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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophischo Gedanken

geriet denn, sobald die Protestanten Luft bekamen, die politische Führung
überall in ihre Hände, wo sie es nur zu einer irgend beträchtlichen Zahl
brachten, und noch dazu hatten sie das unschätzbare Glück, in den Orcmiern
Staatsmänner und Feldherren ersten Ranges zu gewinnen, die ihrer Religion
angehörten. Den Katholiken blieb unter diesen Umständen nur die Wahl, ob
sie sich dem Willen der führenden Minderheit fügen oder die Sache der Un¬
abhängigkeit im Stich lassen und sich den Spaniern unterwerfen wollten.
Daß die Katholiken der sieben nördlichen Staaten, abweichend von ihren
Glaubensgenossen in den wallonischen und den flandrischen Provinzen, das
zweite Übel für das größere ansahen, läßt sich wohl aus der nüchternen Natur
des Stammes erklären, derzufolge bei ihnen die Anhänglichkeit an den katho¬
lischen Gottesdienst weniger lebhaft sein mochte. Vielleicht auch gab der Um¬
stand den Ausschlag, daß die materiellen Interessen des neuen Staates je-
länger desto mehr in Gegensatz traten nicht nlleiu zu den Interessen Spaniens,
sondern auch des unter seinen Szepter zurückkehrenden Flanderns.

Wir sind weit entfernt davon, den holländischen Calvinisten aus ihrer
Rücksichtslosigkeit einen Vorwurf machen zu wollen. Einer Kirche gegenüber,
die Scheiterhaufen und Folter als unentbehrliche Heilsmittel handhabte, wäre
zarte Rücksicht übel angebracht gewesen. Die holländischen Calvinisten übten
nur Wiedervergeltung und wehrten sich ihrer Haut; in so gewaltthätiger Zeit ist
der Angriff die einzig mögliche Form der Verteidigung; und außerdem waren
sie Vollstrecker eines Gottesgerichtes. Aber wenn die Duldung, die sie dem
Privatgottesdienste der Katholiken gewährten, sogar von Wenzelburger als
Ausfluß des freieren Geistes des Calvinismus gepriesen wird, so vergißt er
doch allzuschnell, was er selbst darüber gesagt hat. Der Calvinismus an sich
kennt nur die starre Unduldsamkeit; er ist so wenig gesonnen, "Amalek" und
sonstiges Heidenvolk zu verschonen, wie es die grimmen Leviten des Alten
Testamentes waren, die er sich zum Vorbild erwühlt hatte. Aber es wäre
geradezu Wahnsinn gewesen, über das Verbot des öffentlichen Gottesdienstes
hinauszugehen und mitten im Kriege mit einer katholischen Macht durch Ein¬
dringen in die Häuser, durch Unterdrückung des katholischen Privatgottesdienstes
und des privaten Meinungsaustausches die katholische Mehrheit zur Verzweif¬
lung zu treiben.

Daß es eine protestantische oder wenigstens eine von Protestanten ge¬
führte Bevölkerung war, der die Verteidigung der alten Volksfreiheit gegen
die neue Fürsteiltyrannei zufiel, und daß dieser Fürst Katholik war, erscheint
zwar, wenn man nur auf die Personen sieht, als Zufall, im Zusammenhange
der Weltbegebenheiten jedoch allerdings als höhere Fügung. Denn nicht allein
die leidenschaftliche Schwärmerei der Calvinisten sür alttestamentliche Vorbilder
war es, was ihnen in diesem Kampfe die Energie des Fanatismus einflößte,
sondern gerade und vor allem auch ihr Grunddogma: die Prädestination.


Geschichtsphilosophischo Gedanken

geriet denn, sobald die Protestanten Luft bekamen, die politische Führung
überall in ihre Hände, wo sie es nur zu einer irgend beträchtlichen Zahl
brachten, und noch dazu hatten sie das unschätzbare Glück, in den Orcmiern
Staatsmänner und Feldherren ersten Ranges zu gewinnen, die ihrer Religion
angehörten. Den Katholiken blieb unter diesen Umständen nur die Wahl, ob
sie sich dem Willen der führenden Minderheit fügen oder die Sache der Un¬
abhängigkeit im Stich lassen und sich den Spaniern unterwerfen wollten.
Daß die Katholiken der sieben nördlichen Staaten, abweichend von ihren
Glaubensgenossen in den wallonischen und den flandrischen Provinzen, das
zweite Übel für das größere ansahen, läßt sich wohl aus der nüchternen Natur
des Stammes erklären, derzufolge bei ihnen die Anhänglichkeit an den katho¬
lischen Gottesdienst weniger lebhaft sein mochte. Vielleicht auch gab der Um¬
stand den Ausschlag, daß die materiellen Interessen des neuen Staates je-
länger desto mehr in Gegensatz traten nicht nlleiu zu den Interessen Spaniens,
sondern auch des unter seinen Szepter zurückkehrenden Flanderns.

