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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanke"

,,Die furchtbare Lehre von der Vorherbestimmung -- schreibt Treitschke -- unter¬
scheidet nicht Hoch und Niedrig, nicht die Starken und die Schwachen im Geist.
Wer auserwählt ist durch Gottes Gnade, schreitet sicher dnrch das Leben wie
ein Gaul, dem die Augen geblendet sind, denn "welche der Herr berufen hat,
die hat er auch gerecht gemacht." Dieses Glaubens voll hatten die Bürger
von Haarlem und von Leyden auf ihren Wällen gefochten. Er empfing auf
niederländischen Boden durch die Dvrdrechter Synode seine feste dogmatische
Gestaltung, er bewahrte unleugbar am treuesten die ursprünglichen Gedanken
der Reformation -- jene erhabnen Lehren des Augustin, von denen einst Luther
ausging -- und durchdrang hier das gesamte Volksleben so übermächtig, daß
mich die Katholiken sich ihm nicht entziehen konnten, auch Jansenius und die
Utrechter "altrömische" Gemeinde an augustinischen Ideen sich begeisterten.
Jener alttestamentarische Zug, der überall den strengen Calvinismus bezeichnet,
war den gottseliger Domines der niederländischen Gomaristen so scharf auf¬
geprägt, daß sie oft von der Kanzel herab die Holländer als den neuen Stamm
Juda, die Kinder Abrahams als die nächsten Glaubensverwandten der recht¬
gläubigen Protestanten Priesen. Solche Gefühle erwidernd hielt die Juden¬
schaft Mann für Mann zu der oranischen Partei." Diese war es nämlich,
die, gestützt auf das fanatisirte gemeine Volk, die Lehre von der Vorherbestim¬
mung in ihrer ganzen Härte aufrecht erhielt, während die Staatenpartei, die
dem monarchischen Zuge der Oranier widerstrebte und die Selbständigkeit der
Provinzen aufrecht erhalten wollte, aus aufgeklärten duldsamer Aristokraten
bestand, die der mildern Lehre des Armiuius zuneigten. Bekanntlich hat der
ausgezeichnete Staatsmann Oldenbarnevelt, obwohl seine unsterblichen Verdienste
um die Republik von niemand bestritten werden konnten, seine tolerante
Gesinnung und seinen Kampf für die Selbständigkeit der Staaten ans dem
Blutgerüste gebüßt.

Wie sehr mußte ein Völkchen, das mit der Zweifellvsigkeit eines blinden
Gauls -- wir dürfen auch sagen eines wütenden Stiers -- gerade auf sein
Ziel losging, an Thatkraft jenem Philipp II. überlegen sein, den Wenzelburger
ganz richtig als einen gewissenhaften, pedantischen Narren schildert, und der
auch bei den dringendsten Angelegenheiten Wochen brauchte, um einen Ent¬
schluß zu fassen! Besonders, da die nimmer wankende Selbstgewißheit und
Unbeugsamkeit des Willens von einem diplomatischen Verstände unterstützt
wurde, der in Europa nicht seinesgleichen hatte und erst später in Richelieu
einen ebenbürtigen Nebenbuhler fand. Wo jenem mit der göttlichen Allmacht
sich eins wissenden Willen der kluge Berater bei der Auswahl der Mittel
fehlte, da führte auch das enlvinische Gottvertrauen nicht immer zu einem
guten Eude. Aus der cnlvinischen Lehre schöpfte Elisabeth, die Tochter
Jakobs II-, die Zuversicht, mit der sie ihren leichtfertige" Gemahl, den Kur¬
fürsten Friedrich vou der Pfalz, in seinem überkühnen Vorhaben bestärkte:


Geschichtsphilosophische Gedanke»

,,Die furchtbare Lehre von der Vorherbestimmung — schreibt Treitschke — unter¬
scheidet nicht Hoch und Niedrig, nicht die Starken und die Schwachen im Geist.
Wer auserwählt ist durch Gottes Gnade, schreitet sicher dnrch das Leben wie
ein Gaul, dem die Augen geblendet sind, denn »welche der Herr berufen hat,
die hat er auch gerecht gemacht.« Dieses Glaubens voll hatten die Bürger
von Haarlem und von Leyden auf ihren Wällen gefochten. Er empfing auf
niederländischen Boden durch die Dvrdrechter Synode seine feste dogmatische
Gestaltung, er bewahrte unleugbar am treuesten die ursprünglichen Gedanken
der Reformation — jene erhabnen Lehren des Augustin, von denen einst Luther
ausging — und durchdrang hier das gesamte Volksleben so übermächtig, daß
mich die Katholiken sich ihm nicht entziehen konnten, auch Jansenius und die
Utrechter „altrömische" Gemeinde an augustinischen Ideen sich begeisterten.
Jener alttestamentarische Zug, der überall den strengen Calvinismus bezeichnet,
war den gottseliger Domines der niederländischen Gomaristen so scharf auf¬
geprägt, daß sie oft von der Kanzel herab die Holländer als den neuen Stamm
Juda, die Kinder Abrahams als die nächsten Glaubensverwandten der recht¬
gläubigen Protestanten Priesen. Solche Gefühle erwidernd hielt die Juden¬
schaft Mann für Mann zu der oranischen Partei." Diese war es nämlich,
die, gestützt auf das fanatisirte gemeine Volk, die Lehre von der Vorherbestim¬
mung in ihrer ganzen Härte aufrecht erhielt, während die Staatenpartei, die
dem monarchischen Zuge der Oranier widerstrebte und die Selbständigkeit der
Provinzen aufrecht erhalten wollte, aus aufgeklärten duldsamer Aristokraten
bestand, die der mildern Lehre des Armiuius zuneigten. Bekanntlich hat der
ausgezeichnete Staatsmann Oldenbarnevelt, obwohl seine unsterblichen Verdienste
um die Republik von niemand bestritten werden konnten, seine tolerante
Gesinnung und seinen Kampf für die Selbständigkeit der Staaten ans dem
Blutgerüste gebüßt.

