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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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das Reichspatent vom 22, Juni 1731 in Augsburg ein bloßes Stück Papier
geblieben; allein fast in allen Gewerken fanden sich Meister oder Gesellen, die
aus persönlichen Interessen oder sonstigen Gründen Ursache hatten, mit diesen
oder jenen Übelständen unzufrieden zu sein. Bei einzelnen wirkte sogar schon
ein gewisser Aufkläruugseifer als treibendes Motiv; und es wurden dann auch
wohl vielleicht uicht gerade übermäßig vernünftige, aber doch harmlose Ge¬
wohnheiten mit den schreiendsten Mißbräuchen in einen Topf geworfen. So¬
wie aber unter Beziehung auf das neue Gesetz bestimmte Klagen einliefen,
waren die Behörden gezwungen, sich in Bewegung zu setzen, und sie ließen
sich daun oft von ihren Sympathien für Reform und für den Augenblick hin¬
reißen, entschiedner auf die Seite der Beschwerdeführer zu treten, als ihnen
nachher angenehm war, denn der Weg zurück war nicht immer gleich wieder
zu finden. Er wurde aber doch in der Regel gefunden. Wenn wir am Ende
zusehen, so waren sie selten weiter gegangen, als unumgänglich notwendig war.

Im folgenden soll an einem besondern Falle gezeigt werden, wie diese
Dinge gewöhnlich behandelt wurden. Unter hundert ähnlichen Fällen könnte,
was die sachliche Behandlung anlangt, gerade so gut ein andrer herausgegriffen
werden; der vorliegende hat aber den Vorzug, daß wir darin zugleich von
Mozarts Großvater, dem Buchbinder Joh. Georg Mozart, von dem außer
ein paar Daten bis jetzt nichts bekannt ist, eine Lebensäußerung erhalten.

Bei den Augsburger Buchbindern war es Brauch, unter gewisse" Um¬
ständen, die übrigens ziemlich regelmäßig eintraten, den Abschied eines Gesellen
mit einem eigentümlichen Zeremoniell zu feiern. Aller sechs Wochen fand eine
sogenannte Auflage statt, d. h. die Buchbindergesellen versammelten sich jeden
sechsten Sonntag auf ihrer Herberge, und jeder mußte hier für jede Woche,
die er in Arbeit gestanden hatte, einen Kreuzer in die Gesellenkasse oder, wie
der Ausdruck lautete, in die Lade zahlen. Das Geld, das ans diese Weise
zusammenkam, war nebst andern Jnnnngsgeldern bestimmt, zur Unterstützung
von Buchbindergeselleu, die durch Krankheit oder ans andern Ursachen in
Bedrängnis geraten waren, verwendet zu werden, wurde aber diesem Zweck
mitunter entfremdet.

Wenn nnn ein Geselle zufällig an einem Auflagetag feinen Abschied nahm
oder, wie man sagte, "fremd ward" -- und die meisten richteten es so ein,
daß dies an einem solchen Tage geschah --, so war es herkömmlich, daß ihm
die zurückbleibenden ein solennes Trinkgelage spendeten. Man nannte dies
das Ausgeschcnk; und je nachdem es ein, zwei oder drei Abreisende waren,
mußte, mit Ausnahme dieser, jeder in Augsburg befindliche Vuchbindergeselle,
gleichviel ob er an der Feier teilnahm oder nicht, zur Bestreitung der Kosten
zehn, zwölf oder fünfzehn Kreuzer entrichten.

Nachdem dies geschehen war, wurde die Herberge, die während des vo¬
rigen Jahrhunderts trüge Zeit in der Bierbrauerei zur Sackpfeife, Bäcker-


das Reichspatent vom 22, Juni 1731 in Augsburg ein bloßes Stück Papier
geblieben; allein fast in allen Gewerken fanden sich Meister oder Gesellen, die
aus persönlichen Interessen oder sonstigen Gründen Ursache hatten, mit diesen
oder jenen Übelständen unzufrieden zu sein. Bei einzelnen wirkte sogar schon
ein gewisser Aufkläruugseifer als treibendes Motiv; und es wurden dann auch
wohl vielleicht uicht gerade übermäßig vernünftige, aber doch harmlose Ge¬
wohnheiten mit den schreiendsten Mißbräuchen in einen Topf geworfen. So¬
wie aber unter Beziehung auf das neue Gesetz bestimmte Klagen einliefen,
waren die Behörden gezwungen, sich in Bewegung zu setzen, und sie ließen
sich daun oft von ihren Sympathien für Reform und für den Augenblick hin¬
reißen, entschiedner auf die Seite der Beschwerdeführer zu treten, als ihnen
nachher angenehm war, denn der Weg zurück war nicht immer gleich wieder
zu finden. Er wurde aber doch in der Regel gefunden. Wenn wir am Ende
zusehen, so waren sie selten weiter gegangen, als unumgänglich notwendig war.

Im folgenden soll an einem besondern Falle gezeigt werden, wie diese
Dinge gewöhnlich behandelt wurden. Unter hundert ähnlichen Fällen könnte,
was die sachliche Behandlung anlangt, gerade so gut ein andrer herausgegriffen
werden; der vorliegende hat aber den Vorzug, daß wir darin zugleich von
Mozarts Großvater, dem Buchbinder Joh. Georg Mozart, von dem außer
ein paar Daten bis jetzt nichts bekannt ist, eine Lebensäußerung erhalten.

