Kirchen haben
und lange vor uns gewesen, und daß, wo sie ihre Kräfte konjungiren wollen,
sie uns in allem übertreffen."

Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist demnach folgendes. Die nieder¬
ländische Freiheit ist weiter nichts als die ständische Freiheit des Mittelalters,
die mit Erfolg gegen den aufkommenden modernen Großstaat verteidigt wurde.
Indem aber der Großstaat in diesem Falle ein katholischer war, und indem
es Protestanten waren, die fast allein in ganz Europa die alte Freiheit zu
behaupten vermochte», indem endlich ihr eigentümlicher alpinischer Glaube
ihre Widerstandskraft und Angriffslust nicht wenig stärkte, hat dieser Be¬
freiungskampf in den Augen der Beobachter das Gepräge eines Religions¬
krieges angenommen und ist der Calvinismus, dessen Geburtsstätte ja übrigens
ein republikanisches Gemeinwesen war, zu dem Ruhme gelangt, der Schöpfer
der politischen Freiheit geworden zu sein. Um ihm völlig gerecht zu werden,
wollen wir noch hervorheben, daß er mehr demokratischen Zug in die alte
ständische Freiheit brachte, indem beim kirchlichen Umsturz überall bewaffnete
Haufen des gemeinen Volkes die ausschlaggebende Rolle spielten, und der
Glaube oder die Einbildung unmittelbarer göttlicher Erleuchtung und Be¬
rufung gerade in den Ungebildetsten am stärksten wirkte. Natürlich dauerte
das nicht gar lange; schließlich behauptete auch in Holland der Reichtum
wieder sein politisches Vorrecht. Wenn die Generalstaaten schon in-jener
ersten und unduldsamsten Zeit des herrschenden Territorialkirchentums im be¬
scheidnen Maße Duldung übten und Glaubensfreiheit gestatteten, so machten
sie nur, wie wir gesehen haben, aus der Not eine Tugend. Wie wenig die
Duldung im Wesen des Calvinismus liegt, das würde, auch wenn man Calvin
und Beza nicht kannte, schon das Blut Oldenbaruevelts zur Genüge bezeugen.

Ähnlich verhält sichs mit dem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwünge
der Niederlande. Er beruhte nicht auf der Religion, sondern, wie Wenzel-


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[0510] Geschichtsphilosophische Gedanken überall, wo sie herrschten, keine andre Staatsverfassung als die demokratische. Damit kämen sie den Regungen der hanseatischen Bürgerschaften entgegen, die ebenfalls eine Universaldemokratie anstrebten. Und gerate die demokratische Bewegung einmal in Fluß, dann werde sich in Deutschland gewiß auch das hart bedrängte Landvolk erheben. Wenn die Evangelischen in Deutschland die Sache nur recht angriffen, so würden sich mit der Zeit wohl noch Mittel finden, auch ohne Hilfe des Auslands „die Papisten auszureuten." Ein plötz¬ licher Ansturm im Bunde mit den Niederlanden aber sei höchst gefährlich. „Letzlich stehe ich gar hart an und besorg, daß wir etwa nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht, daß wir Korrespondirende sso nannten sich bekanntlich die Mitglieder der Union j vermeinen, die Papisten und Pfaffen zu vertilgen, und sollte solches uns selbst ebensobald widerfahren. Denn wenn wir die Ursachen sine, atleotu in Wahrheit erwägen wollen, müssen wir bekennen, daß das Papsttum und Pfaffentum ältere Stiftungen als unsre Kirchen haben und lange vor uns gewesen, und daß, wo sie ihre Kräfte konjungiren wollen, sie uns in allem übertreffen." Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist demnach folgendes. Die nieder¬ ländische Freiheit ist weiter nichts als die ständische Freiheit des Mittelalters, die mit Erfolg gegen den aufkommenden modernen Großstaat verteidigt wurde. Indem aber der Großstaat in diesem Falle ein katholischer war, und indem es Protestanten waren, die fast allein in ganz Europa die alte Freiheit zu behaupten vermochte», indem endlich ihr eigentümlicher alpinischer Glaube ihre Widerstandskraft und Angriffslust nicht wenig stärkte, hat dieser Be¬ freiungskampf in den Augen der Beobachter das Gepräge eines Religions¬ krieges angenommen und ist der Calvinismus, dessen Geburtsstätte ja übrigens ein republikanisches Gemeinwesen war, zu dem Ruhme gelangt, der Schöpfer der politischen Freiheit geworden zu sein. Um ihm völlig gerecht zu werden, wollen wir noch hervorheben, daß er mehr demokratischen Zug in die alte ständische Freiheit brachte, indem beim kirchlichen Umsturz überall bewaffnete Haufen des gemeinen Volkes die ausschlaggebende Rolle spielten, und der Glaube oder die Einbildung unmittelbarer göttlicher Erleuchtung und Be¬ rufung gerade in den Ungebildetsten am stärksten wirkte. Natürlich dauerte das nicht gar lange; schließlich behauptete auch in Holland der Reichtum wieder sein politisches Vorrecht. Wenn die Generalstaaten schon in-jener ersten und unduldsamsten Zeit des herrschenden Territorialkirchentums im be¬ scheidnen Maße Duldung übten und Glaubensfreiheit gestatteten, so machten sie nur, wie wir gesehen haben, aus der Not eine Tugend. Wie wenig die Duldung im Wesen des Calvinismus liegt, das würde, auch wenn man Calvin und Beza nicht kannte, schon das Blut Oldenbaruevelts zur Genüge bezeugen. Ähnlich verhält sichs mit dem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwünge der Niederlande. Er beruhte nicht auf der Religion, sondern, wie Wenzel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/510>, abgerufen am 26.08.2024.