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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Das Alisgeschenk der Augsburger Buchbinder

gaffe ^. 15, war, festlich hergerichtet, das Trinkgeschirr der Innung aus der
Lade geholt, sauber geputzt und ausgebreitet. Für jeden Abreisenden aber
ward ein Maß Wein auf deu Tisch gesetzt, wovon drei Viertel in ein größeres
Geschirr, der Kredenzer genannt, geschüttet wurden; den Nest verteilte man
in mehrere kleine Gefäße, die Kollationskändel. Hierauf hatte der Vorsteher,
der Altgeselle oder, wie mal, ihn gewöhnlich nannte, der Gesellenvater folgende
Ansprache zu halten: "Es ist in dieser, des heiligen römischen Reichs Stadt
Augsburg der löbliche Gebrauch, daß einem Gesellen, so vierzehn Tage oder
länger allhie gearbeitet, wenn er an einem Auflagetag fremd wird, das Aus¬
geschenk gehalten wird: also will ich Ihm dieses im Namen der ganzen Ge¬
sellschaft zugebracht haben. Daraus hat Er drei Trunke zu verschenken, einen
an den Herbergsvater, einen an die Herbergsmutter und einen an sonst einen
guten Freund. Sollte es sonst noch an etwas ermangeln, so wird der Jung¬
geselle nicht weit sein."

Bei diesen letzten Worten mußte der Junggeselle mit dem Deckel seiner
Kanne klappern. Der sogenannte "Fremde" aber nahm zuerst die Kollations¬
kändel, goß den darin befindlichen Wein in eins zusammen und trank ihn
auf aller Gesellen Gesundheit in einem Zuge aus. Sodann ergriff er den
Kredenzer und trank dem Herbergsvater mit den Worten zu: "Vivat, es lebe
der Herr Vatter, wie auch eine ganze kunstliebende Gesellschaft, die Stifter
des Kredenzers nicht zu vergessen!


Sind sie noch am Leben,
Woll ihnen Gott alles Gute geben;
Sind sie aber tot,
So begrabe sie der liebe Gott!"

Während nun der Herbergsvater mit dem Kredenzer Bescheid that, mußten
sämtliche Gesellen antworten: "Vivat, es lebe der Reisende!"

Die beiden andern Trunke vollzogen sich unter gleichen Formalitüten.
Hervorzuheben ist "och, daß die drei Personen, denen der scheidende Geselle
zuzutrinken hatte, nnr kleine Schlucke nehmen durften; dieser selbst aber war,
wenn er sich auch die Zeit nach Belieben einteilen konnte, verpflichtet, den
Kredenzer in drei Absätzen zu leeren. Brachte er dies nicht zuwege, so mußte
er sich aufstellen und so lange stehen bleiben, bis die übrigen den Rest aus¬
getrunken hatten.

Inzwischen kreiste unter den Gesellen eine große, mit Bier angefüllte
Kanne, die die Meisterkanne genannt worden war, weil sie die Meister gestiftet
hatten. Jeder mußte daraus der Reihe uach trinken und dazu die Worte
sprechen: "Vivat, es lebe die ganze kunstliebende Meisterschaft! Die Stifter
dieser Kanne nicht zu vergesse"! sind sie noch am Leben" u. s. w. wie oben.
Die übrigen antworteten: "Vivat, sollen leben!" Neben der Meisterkanne ging
noch ein kleineres Geschirr um, das das Glückskündel hieß. Dieses mußte


Das Alisgeschenk der Augsburger Buchbinder

gaffe ^. 15, war, festlich hergerichtet, das Trinkgeschirr der Innung aus der
Lade geholt, sauber geputzt und ausgebreitet. Für jeden Abreisenden aber
ward ein Maß Wein auf deu Tisch gesetzt, wovon drei Viertel in ein größeres
Geschirr, der Kredenzer genannt, geschüttet wurden; den Nest verteilte man
in mehrere kleine Gefäße, die Kollationskändel. Hierauf hatte der Vorsteher,
der Altgeselle oder, wie mal, ihn gewöhnlich nannte, der Gesellenvater folgende
Ansprache zu halten: „Es ist in dieser, des heiligen römischen Reichs Stadt
Augsburg der löbliche Gebrauch, daß einem Gesellen, so vierzehn Tage oder
länger allhie gearbeitet, wenn er an einem Auflagetag fremd wird, das Aus¬
geschenk gehalten wird: also will ich Ihm dieses im Namen der ganzen Ge¬
sellschaft zugebracht haben. Daraus hat Er drei Trunke zu verschenken, einen
an den Herbergsvater, einen an die Herbergsmutter und einen an sonst einen
guten Freund. Sollte es sonst noch an etwas ermangeln, so wird der Jung¬
geselle nicht weit sein."

Bei diesen letzten Worten mußte der Junggeselle mit dem Deckel seiner
Kanne klappern. Der sogenannte „Fremde" aber nahm zuerst die Kollations¬
kändel, goß den darin befindlichen Wein in eins zusammen und trank ihn
auf aller Gesellen Gesundheit in einem Zuge aus. Sodann ergriff er den
Kredenzer und trank dem Herbergsvater mit den Worten zu: „Vivat, es lebe
der Herr Vatter, wie auch eine ganze kunstliebende Gesellschaft, die Stifter
des Kredenzers nicht zu vergessen!