Bei den Augsburger Buchbindern war es Brauch, unter gewisse« Um¬
ständen, die übrigens ziemlich regelmäßig eintraten, den Abschied eines Gesellen
mit einem eigentümlichen Zeremoniell zu feiern. Aller sechs Wochen fand eine
sogenannte Auflage statt, d. h. die Buchbindergesellen versammelten sich jeden
sechsten Sonntag auf ihrer Herberge, und jeder mußte hier für jede Woche,
die er in Arbeit gestanden hatte, einen Kreuzer in die Gesellenkasse oder, wie
der Ausdruck lautete, in die Lade zahlen. Das Geld, das ans diese Weise
zusammenkam, war nebst andern Jnnnngsgeldern bestimmt, zur Unterstützung
von Buchbindergeselleu, die durch Krankheit oder ans andern Ursachen in
Bedrängnis geraten waren, verwendet zu werden, wurde aber diesem Zweck
mitunter entfremdet.

Wenn nnn ein Geselle zufällig an einem Auflagetag feinen Abschied nahm
oder, wie man sagte, „fremd ward" — und die meisten richteten es so ein,
daß dies an einem solchen Tage geschah —, so war es herkömmlich, daß ihm
die zurückbleibenden ein solennes Trinkgelage spendeten. Man nannte dies
das Ausgeschcnk; und je nachdem es ein, zwei oder drei Abreisende waren,
mußte, mit Ausnahme dieser, jeder in Augsburg befindliche Vuchbindergeselle,
gleichviel ob er an der Feier teilnahm oder nicht, zur Bestreitung der Kosten
zehn, zwölf oder fünfzehn Kreuzer entrichten.

Nachdem dies geschehen war, wurde die Herberge, die während des vo¬
rigen Jahrhunderts trüge Zeit in der Bierbrauerei zur Sackpfeife, Bäcker-


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[0466] das Reichspatent vom 22, Juni 1731 in Augsburg ein bloßes Stück Papier geblieben; allein fast in allen Gewerken fanden sich Meister oder Gesellen, die aus persönlichen Interessen oder sonstigen Gründen Ursache hatten, mit diesen oder jenen Übelständen unzufrieden zu sein. Bei einzelnen wirkte sogar schon ein gewisser Aufkläruugseifer als treibendes Motiv; und es wurden dann auch wohl vielleicht uicht gerade übermäßig vernünftige, aber doch harmlose Ge¬ wohnheiten mit den schreiendsten Mißbräuchen in einen Topf geworfen. So¬ wie aber unter Beziehung auf das neue Gesetz bestimmte Klagen einliefen, waren die Behörden gezwungen, sich in Bewegung zu setzen, und sie ließen sich daun oft von ihren Sympathien für Reform und für den Augenblick hin¬ reißen, entschiedner auf die Seite der Beschwerdeführer zu treten, als ihnen nachher angenehm war, denn der Weg zurück war nicht immer gleich wieder zu finden. Er wurde aber doch in der Regel gefunden. Wenn wir am Ende zusehen, so waren sie selten weiter gegangen, als unumgänglich notwendig war. Im folgenden soll an einem besondern Falle gezeigt werden, wie diese Dinge gewöhnlich behandelt wurden. Unter hundert ähnlichen Fällen könnte, was die sachliche Behandlung anlangt, gerade so gut ein andrer herausgegriffen werden; der vorliegende hat aber den Vorzug, daß wir darin zugleich von Mozarts Großvater, dem Buchbinder Joh. Georg Mozart, von dem außer ein paar Daten bis jetzt nichts bekannt ist, eine Lebensäußerung erhalten. Bei den Augsburger Buchbindern war es Brauch, unter gewisse« Um¬ ständen, die übrigens ziemlich regelmäßig eintraten, den Abschied eines Gesellen mit einem eigentümlichen Zeremoniell zu feiern. Aller sechs Wochen fand eine sogenannte Auflage statt, d. h. die Buchbindergesellen versammelten sich jeden sechsten Sonntag auf ihrer Herberge, und jeder mußte hier für jede Woche, die er in Arbeit gestanden hatte, einen Kreuzer in die Gesellenkasse oder, wie der Ausdruck lautete, in die Lade zahlen. Das Geld, das ans diese Weise zusammenkam, war nebst andern Jnnnngsgeldern bestimmt, zur Unterstützung von Buchbindergeselleu, die durch Krankheit oder ans andern Ursachen in Bedrängnis geraten waren, verwendet zu werden, wurde aber diesem Zweck mitunter entfremdet. Wenn nnn ein Geselle zufällig an einem Auflagetag feinen Abschied nahm oder, wie man sagte, „fremd ward" — und die meisten richteten es so ein, daß dies an einem solchen Tage geschah —, so war es herkömmlich, daß ihm die zurückbleibenden ein solennes Trinkgelage spendeten. Man nannte dies das Ausgeschcnk; und je nachdem es ein, zwei oder drei Abreisende waren, mußte, mit Ausnahme dieser, jeder in Augsburg befindliche Vuchbindergeselle, gleichviel ob er an der Feier teilnahm oder nicht, zur Bestreitung der Kosten zehn, zwölf oder fünfzehn Kreuzer entrichten. Nachdem dies geschehen war, wurde die Herberge, die während des vo¬ rigen Jahrhunderts trüge Zeit in der Bierbrauerei zur Sackpfeife, Bäcker-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/466>, abgerufen am 26.08.2024.