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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homniic"lus und Herr Nemo

Bewegungen der Masse verursachen, aber wahrnehmen, empfinden, denken,
wollen wird er nie, und aus diesem Grunde, fürchte ich, wird es ein sehr
unbeholfenes Wesen werden, dessen Lebenserscheinungen mir vou kurzer
Dauer sind.

Der Geheimrat erhob sich. Diese Frage -- sagte er -- kann mir der
Versuch selbst entscheiden. Folgen Sie mir, meine Herren.

Mau betrat das Laboratorium. Rings an den Wunden und auf den
Tischen sah man Gefäße mit Chemikalien, Retorten, Gasometer, elektrische
Motoren und eine Menge andrer Apparate, wie sie das Handwerkszeug des
experimentirenden Physiologen im einundzwanzigsten Jahrhundert bildeten.
In der Mitte des Raumes bemerkte mau ans einem freistehenden Ruhebett
die kräftige Gestalt eines Jünglings, der wie im Schlafe lag. Die Angen
waren geschlossen, und das edel geformte Gesicht erschien blaß, wie das eines
Toten. Auch bemerkten die Freunde, als sie näher herantraten, daß kein
Atemzug die Brust bewegte. Die Gestalt war völlig und zwar nach der
neuesten Mode bekleidet, und fast schien es, als habe sich der junge Mann
ebeu erst hier niedergelegt. Bestärkt wurde dieser Eindruck noch durch ein
Tischchen, das neben dem Ruhebett stand, und auf dem sich neben einem aus¬
geschlagnen Buch ein halbvolles Glas Wem und eine halb aufgerauchte Zigarre
befanden. Das auffälligste aber war, daß in den Hals des Körpers zwei
Gummischläuche endeten, die zu verschiednen geschlossenen Gefäßen hinführten.

Dr. Wirklich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören. Wie -- sagte er
einen erwachsenen Menschen haben Sie zusammengestellt, Herr Geheimrat?
Ich glaubte, daß uns ein Kind auf den ersten Entwicklungsstufen vorgeführt
werden würde.

Das wäre allerdings leichter gewesen -- erwiderte der Geheimrat - , aber
um unsers Freundes willen freut es mich doch, daß ich das Schwerere ge¬
wühlt habe; wir werden uun nicht so lange auf Äußerungen der Vernunft zu
warten brauchen, wie es bei einem Neugebornen der Fall sein würde. Doch
nnn aus Werk. Es bedarf, um dies Gebilde ins Leben zu rufen, uur "och
weniger Arbeit, und ich habe diese bis jetzt aufgespart, damit Sie mir nicht
etwa vorwerfe", ich hätte Sie zum Besten und mir irgend ein Individuum
gedungen, die Rolle des llomunoulus zu spiele". Wie Sie sich überzeugen
können, findet hier zur Zeit weder Atmung noch Herzschlag statt. Trotzdem
ist der Körper nicht etwa blutleer. Ich lasse hier durch den Schlauch zur
Rechten etwas vou meinem künstlichen Blut in die große Arterie eintreten,
gerade genug, die Adern offen zu halten und vor Fäulnis zu schützen. Durch
den linken Schlauch fließt es nach vollendetem Kreislauf wieder ab. Es er¬
übrigt nnr, den linken Schlauch zu entfernen und die kleine Wunde am Halse
zu schließen. Dann warten wir, bis genügend viel Blut im Körper ist, was
nur ein besonders kvustruirter Apparat anzeigt, und entfernen alsbald in


Homniic»lus und Herr Nemo

Bewegungen der Masse verursachen, aber wahrnehmen, empfinden, denken,
wollen wird er nie, und aus diesem Grunde, fürchte ich, wird es ein sehr
unbeholfenes Wesen werden, dessen Lebenserscheinungen mir vou kurzer
Dauer sind.

Der Geheimrat erhob sich. Diese Frage — sagte er — kann mir der
Versuch selbst entscheiden. Folgen Sie mir, meine Herren.

Mau betrat das Laboratorium. Rings an den Wunden und auf den
Tischen sah man Gefäße mit Chemikalien, Retorten, Gasometer, elektrische
Motoren und eine Menge andrer Apparate, wie sie das Handwerkszeug des
experimentirenden Physiologen im einundzwanzigsten Jahrhundert bildeten.
In der Mitte des Raumes bemerkte mau ans einem freistehenden Ruhebett
die kräftige Gestalt eines Jünglings, der wie im Schlafe lag. Die Angen
waren geschlossen, und das edel geformte Gesicht erschien blaß, wie das eines
Toten. Auch bemerkten die Freunde, als sie näher herantraten, daß kein
Atemzug die Brust bewegte. Die Gestalt war völlig und zwar nach der
neuesten Mode bekleidet, und fast schien es, als habe sich der junge Mann
ebeu erst hier niedergelegt. Bestärkt wurde dieser Eindruck noch durch ein
Tischchen, das neben dem Ruhebett stand, und auf dem sich neben einem aus¬
geschlagnen Buch ein halbvolles Glas Wem und eine halb aufgerauchte Zigarre
befanden. Das auffälligste aber war, daß in den Hals des Körpers zwei
Gummischläuche endeten, die zu verschiednen geschlossenen Gefäßen hinführten.

Dr. Wirklich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören. Wie — sagte er
einen erwachsenen Menschen haben Sie zusammengestellt, Herr Geheimrat?
Ich glaubte, daß uns ein Kind auf den ersten Entwicklungsstufen vorgeführt
werden würde.

Das wäre allerdings leichter gewesen — erwiderte der Geheimrat - , aber
um unsers Freundes willen freut es mich doch, daß ich das Schwerere ge¬
wühlt habe; wir werden uun nicht so lange auf Äußerungen der Vernunft zu
warten brauchen, wie es bei einem Neugebornen der Fall sein würde. Doch
nnn aus Werk. Es bedarf, um dies Gebilde ins Leben zu rufen, uur »och
weniger Arbeit, und ich habe diese bis jetzt aufgespart, damit Sie mir nicht
etwa vorwerfe», ich hätte Sie zum Besten und mir irgend ein Individuum
gedungen, die Rolle des llomunoulus zu spiele». Wie Sie sich überzeugen
können, findet hier zur Zeit weder Atmung noch Herzschlag statt. Trotzdem
ist der Körper nicht etwa blutleer. Ich lasse hier durch den Schlauch zur
Rechten etwas vou meinem künstlichen Blut in die große Arterie eintreten,
gerade genug, die Adern offen zu halten und vor Fäulnis zu schützen. Durch
den linken Schlauch fließt es nach vollendetem Kreislauf wieder ab. Es er¬
übrigt nnr, den linken Schlauch zu entfernen und die kleine Wunde am Halse
zu schließen. Dann warten wir, bis genügend viel Blut im Körper ist, was
nur ein besonders kvustruirter Apparat anzeigt, und entfernen alsbald in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/485>, abgerufen am 26.08.2024.