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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur sozialen Frage

nehmer will Bezahlung seiner Arbeit. Auf Zins und Vergütung für die ge¬
leistete Arbeit kann unter keinen Umstanden (es sei denn für kurze Zeit, um
über eine schwierige Periode hinwegzukommen) verzichtet werden. Das Kapital,
dem die Zinsen ausbleiben, wird zurückgezogen, und ebenso zieht sich der Unter¬
nehmer zurück, dem die Leitung des Geschäftes, der Aufwand seiner Arbeits¬
kraft nicht vergütet wird. Nun aber kann der Unternehmergewinn über diese
zwei Erfordernisse: Verzinsung und Vergütung der aufgewandten Arbeitskraft,
noch weit hinausgehen. Dann wird es sich fragen, ob mit dein Geschäft be¬
deutendes Risiko verbunden ist, und ob nicht in dem über Verzinsung und
Gehalt des Unternehmers hinausgehenden Ertrage eine Versicherungsprämie
steckt, die aufgespart werden muß, um etwa eintretende Verluste zu decke".
Wenn dann nach Berücksichtigung aller dieser Erfordernisse noch etwas übrig
bleibt, dann kann erst in Frage kommen, wem nach Recht und Billigkeit dieses
Etwas gebührt.

Bei unsrer jetzigen Produktionsweise, wobei der Arbeiter mit Lohn ab¬
gefunden wird, bleibt aber der Gewinn in den Händen der Unternehmer und
Kapitalisten. Die günstige Konjunktur kommt ihnen allein zu gute. Nun
glaube" viele, die Sache einfach damit abmachen zu können, daß sie darauf
verweisen, daß auch die ungünstige Konjunktur, das Risiko, von den Arbeitern
nicht mit getragen werde, auch nicht getragen werden könne. Allein es giebt
sehr viele Unternehmungen, bei denen von Risiko kaum die Rede sein kauu.
Es kann ferner auch das wirklich vorhandene Risiko durch einen Zuschlag zu
den dem Kapital zufließenden Zinsen gedeckt werden. Die ungeheuern Ver¬
mögen, die durch industrielle und kaufmännische Unternehmungen gewonnen
werden, liefern den Beweis, daß die Aussichten auf Gewinn weit günstiger
sind, als die auf Verlust, und wenn das richtig ist, da"" ist die Überweisung
des ganzen Übergewinns an den Unternehmer nicht mehr darauf zu begründen,
daß der Unternehmer anch den etwaigen Verlust zu tragen habe. Daß im
Durchschnitt die geschäftlichen Unternehmungen nicht mit Schaden arbeiten,
erkennt man leicht aus dem erstaunlichen Reichtum, der sich beispielsweise in
Hamburg und Berlin angehäuft hat.

Wenn nun die Arbeiter sehen, daß in den Unternehmungen, in denen sie
beschäftigt sind, große Gewinne erübrigt werden, so ist es sehr begreiflich, daß
sie sich die Frage vorlegen, ob sie mit dem Lohne, der ihnen zu teil wird,
den richtigen und gerechten Anteil an dem Ergebnis der Produktion, das auf
dem Zusammenwirken von Arbeitskraft und Kapital beruht, erhalten. Die
bisherige Auffassung, daß die Arbeit eine Ware sei, die sich kaufen läßt, und
deren Preis wie der aller andern Waren sich durch Angebot und Nachfrage
bestimmt, will nicht mehr recht vorhalten; es ist in den Massen das Gefühl,
die Überzeugung davon wach geworden, daß die Arbeit ein Ausfluß, eine
Lebensäußerung der Persönlichkeit ist, die mit dieser in allerengstcr Beziehung


Zur sozialen Frage

nehmer will Bezahlung seiner Arbeit. Auf Zins und Vergütung für die ge¬
leistete Arbeit kann unter keinen Umstanden (es sei denn für kurze Zeit, um
über eine schwierige Periode hinwegzukommen) verzichtet werden. Das Kapital,
dem die Zinsen ausbleiben, wird zurückgezogen, und ebenso zieht sich der Unter¬
nehmer zurück, dem die Leitung des Geschäftes, der Aufwand seiner Arbeits¬
kraft nicht vergütet wird. Nun aber kann der Unternehmergewinn über diese
zwei Erfordernisse: Verzinsung und Vergütung der aufgewandten Arbeitskraft,
noch weit hinausgehen. Dann wird es sich fragen, ob mit dein Geschäft be¬
deutendes Risiko verbunden ist, und ob nicht in dem über Verzinsung und
Gehalt des Unternehmers hinausgehenden Ertrage eine Versicherungsprämie
steckt, die aufgespart werden muß, um etwa eintretende Verluste zu decke».
Wenn dann nach Berücksichtigung aller dieser Erfordernisse noch etwas übrig
bleibt, dann kann erst in Frage kommen, wem nach Recht und Billigkeit dieses
Etwas gebührt.

