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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Weil Gott alles dirigire, so antwortete sie ihm, und sonder Zweifel auch
dieses also geschickt habe, so stelle sie ihm anheim, ob er die Krone anzu¬
nehmen ratsam befinde, ans welchen Fall sie dann bereit sei, dem göttlichen
Rufe zu folgen und dabei zu leiden, was Gott verordnen werde, ja auch auf
den Notfall ihre Kleinodien und was sie sonsten in der Welt habe, "aufzu¬
setzen." Das Leiden kannte sie freilich bloß vom Hörensagen; zunächst gedachte
sie in Prag noch lustiger zu leben, als wie sie in Heidelberg gelebt hatte.

Man weiß, wie kläglich das stolze Bewußtsein, von Gott berufen zu sein,
in diesem Falle zu Schanden wurde, wo großes unternommen ward mit un¬
zulänglichen und namentlich mit unzulänglichen sittlichen Kräften. Wir stimmen
deshalb auch Treitschke nicht bei, wenn er die volle Schale seines Zornes
nusgießt über die faulen und feigen lutherischen Fürsten, die, anstatt sich der
kühnen calvinischen Aktionspartci anzuschließen, ruhig daheim geblieben wären,
und von denen einige sogar das Haus Habsburg unterstützt Hütten. Wir
wollen auf die staatsrechtliche Seite der Sache und auf das Gewissen weiter
kein Gewicht legen; erleuchteten und vorurteilsloser Männern mag es ja als
eine große Dummheit erscheinen, daß es der Kurfürst von Sachsen für eine
Sünde hielt, sich mit Ausländern gegen Ferdinand zu Verbunden, der soeben
einstimmig -- sogar Friedrich von der Pfalz hatte ihm merkwürdigerweise
seiue Stimme gegeben -- zum Kaiser erwühlt worden war; das Wort "reichs¬
treu" bedeutet eben verschiednen Leuten verschiednes. Aber bei der Abwägung
der Streitkräfte und der moralischen Kräfte haben sich die vorsichtigen und
frommen Lutheraner ganz und gar nicht dumm bewiesen. Sie haben voll¬
kommen richtig vorausgesehen und -- wie mehrere Urkunden beweisen --
vorausgesagt, daß, wenn man nach der Absicht der Calvinisten geradezu auf
die Vernichtung des Hauses Habsburg ausgehe, dieses Haus sich zu einem
Verzweiflungskampf um seine Existenz aufraffen und alle seine bisher unbenutzt
liegende" Hilfsmittel zusammenraffen werde, wo es dann den Evangelischen,
selbst wenn sie sich alle verbündeten, übel ergehen könne. Besonders inter¬
essant ist das Gutachten eines "vornehmen Korrespondenzrates," d. h. eines
Rates eines der Mitglieder der calvinistischen Union, über das Bündnis mit
den Generalstaaten vom Jahre 1L14. (Aus der "Holländischen Vundtsver-
wcmdtnus," einer im Jahre 1624 gedruckten Urkuudeusammlung, mitgeteilt
vou Ouro Klopp in seiner Geschichte des dreißigjährigen Krieges.) Dieser
Korrespondenzrat warnt ganz entschieden vor einem zu engen Anschluß an die
Generalstaaten. Deren Hilfe und der Schrecke" ihres Namens seien ja gegen
die Papisten ganz gut zu gebrauchen, aber ins Reich herein dürfe man sie
auf keinen Fall lassen. Denn was sie einmal in den Händen hätten, das
ließen sie um keinen Preis wieder fahren, und gelänge es ihnen, sich katho¬
lischer Gebiete in Deutschland zu bemächtige", so würden sie deren Hilfsmittel
dann zur Unterjochung der Evangelische" benützen. Sodann duldeten sie


Geschichtsphilosophische Gedanken

Weil Gott alles dirigire, so antwortete sie ihm, und sonder Zweifel auch
dieses also geschickt habe, so stelle sie ihm anheim, ob er die Krone anzu¬
nehmen ratsam befinde, ans welchen Fall sie dann bereit sei, dem göttlichen
Rufe zu folgen und dabei zu leiden, was Gott verordnen werde, ja auch auf
den Notfall ihre Kleinodien und was sie sonsten in der Welt habe, „aufzu¬
setzen." Das Leiden kannte sie freilich bloß vom Hörensagen; zunächst gedachte
sie in Prag noch lustiger zu leben, als wie sie in Heidelberg gelebt hatte.