Wir sind weit entfernt davon, den holländischen Calvinisten aus ihrer
Rücksichtslosigkeit einen Vorwurf machen zu wollen. Einer Kirche gegenüber,
die Scheiterhaufen und Folter als unentbehrliche Heilsmittel handhabte, wäre
zarte Rücksicht übel angebracht gewesen. Die holländischen Calvinisten übten
nur Wiedervergeltung und wehrten sich ihrer Haut; in so gewaltthätiger Zeit ist
der Angriff die einzig mögliche Form der Verteidigung; und außerdem waren
sie Vollstrecker eines Gottesgerichtes. Aber wenn die Duldung, die sie dem
Privatgottesdienste der Katholiken gewährten, sogar von Wenzelburger als
Ausfluß des freieren Geistes des Calvinismus gepriesen wird, so vergißt er
doch allzuschnell, was er selbst darüber gesagt hat. Der Calvinismus an sich
kennt nur die starre Unduldsamkeit; er ist so wenig gesonnen, „Amalek" und
sonstiges Heidenvolk zu verschonen, wie es die grimmen Leviten des Alten
Testamentes waren, die er sich zum Vorbild erwühlt hatte. Aber es wäre
geradezu Wahnsinn gewesen, über das Verbot des öffentlichen Gottesdienstes
hinauszugehen und mitten im Kriege mit einer katholischen Macht durch Ein¬
dringen in die Häuser, durch Unterdrückung des katholischen Privatgottesdienstes
und des privaten Meinungsaustausches die katholische Mehrheit zur Verzweif¬
lung zu treiben.

Daß es eine protestantische oder wenigstens eine von Protestanten ge¬
führte Bevölkerung war, der die Verteidigung der alten Volksfreiheit gegen
die neue Fürsteiltyrannei zufiel, und daß dieser Fürst Katholik war, erscheint
zwar, wenn man nur auf die Personen sieht, als Zufall, im Zusammenhange
der Weltbegebenheiten jedoch allerdings als höhere Fügung. Denn nicht allein
die leidenschaftliche Schwärmerei der Calvinisten sür alttestamentliche Vorbilder
war es, was ihnen in diesem Kampfe die Energie des Fanatismus einflößte,
sondern gerade und vor allem auch ihr Grunddogma: die Prädestination.


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[0507] Geschichtsphilosophischo Gedanken geriet denn, sobald die Protestanten Luft bekamen, die politische Führung überall in ihre Hände, wo sie es nur zu einer irgend beträchtlichen Zahl brachten, und noch dazu hatten sie das unschätzbare Glück, in den Orcmiern Staatsmänner und Feldherren ersten Ranges zu gewinnen, die ihrer Religion angehörten. Den Katholiken blieb unter diesen Umständen nur die Wahl, ob sie sich dem Willen der führenden Minderheit fügen oder die Sache der Un¬ abhängigkeit im Stich lassen und sich den Spaniern unterwerfen wollten. Daß die Katholiken der sieben nördlichen Staaten, abweichend von ihren Glaubensgenossen in den wallonischen und den flandrischen Provinzen, das zweite Übel für das größere ansahen, läßt sich wohl aus der nüchternen Natur des Stammes erklären, derzufolge bei ihnen die Anhänglichkeit an den katho¬ lischen Gottesdienst weniger lebhaft sein mochte. Vielleicht auch gab der Um¬ stand den Ausschlag, daß die materiellen Interessen des neuen Staates je- länger desto mehr in Gegensatz traten nicht nlleiu zu den Interessen Spaniens, sondern auch des unter seinen Szepter zurückkehrenden Flanderns. Wir sind weit entfernt davon, den holländischen Calvinisten aus ihrer Rücksichtslosigkeit einen Vorwurf machen zu wollen. Einer Kirche gegenüber, die Scheiterhaufen und Folter als unentbehrliche Heilsmittel handhabte, wäre zarte Rücksicht übel angebracht gewesen. Die holländischen Calvinisten übten nur Wiedervergeltung und wehrten sich ihrer Haut; in so gewaltthätiger Zeit ist der Angriff die einzig mögliche Form der Verteidigung; und außerdem waren sie Vollstrecker eines Gottesgerichtes. Aber wenn die Duldung, die sie dem Privatgottesdienste der Katholiken gewährten, sogar von Wenzelburger als Ausfluß des freieren Geistes des Calvinismus gepriesen wird, so vergißt er doch allzuschnell, was er selbst darüber gesagt hat. Der Calvinismus an sich kennt nur die starre Unduldsamkeit; er ist so wenig gesonnen, „Amalek" und sonstiges Heidenvolk zu verschonen, wie es die grimmen Leviten des Alten Testamentes waren, die er sich zum Vorbild erwühlt hatte. Aber es wäre geradezu Wahnsinn gewesen, über das Verbot des öffentlichen Gottesdienstes hinauszugehen und mitten im Kriege mit einer katholischen Macht durch Ein¬ dringen in die Häuser, durch Unterdrückung des katholischen Privatgottesdienstes und des privaten Meinungsaustausches die katholische Mehrheit zur Verzweif¬ lung zu treiben. Daß es eine protestantische oder wenigstens eine von Protestanten ge¬ führte Bevölkerung war, der die Verteidigung der alten Volksfreiheit gegen die neue Fürsteiltyrannei zufiel, und daß dieser Fürst Katholik war, erscheint zwar, wenn man nur auf die Personen sieht, als Zufall, im Zusammenhange der Weltbegebenheiten jedoch allerdings als höhere Fügung. Denn nicht allein die leidenschaftliche Schwärmerei der Calvinisten sür alttestamentliche Vorbilder war es, was ihnen in diesem Kampfe die Energie des Fanatismus einflößte, sondern gerade und vor allem auch ihr Grunddogma: die Prädestination.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/507>, abgerufen am 26.08.2024.