Sind sie noch am Leben,
Woll ihnen Gott alles Gute geben;
Sind sie aber tot,
So begrabe sie der liebe Gott!"

Während nun der Herbergsvater mit dem Kredenzer Bescheid that, mußten
sämtliche Gesellen antworten: „Vivat, es lebe der Reisende!"

Die beiden andern Trunke vollzogen sich unter gleichen Formalitüten.
Hervorzuheben ist »och, daß die drei Personen, denen der scheidende Geselle
zuzutrinken hatte, nnr kleine Schlucke nehmen durften; dieser selbst aber war,
wenn er sich auch die Zeit nach Belieben einteilen konnte, verpflichtet, den
Kredenzer in drei Absätzen zu leeren. Brachte er dies nicht zuwege, so mußte
er sich aufstellen und so lange stehen bleiben, bis die übrigen den Rest aus¬
getrunken hatten.

Inzwischen kreiste unter den Gesellen eine große, mit Bier angefüllte
Kanne, die die Meisterkanne genannt worden war, weil sie die Meister gestiftet
hatten. Jeder mußte daraus der Reihe uach trinken und dazu die Worte
sprechen: „Vivat, es lebe die ganze kunstliebende Meisterschaft! Die Stifter
dieser Kanne nicht zu vergesse»! sind sie noch am Leben" u. s. w. wie oben.
Die übrigen antworteten: „Vivat, sollen leben!" Neben der Meisterkanne ging
noch ein kleineres Geschirr um, das das Glückskündel hieß. Dieses mußte


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[0467] Das Alisgeschenk der Augsburger Buchbinder gaffe ^. 15, war, festlich hergerichtet, das Trinkgeschirr der Innung aus der Lade geholt, sauber geputzt und ausgebreitet. Für jeden Abreisenden aber ward ein Maß Wein auf deu Tisch gesetzt, wovon drei Viertel in ein größeres Geschirr, der Kredenzer genannt, geschüttet wurden; den Nest verteilte man in mehrere kleine Gefäße, die Kollationskändel. Hierauf hatte der Vorsteher, der Altgeselle oder, wie mal, ihn gewöhnlich nannte, der Gesellenvater folgende Ansprache zu halten: „Es ist in dieser, des heiligen römischen Reichs Stadt Augsburg der löbliche Gebrauch, daß einem Gesellen, so vierzehn Tage oder länger allhie gearbeitet, wenn er an einem Auflagetag fremd wird, das Aus¬ geschenk gehalten wird: also will ich Ihm dieses im Namen der ganzen Ge¬ sellschaft zugebracht haben. Daraus hat Er drei Trunke zu verschenken, einen an den Herbergsvater, einen an die Herbergsmutter und einen an sonst einen guten Freund. Sollte es sonst noch an etwas ermangeln, so wird der Jung¬ geselle nicht weit sein." Bei diesen letzten Worten mußte der Junggeselle mit dem Deckel seiner Kanne klappern. Der sogenannte „Fremde" aber nahm zuerst die Kollations¬ kändel, goß den darin befindlichen Wein in eins zusammen und trank ihn auf aller Gesellen Gesundheit in einem Zuge aus. Sodann ergriff er den Kredenzer und trank dem Herbergsvater mit den Worten zu: „Vivat, es lebe der Herr Vatter, wie auch eine ganze kunstliebende Gesellschaft, die Stifter des Kredenzers nicht zu vergessen! Sind sie noch am Leben, Woll ihnen Gott alles Gute geben; Sind sie aber tot, So begrabe sie der liebe Gott!" Während nun der Herbergsvater mit dem Kredenzer Bescheid that, mußten sämtliche Gesellen antworten: „Vivat, es lebe der Reisende!" Die beiden andern Trunke vollzogen sich unter gleichen Formalitüten. Hervorzuheben ist »och, daß die drei Personen, denen der scheidende Geselle zuzutrinken hatte, nnr kleine Schlucke nehmen durften; dieser selbst aber war, wenn er sich auch die Zeit nach Belieben einteilen konnte, verpflichtet, den Kredenzer in drei Absätzen zu leeren. Brachte er dies nicht zuwege, so mußte er sich aufstellen und so lange stehen bleiben, bis die übrigen den Rest aus¬ getrunken hatten. Inzwischen kreiste unter den Gesellen eine große, mit Bier angefüllte Kanne, die die Meisterkanne genannt worden war, weil sie die Meister gestiftet hatten. Jeder mußte daraus der Reihe uach trinken und dazu die Worte sprechen: „Vivat, es lebe die ganze kunstliebende Meisterschaft! Die Stifter dieser Kanne nicht zu vergesse»! sind sie noch am Leben" u. s. w. wie oben. Die übrigen antworteten: „Vivat, sollen leben!" Neben der Meisterkanne ging noch ein kleineres Geschirr um, das das Glückskündel hieß. Dieses mußte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/467>, abgerufen am 26.08.2024.