Bei unsrer jetzigen Produktionsweise, wobei der Arbeiter mit Lohn ab¬
gefunden wird, bleibt aber der Gewinn in den Händen der Unternehmer und
Kapitalisten. Die günstige Konjunktur kommt ihnen allein zu gute. Nun
glaube» viele, die Sache einfach damit abmachen zu können, daß sie darauf
verweisen, daß auch die ungünstige Konjunktur, das Risiko, von den Arbeitern
nicht mit getragen werde, auch nicht getragen werden könne. Allein es giebt
sehr viele Unternehmungen, bei denen von Risiko kaum die Rede sein kauu.
Es kann ferner auch das wirklich vorhandene Risiko durch einen Zuschlag zu
den dem Kapital zufließenden Zinsen gedeckt werden. Die ungeheuern Ver¬
mögen, die durch industrielle und kaufmännische Unternehmungen gewonnen
werden, liefern den Beweis, daß die Aussichten auf Gewinn weit günstiger
sind, als die auf Verlust, und wenn das richtig ist, da»» ist die Überweisung
des ganzen Übergewinns an den Unternehmer nicht mehr darauf zu begründen,
daß der Unternehmer anch den etwaigen Verlust zu tragen habe. Daß im
Durchschnitt die geschäftlichen Unternehmungen nicht mit Schaden arbeiten,
erkennt man leicht aus dem erstaunlichen Reichtum, der sich beispielsweise in
Hamburg und Berlin angehäuft hat.

Wenn nun die Arbeiter sehen, daß in den Unternehmungen, in denen sie
beschäftigt sind, große Gewinne erübrigt werden, so ist es sehr begreiflich, daß
sie sich die Frage vorlegen, ob sie mit dem Lohne, der ihnen zu teil wird,
den richtigen und gerechten Anteil an dem Ergebnis der Produktion, das auf
dem Zusammenwirken von Arbeitskraft und Kapital beruht, erhalten. Die
bisherige Auffassung, daß die Arbeit eine Ware sei, die sich kaufen läßt, und
deren Preis wie der aller andern Waren sich durch Angebot und Nachfrage
bestimmt, will nicht mehr recht vorhalten; es ist in den Massen das Gefühl,
die Überzeugung davon wach geworden, daß die Arbeit ein Ausfluß, eine
Lebensäußerung der Persönlichkeit ist, die mit dieser in allerengstcr Beziehung


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[0500] Zur sozialen Frage nehmer will Bezahlung seiner Arbeit. Auf Zins und Vergütung für die ge¬ leistete Arbeit kann unter keinen Umstanden (es sei denn für kurze Zeit, um über eine schwierige Periode hinwegzukommen) verzichtet werden. Das Kapital, dem die Zinsen ausbleiben, wird zurückgezogen, und ebenso zieht sich der Unter¬ nehmer zurück, dem die Leitung des Geschäftes, der Aufwand seiner Arbeits¬ kraft nicht vergütet wird. Nun aber kann der Unternehmergewinn über diese zwei Erfordernisse: Verzinsung und Vergütung der aufgewandten Arbeitskraft, noch weit hinausgehen. Dann wird es sich fragen, ob mit dein Geschäft be¬ deutendes Risiko verbunden ist, und ob nicht in dem über Verzinsung und Gehalt des Unternehmers hinausgehenden Ertrage eine Versicherungsprämie steckt, die aufgespart werden muß, um etwa eintretende Verluste zu decke». Wenn dann nach Berücksichtigung aller dieser Erfordernisse noch etwas übrig bleibt, dann kann erst in Frage kommen, wem nach Recht und Billigkeit dieses Etwas gebührt. Bei unsrer jetzigen Produktionsweise, wobei der Arbeiter mit Lohn ab¬ gefunden wird, bleibt aber der Gewinn in den Händen der Unternehmer und Kapitalisten. Die günstige Konjunktur kommt ihnen allein zu gute. Nun glaube» viele, die Sache einfach damit abmachen zu können, daß sie darauf verweisen, daß auch die ungünstige Konjunktur, das Risiko, von den Arbeitern nicht mit getragen werde, auch nicht getragen werden könne. Allein es giebt sehr viele Unternehmungen, bei denen von Risiko kaum die Rede sein kauu. Es kann ferner auch das wirklich vorhandene Risiko durch einen Zuschlag zu den dem Kapital zufließenden Zinsen gedeckt werden. Die ungeheuern Ver¬ mögen, die durch industrielle und kaufmännische Unternehmungen gewonnen werden, liefern den Beweis, daß die Aussichten auf Gewinn weit günstiger sind, als die auf Verlust, und wenn das richtig ist, da»» ist die Überweisung des ganzen Übergewinns an den Unternehmer nicht mehr darauf zu begründen, daß der Unternehmer anch den etwaigen Verlust zu tragen habe. Daß im Durchschnitt die geschäftlichen Unternehmungen nicht mit Schaden arbeiten, erkennt man leicht aus dem erstaunlichen Reichtum, der sich beispielsweise in Hamburg und Berlin angehäuft hat. Wenn nun die Arbeiter sehen, daß in den Unternehmungen, in denen sie beschäftigt sind, große Gewinne erübrigt werden, so ist es sehr begreiflich, daß sie sich die Frage vorlegen, ob sie mit dem Lohne, der ihnen zu teil wird, den richtigen und gerechten Anteil an dem Ergebnis der Produktion, das auf dem Zusammenwirken von Arbeitskraft und Kapital beruht, erhalten. Die bisherige Auffassung, daß die Arbeit eine Ware sei, die sich kaufen läßt, und deren Preis wie der aller andern Waren sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt, will nicht mehr recht vorhalten; es ist in den Massen das Gefühl, die Überzeugung davon wach geworden, daß die Arbeit ein Ausfluß, eine Lebensäußerung der Persönlichkeit ist, die mit dieser in allerengstcr Beziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/500>, abgerufen am 26.08.2024.