Wie sehr mußte ein Völkchen, das mit der Zweifellvsigkeit eines blinden
Gauls — wir dürfen auch sagen eines wütenden Stiers — gerade auf sein
Ziel losging, an Thatkraft jenem Philipp II. überlegen sein, den Wenzelburger
ganz richtig als einen gewissenhaften, pedantischen Narren schildert, und der
auch bei den dringendsten Angelegenheiten Wochen brauchte, um einen Ent¬
schluß zu fassen! Besonders, da die nimmer wankende Selbstgewißheit und
Unbeugsamkeit des Willens von einem diplomatischen Verstände unterstützt
wurde, der in Europa nicht seinesgleichen hatte und erst später in Richelieu
einen ebenbürtigen Nebenbuhler fand. Wo jenem mit der göttlichen Allmacht
sich eins wissenden Willen der kluge Berater bei der Auswahl der Mittel
fehlte, da führte auch das enlvinische Gottvertrauen nicht immer zu einem
guten Eude. Aus der cnlvinischen Lehre schöpfte Elisabeth, die Tochter
Jakobs II-, die Zuversicht, mit der sie ihren leichtfertige» Gemahl, den Kur¬
fürsten Friedrich vou der Pfalz, in seinem überkühnen Vorhaben bestärkte:


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[0508] Geschichtsphilosophische Gedanke» ,,Die furchtbare Lehre von der Vorherbestimmung — schreibt Treitschke — unter¬ scheidet nicht Hoch und Niedrig, nicht die Starken und die Schwachen im Geist. Wer auserwählt ist durch Gottes Gnade, schreitet sicher dnrch das Leben wie ein Gaul, dem die Augen geblendet sind, denn »welche der Herr berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht.« Dieses Glaubens voll hatten die Bürger von Haarlem und von Leyden auf ihren Wällen gefochten. Er empfing auf niederländischen Boden durch die Dvrdrechter Synode seine feste dogmatische Gestaltung, er bewahrte unleugbar am treuesten die ursprünglichen Gedanken der Reformation — jene erhabnen Lehren des Augustin, von denen einst Luther ausging — und durchdrang hier das gesamte Volksleben so übermächtig, daß mich die Katholiken sich ihm nicht entziehen konnten, auch Jansenius und die Utrechter „altrömische" Gemeinde an augustinischen Ideen sich begeisterten. Jener alttestamentarische Zug, der überall den strengen Calvinismus bezeichnet, war den gottseliger Domines der niederländischen Gomaristen so scharf auf¬ geprägt, daß sie oft von der Kanzel herab die Holländer als den neuen Stamm Juda, die Kinder Abrahams als die nächsten Glaubensverwandten der recht¬ gläubigen Protestanten Priesen. Solche Gefühle erwidernd hielt die Juden¬ schaft Mann für Mann zu der oranischen Partei." Diese war es nämlich, die, gestützt auf das fanatisirte gemeine Volk, die Lehre von der Vorherbestim¬ mung in ihrer ganzen Härte aufrecht erhielt, während die Staatenpartei, die dem monarchischen Zuge der Oranier widerstrebte und die Selbständigkeit der Provinzen aufrecht erhalten wollte, aus aufgeklärten duldsamer Aristokraten bestand, die der mildern Lehre des Armiuius zuneigten. Bekanntlich hat der ausgezeichnete Staatsmann Oldenbarnevelt, obwohl seine unsterblichen Verdienste um die Republik von niemand bestritten werden konnten, seine tolerante Gesinnung und seinen Kampf für die Selbständigkeit der Staaten ans dem Blutgerüste gebüßt. Wie sehr mußte ein Völkchen, das mit der Zweifellvsigkeit eines blinden Gauls — wir dürfen auch sagen eines wütenden Stiers — gerade auf sein Ziel losging, an Thatkraft jenem Philipp II. überlegen sein, den Wenzelburger ganz richtig als einen gewissenhaften, pedantischen Narren schildert, und der auch bei den dringendsten Angelegenheiten Wochen brauchte, um einen Ent¬ schluß zu fassen! Besonders, da die nimmer wankende Selbstgewißheit und Unbeugsamkeit des Willens von einem diplomatischen Verstände unterstützt wurde, der in Europa nicht seinesgleichen hatte und erst später in Richelieu einen ebenbürtigen Nebenbuhler fand. Wo jenem mit der göttlichen Allmacht sich eins wissenden Willen der kluge Berater bei der Auswahl der Mittel fehlte, da führte auch das enlvinische Gottvertrauen nicht immer zu einem guten Eude. Aus der cnlvinischen Lehre schöpfte Elisabeth, die Tochter Jakobs II-, die Zuversicht, mit der sie ihren leichtfertige» Gemahl, den Kur¬ fürsten Friedrich vou der Pfalz, in seinem überkühnen Vorhaben bestärkte:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/508>, abgerufen am 26.08.2024.