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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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!)omunc"ins und Herr Nenio

gleicher Weise den rechten Schlauch. Beide Operationen bitte ich Sie, lieber
Kollege Wirklich, auszuführen. Ich stelle indessen die elektrischen Apparate,
die in demselben Augenblick, wo der äußere Blutzufluß aufhört, das Herz
zum Schlagen bringen müssen. Die Atmung tritt dann bei einiger Nachhilfe
bald ein.

Dr. Wirklich griff in die Brusttasche und holte seine chirurgischen In¬
strumente hervor. Mit geübter Hand zog er deu linken Schlauch aus der
Vene und begann die Wunde zu schließen. Die Chirurgie war zu der Zeit,
wo unsre Geschichte spielt, viel weiter als im neunzehnten Jahrhundert, es
war einem so trefflichen Arzt wie Dr. Wirklich leicht, eine geringe Verletzung,
wie die hier vorliegende, binnen weniger Minuten so völlig zum Heilen zu
bringen, daß keine Spur zurückblieb. Der Doktor hatte die Gewohnheit, die
sich auch heutzutage bei manchen Chirurgen findet, während der Operation
ruhig weiterzusprechen, ohne doch die Aufmerksamkeit von dem Patienten ab¬
zuwenden. Eins, Herr Geheimrat -- sagte er --, ist mir immer noch unklar:
wenn Sie Ihrem Herrn Sohne hier auch den allerschärfsten Verstand mit¬
gegeben haben, wird er sich nicht etwas fremd auf dieser Welt vorkommen,
in die er jetzt als erwachsener Mensch ohne jede Erfahrung, ohne Kenntnisse,
ohne Erinnerung an eine Vergangenheit eintreten soll?

Lieber Kollege -- rief der Geheimrat von den elektrischen Apparaten
herüber --, wie können Sie so fragen! Sie müssen doch wissen, daß Kenntnisse
Erfahrungen, Erinnerungen nichts weiter sind als Falte" in der Gehirnsnbstanz.
Seien Sie überzeugt, ich habe mein Präparat mit genügend vielen solcher
Falten ausgestattet, sodaß es hoffentlich keinen Mangel fühlen wird. Aber
bitte, verrücke" Sie mir das Tischchen dort nicht, das hat anch seinen Zweck.

Man war mit den Vorbereitungen fertig. In demselben Augenblicke, wo
Dr. Wirklich den Einführungsschlauch aus dem Halse entfernte, drückte der
Geheimrat auf den Knopf seiner elektrischen Maschine, und sofort wurde der
Herzschlag vernehmbar. Nun eilte der Geheimrat, während der Doktor die
zweite Wunde in Behandlung nahm, an das Kopfende des Lagers und suchte
durch Heben und Senken der Arme die Atmung herbeizuführen.

Nach kaum einer Minute trat er zurück, und mit Verwunderung sah
Simmer, wie der Körper des Liegenden ruhig, wie im Schlafe atmete, während
das Gesicht die gesunde Farbe eines kräftigen Mannes annahm.

Bitte, treten Sie etwas zurück, meine Herren -- sagte der Geheimrat --,
ich möchte den Schlafenden jetzt wecken.

Wirklich befand sich in großer Erregung. Bist du uun überführt? flüsterte
er dem Freunde zu. Warte nur, erwiderte dieser nicht minder erregt, die
Hauptsache muß ja jetzt kommen.

Kein Zug in dem ernsten Gesicht des Geheimrath verriet, daß es sich
um die Entscheidung über die Hauptarbeit seines Lebens handelte; ruhig trat


!)omunc»ins und Herr Nenio

gleicher Weise den rechten Schlauch. Beide Operationen bitte ich Sie, lieber
Kollege Wirklich, auszuführen. Ich stelle indessen die elektrischen Apparate,
die in demselben Augenblick, wo der äußere Blutzufluß aufhört, das Herz
zum Schlagen bringen müssen. Die Atmung tritt dann bei einiger Nachhilfe
bald ein.

Dr. Wirklich griff in die Brusttasche und holte seine chirurgischen In¬
strumente hervor. Mit geübter Hand zog er deu linken Schlauch aus der
Vene und begann die Wunde zu schließen. Die Chirurgie war zu der Zeit,
wo unsre Geschichte spielt, viel weiter als im neunzehnten Jahrhundert, es
war einem so trefflichen Arzt wie Dr. Wirklich leicht, eine geringe Verletzung,
wie die hier vorliegende, binnen weniger Minuten so völlig zum Heilen zu
bringen, daß keine Spur zurückblieb. Der Doktor hatte die Gewohnheit, die
sich auch heutzutage bei manchen Chirurgen findet, während der Operation
ruhig weiterzusprechen, ohne doch die Aufmerksamkeit von dem Patienten ab¬
zuwenden. Eins, Herr Geheimrat — sagte er —, ist mir immer noch unklar:
wenn Sie Ihrem Herrn Sohne hier auch den allerschärfsten Verstand mit¬
gegeben haben, wird er sich nicht etwas fremd auf dieser Welt vorkommen,
in die er jetzt als erwachsener Mensch ohne jede Erfahrung, ohne Kenntnisse,
ohne Erinnerung an eine Vergangenheit eintreten soll?

Lieber Kollege — rief der Geheimrat von den elektrischen Apparaten
herüber —, wie können Sie so fragen! Sie müssen doch wissen, daß Kenntnisse
Erfahrungen, Erinnerungen nichts weiter sind als Falte» in der Gehirnsnbstanz.
Seien Sie überzeugt, ich habe mein Präparat mit genügend vielen solcher
Falten ausgestattet, sodaß es hoffentlich keinen Mangel fühlen wird. Aber
bitte, verrücke» Sie mir das Tischchen dort nicht, das hat anch seinen Zweck.

Man war mit den Vorbereitungen fertig. In demselben Augenblicke, wo
Dr. Wirklich den Einführungsschlauch aus dem Halse entfernte, drückte der
Geheimrat auf den Knopf seiner elektrischen Maschine, und sofort wurde der
Herzschlag vernehmbar. Nun eilte der Geheimrat, während der Doktor die
zweite Wunde in Behandlung nahm, an das Kopfende des Lagers und suchte
durch Heben und Senken der Arme die Atmung herbeizuführen.

Nach kaum einer Minute trat er zurück, und mit Verwunderung sah
Simmer, wie der Körper des Liegenden ruhig, wie im Schlafe atmete, während
das Gesicht die gesunde Farbe eines kräftigen Mannes annahm.

Bitte, treten Sie etwas zurück, meine Herren — sagte der Geheimrat —,
ich möchte den Schlafenden jetzt wecken.

Wirklich befand sich in großer Erregung. Bist du uun überführt? flüsterte
er dem Freunde zu. Warte nur, erwiderte dieser nicht minder erregt, die
Hauptsache muß ja jetzt kommen.

Kein Zug in dem ernsten Gesicht des Geheimrath verriet, daß es sich
um die Entscheidung über die Hauptarbeit seines Lebens handelte; ruhig trat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/486>, abgerufen am 26.08.2024.