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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder

jeder ganz ausleeren und vorher die Worte sprechen: "Prosit, wers Glück
trifft!" Die andern antworteten: "Prosit, daß es mich trifft!"

Wenn aber einer die vorgeschriebnen Worte nicht mitsprach oder etwas
davon ausließ oder ein verkehrtes Wort herausbrachte, so wurde ihm alsbald
die sogenannte Armen- oder Strafbüchse hingehalten, er mußte eiuen Kreuzer
hineinwerfen, worauf die andern zu sagen hatten: "Großen Dank von wegen
der Armen!" Und wer diese letzten Worte nicht mitsprach, hatte gleichfalls
eiuen Kreuzer zu erlegen. Solange die eigentliche Feier dauerte, war es ver¬
boten, aufzustehen und hinauszugehen, die Hand auf den Tisch zu legen, ein
Messer sehen zu lassen, den Namen eines Vogels oder sonst eines Tieres aus¬
zusprechen, zu fluchen oder andre ärgerliche Reden zu führen. Wer gegen eine
von diesen Regeln verstieß, mußte ebenfalls Strafe zahlen; ebenso wenn einer
Bier auf dem Tisch verschüttete, und es mehr war, als er mit der Hand
bedecken konnte. Außer dem scheidenden Gesellen durfte niemand während der
Feier essen, und trinken nur, wenn eine von den Kannen in der Reihe an
ihn gelangte.

Sobald der Kredenzer geleert war, erhob sich der "Fremde" und bedankte
sich bei der Gesellschaft für das empfangn" Geschenk; der Altgeselle aber ver¬
kündete, daß das Ausgeschenk ein Ende habe. Damit war die eigentliche Feier
beschlossen.

Niemand wird behaupten wollen, daß die beschriebne Prozedur etwas be¬
sonders Tiefsinniges gewesen sei, es war aber am Ende doch ein ganz hübscher
Brauch. Selbst die vielen kleinen Gebote und Verbote, die uns allerdings
etwas seltsam anmuten, hatten eine gewisse Bedeutung. Sie sollte" helfen,
die Feier in schicklichen Formen zu halten und vor allem Ausbrüche vou
Roheit unmöglich machen. Man darf auch nicht vergessen, daß die Teil¬
nehmer nieist junge Leute waren, denen die Fähigkeit, sich über Kindereien zu
freuen, uoch uicht verloren gegangen war. Noch hentigestags treibt ja sogar
unsre akademische Jugend mit Eifer und Behagen gar manches, was dem
nüchternen Beobachter auch nicht viel gescheiter aussieht. Man kann sich leicht
das geschäftige Ergötzen vorstellen, womit die ehrbaren Mitglieder einer kunst¬
liebenden Gesellschaft auf einander aufpaßten und Verstöße gegen jene Regeln
zur Strafe brachte".

Andrerseits war freilich gerade hiermit auch vielfach Anlaß zu ärger¬
lichem Gezänk gegeben, und noch bedenklicher war der Umstand, daß, wie der
Gesellenvater am Schlüsse seiner ersten Ansprache bemerkte, der Junggeselle,
d. i. der, dem die Sorge für Herbeischaffung der Getränke oblag, nicht weit
war. Die richtige Zecherei scheint stets erst, nachdem die eigentliche Feier
vorüber war, begonnen zu haben. Die kunstliebende Gesellschaft setzte einen
besondern Stolz darein, daß der abziehende Kollege an fremden Orten rühmen
konnte, wie stattlich er bei seinem Scheiden von Augsburg traktirt worden sei.


Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder

jeder ganz ausleeren und vorher die Worte sprechen: „Prosit, wers Glück
trifft!" Die andern antworteten: „Prosit, daß es mich trifft!"

Wenn aber einer die vorgeschriebnen Worte nicht mitsprach oder etwas
davon ausließ oder ein verkehrtes Wort herausbrachte, so wurde ihm alsbald
die sogenannte Armen- oder Strafbüchse hingehalten, er mußte eiuen Kreuzer
hineinwerfen, worauf die andern zu sagen hatten: „Großen Dank von wegen
der Armen!" Und wer diese letzten Worte nicht mitsprach, hatte gleichfalls
eiuen Kreuzer zu erlegen. Solange die eigentliche Feier dauerte, war es ver¬
boten, aufzustehen und hinauszugehen, die Hand auf den Tisch zu legen, ein
Messer sehen zu lassen, den Namen eines Vogels oder sonst eines Tieres aus¬
zusprechen, zu fluchen oder andre ärgerliche Reden zu führen. Wer gegen eine
von diesen Regeln verstieß, mußte ebenfalls Strafe zahlen; ebenso wenn einer
Bier auf dem Tisch verschüttete, und es mehr war, als er mit der Hand
bedecken konnte. Außer dem scheidenden Gesellen durfte niemand während der
Feier essen, und trinken nur, wenn eine von den Kannen in der Reihe an
ihn gelangte.

Sobald der Kredenzer geleert war, erhob sich der „Fremde" und bedankte
sich bei der Gesellschaft für das empfangn« Geschenk; der Altgeselle aber ver¬
kündete, daß das Ausgeschenk ein Ende habe. Damit war die eigentliche Feier
beschlossen.