Man weiß, wie kläglich das stolze Bewußtsein, von Gott berufen zu sein,
in diesem Falle zu Schanden wurde, wo großes unternommen ward mit un¬
zulänglichen und namentlich mit unzulänglichen sittlichen Kräften. Wir stimmen
deshalb auch Treitschke nicht bei, wenn er die volle Schale seines Zornes
nusgießt über die faulen und feigen lutherischen Fürsten, die, anstatt sich der
kühnen calvinischen Aktionspartci anzuschließen, ruhig daheim geblieben wären,
und von denen einige sogar das Haus Habsburg unterstützt Hütten. Wir
wollen auf die staatsrechtliche Seite der Sache und auf das Gewissen weiter
kein Gewicht legen; erleuchteten und vorurteilsloser Männern mag es ja als
eine große Dummheit erscheinen, daß es der Kurfürst von Sachsen für eine
Sünde hielt, sich mit Ausländern gegen Ferdinand zu Verbunden, der soeben
einstimmig — sogar Friedrich von der Pfalz hatte ihm merkwürdigerweise
seiue Stimme gegeben — zum Kaiser erwühlt worden war; das Wort „reichs¬
treu" bedeutet eben verschiednen Leuten verschiednes. Aber bei der Abwägung
der Streitkräfte und der moralischen Kräfte haben sich die vorsichtigen und
frommen Lutheraner ganz und gar nicht dumm bewiesen. Sie haben voll¬
kommen richtig vorausgesehen und — wie mehrere Urkunden beweisen —
vorausgesagt, daß, wenn man nach der Absicht der Calvinisten geradezu auf
die Vernichtung des Hauses Habsburg ausgehe, dieses Haus sich zu einem
Verzweiflungskampf um seine Existenz aufraffen und alle seine bisher unbenutzt
liegende« Hilfsmittel zusammenraffen werde, wo es dann den Evangelischen,
selbst wenn sie sich alle verbündeten, übel ergehen könne. Besonders inter¬
essant ist das Gutachten eines „vornehmen Korrespondenzrates," d. h. eines
Rates eines der Mitglieder der calvinistischen Union, über das Bündnis mit
den Generalstaaten vom Jahre 1L14. (Aus der „Holländischen Vundtsver-
wcmdtnus," einer im Jahre 1624 gedruckten Urkuudeusammlung, mitgeteilt
vou Ouro Klopp in seiner Geschichte des dreißigjährigen Krieges.) Dieser
Korrespondenzrat warnt ganz entschieden vor einem zu engen Anschluß an die
Generalstaaten. Deren Hilfe und der Schrecke« ihres Namens seien ja gegen
die Papisten ganz gut zu gebrauchen, aber ins Reich herein dürfe man sie
auf keinen Fall lassen. Denn was sie einmal in den Händen hätten, das
ließen sie um keinen Preis wieder fahren, und gelänge es ihnen, sich katho¬
lischer Gebiete in Deutschland zu bemächtige«, so würden sie deren Hilfsmittel
dann zur Unterjochung der Evangelische« benützen. Sodann duldeten sie


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[0509] Geschichtsphilosophische Gedanken Weil Gott alles dirigire, so antwortete sie ihm, und sonder Zweifel auch dieses also geschickt habe, so stelle sie ihm anheim, ob er die Krone anzu¬ nehmen ratsam befinde, ans welchen Fall sie dann bereit sei, dem göttlichen Rufe zu folgen und dabei zu leiden, was Gott verordnen werde, ja auch auf den Notfall ihre Kleinodien und was sie sonsten in der Welt habe, „aufzu¬ setzen." Das Leiden kannte sie freilich bloß vom Hörensagen; zunächst gedachte sie in Prag noch lustiger zu leben, als wie sie in Heidelberg gelebt hatte. Man weiß, wie kläglich das stolze Bewußtsein, von Gott berufen zu sein, in diesem Falle zu Schanden wurde, wo großes unternommen ward mit un¬ zulänglichen und namentlich mit unzulänglichen sittlichen Kräften. Wir stimmen deshalb auch Treitschke nicht bei, wenn er die volle Schale seines Zornes nusgießt über die faulen und feigen lutherischen Fürsten, die, anstatt sich der kühnen calvinischen Aktionspartci anzuschließen, ruhig daheim geblieben wären, und von denen einige sogar das Haus Habsburg unterstützt Hütten. Wir wollen auf die staatsrechtliche Seite der Sache und auf das Gewissen weiter kein Gewicht legen; erleuchteten und vorurteilsloser Männern mag es ja als eine große Dummheit erscheinen, daß es der Kurfürst von Sachsen für eine Sünde hielt, sich mit Ausländern gegen Ferdinand zu Verbunden, der soeben einstimmig — sogar Friedrich von der Pfalz hatte ihm merkwürdigerweise seiue Stimme gegeben — zum Kaiser erwühlt worden war; das Wort „reichs¬ treu" bedeutet eben verschiednen Leuten verschiednes. Aber bei der Abwägung der Streitkräfte und der moralischen Kräfte haben sich die vorsichtigen und frommen Lutheraner ganz und gar nicht dumm bewiesen. Sie haben voll¬ kommen richtig vorausgesehen und — wie mehrere Urkunden beweisen — vorausgesagt, daß, wenn man nach der Absicht der Calvinisten geradezu auf die Vernichtung des Hauses Habsburg ausgehe, dieses Haus sich zu einem Verzweiflungskampf um seine Existenz aufraffen und alle seine bisher unbenutzt liegende« Hilfsmittel zusammenraffen werde, wo es dann den Evangelischen, selbst wenn sie sich alle verbündeten, übel ergehen könne. Besonders inter¬ essant ist das Gutachten eines „vornehmen Korrespondenzrates," d. h. eines Rates eines der Mitglieder der calvinistischen Union, über das Bündnis mit den Generalstaaten vom Jahre 1L14. (Aus der „Holländischen Vundtsver- wcmdtnus," einer im Jahre 1624 gedruckten Urkuudeusammlung, mitgeteilt vou Ouro Klopp in seiner Geschichte des dreißigjährigen Krieges.) Dieser Korrespondenzrat warnt ganz entschieden vor einem zu engen Anschluß an die Generalstaaten. Deren Hilfe und der Schrecke« ihres Namens seien ja gegen die Papisten ganz gut zu gebrauchen, aber ins Reich herein dürfe man sie auf keinen Fall lassen. Denn was sie einmal in den Händen hätten, das ließen sie um keinen Preis wieder fahren, und gelänge es ihnen, sich katho¬ lischer Gebiete in Deutschland zu bemächtige«, so würden sie deren Hilfsmittel dann zur Unterjochung der Evangelische« benützen. Sodann duldeten sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/509>, abgerufen am 03.10.2024.