Niemand wird behaupten wollen, daß die beschriebne Prozedur etwas be¬
sonders Tiefsinniges gewesen sei, es war aber am Ende doch ein ganz hübscher
Brauch. Selbst die vielen kleinen Gebote und Verbote, die uns allerdings
etwas seltsam anmuten, hatten eine gewisse Bedeutung. Sie sollte» helfen,
die Feier in schicklichen Formen zu halten und vor allem Ausbrüche vou
Roheit unmöglich machen. Man darf auch nicht vergessen, daß die Teil¬
nehmer nieist junge Leute waren, denen die Fähigkeit, sich über Kindereien zu
freuen, uoch uicht verloren gegangen war. Noch hentigestags treibt ja sogar
unsre akademische Jugend mit Eifer und Behagen gar manches, was dem
nüchternen Beobachter auch nicht viel gescheiter aussieht. Man kann sich leicht
das geschäftige Ergötzen vorstellen, womit die ehrbaren Mitglieder einer kunst¬
liebenden Gesellschaft auf einander aufpaßten und Verstöße gegen jene Regeln
zur Strafe brachte».

Andrerseits war freilich gerade hiermit auch vielfach Anlaß zu ärger¬
lichem Gezänk gegeben, und noch bedenklicher war der Umstand, daß, wie der
Gesellenvater am Schlüsse seiner ersten Ansprache bemerkte, der Junggeselle,
d. i. der, dem die Sorge für Herbeischaffung der Getränke oblag, nicht weit
war. Die richtige Zecherei scheint stets erst, nachdem die eigentliche Feier
vorüber war, begonnen zu haben. Die kunstliebende Gesellschaft setzte einen
besondern Stolz darein, daß der abziehende Kollege an fremden Orten rühmen
konnte, wie stattlich er bei seinem Scheiden von Augsburg traktirt worden sei.


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[0468] Das Ausgeschenk der Augsburger Buchbinder jeder ganz ausleeren und vorher die Worte sprechen: „Prosit, wers Glück trifft!" Die andern antworteten: „Prosit, daß es mich trifft!" Wenn aber einer die vorgeschriebnen Worte nicht mitsprach oder etwas davon ausließ oder ein verkehrtes Wort herausbrachte, so wurde ihm alsbald die sogenannte Armen- oder Strafbüchse hingehalten, er mußte eiuen Kreuzer hineinwerfen, worauf die andern zu sagen hatten: „Großen Dank von wegen der Armen!" Und wer diese letzten Worte nicht mitsprach, hatte gleichfalls eiuen Kreuzer zu erlegen. Solange die eigentliche Feier dauerte, war es ver¬ boten, aufzustehen und hinauszugehen, die Hand auf den Tisch zu legen, ein Messer sehen zu lassen, den Namen eines Vogels oder sonst eines Tieres aus¬ zusprechen, zu fluchen oder andre ärgerliche Reden zu führen. Wer gegen eine von diesen Regeln verstieß, mußte ebenfalls Strafe zahlen; ebenso wenn einer Bier auf dem Tisch verschüttete, und es mehr war, als er mit der Hand bedecken konnte. Außer dem scheidenden Gesellen durfte niemand während der Feier essen, und trinken nur, wenn eine von den Kannen in der Reihe an ihn gelangte. Sobald der Kredenzer geleert war, erhob sich der „Fremde" und bedankte sich bei der Gesellschaft für das empfangn« Geschenk; der Altgeselle aber ver¬ kündete, daß das Ausgeschenk ein Ende habe. Damit war die eigentliche Feier beschlossen. Niemand wird behaupten wollen, daß die beschriebne Prozedur etwas be¬ sonders Tiefsinniges gewesen sei, es war aber am Ende doch ein ganz hübscher Brauch. Selbst die vielen kleinen Gebote und Verbote, die uns allerdings etwas seltsam anmuten, hatten eine gewisse Bedeutung. Sie sollte» helfen, die Feier in schicklichen Formen zu halten und vor allem Ausbrüche vou Roheit unmöglich machen. Man darf auch nicht vergessen, daß die Teil¬ nehmer nieist junge Leute waren, denen die Fähigkeit, sich über Kindereien zu freuen, uoch uicht verloren gegangen war. Noch hentigestags treibt ja sogar unsre akademische Jugend mit Eifer und Behagen gar manches, was dem nüchternen Beobachter auch nicht viel gescheiter aussieht. Man kann sich leicht das geschäftige Ergötzen vorstellen, womit die ehrbaren Mitglieder einer kunst¬ liebenden Gesellschaft auf einander aufpaßten und Verstöße gegen jene Regeln zur Strafe brachte». Andrerseits war freilich gerade hiermit auch vielfach Anlaß zu ärger¬ lichem Gezänk gegeben, und noch bedenklicher war der Umstand, daß, wie der Gesellenvater am Schlüsse seiner ersten Ansprache bemerkte, der Junggeselle, d. i. der, dem die Sorge für Herbeischaffung der Getränke oblag, nicht weit war. Die richtige Zecherei scheint stets erst, nachdem die eigentliche Feier vorüber war, begonnen zu haben. Die kunstliebende Gesellschaft setzte einen besondern Stolz darein, daß der abziehende Kollege an fremden Orten rühmen konnte, wie stattlich er bei seinem Scheiden von Augsburg traktirt worden sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/468>, abgerufen am 26.08.2024.